Werbung
Begegnung mit Fabien Baron

Leben

Begegnung mit Fabien Baron

  • Text: Silvia Binggeli; Fotos: Brigitte Lacombe

Er ist der Grossmeister des Lifestyle - Fabien Baron, angesehenster Art Director der Gegenwart, gestaltet Kampagnen für Luxuslabels und gibt Magazinen Stil. Wir trafen den Charmeur in New York und fanden heraus: Er und Liz Taylor haben eine Gemeinsamkeit.

Fabien Baron blättert durch annabelle und kommentiert erst mal seine eigene Arbeit. Zwar hat er das Magazin weder konzipiert noch gestaltet. Doch alle paar Seiten taucht eine Anzeige auf, die Fab, wie er in der Branche gerufen wird, entworfen hat. «Oh, die Heftfalte im Gesicht des Models? Das war so nicht geplant», sagt er. Oder: «Ah, diese Kampagne haben wir auch kreiert, sieht gut aus, nicht wahr?» Nach drei Minuten hat er sich eine Meinung gebildet. Mit einem «Cool!» legt er das Magazin zur Seite. Kein schlechtes Kompliment aus dem Mund des derzeit wohl einflussreichsten Art Director.

Fabien Baron sitzt an einem langen Sitzungstisch in seinem New Yorker Gestaltungsbüro Baron & Baron – etwa vierzig Leute arbeiten dort mit ihm zusammen, einen zweiten Baron gibt es nicht. Aber: «Baron & Baron klingt einfach besser.» Die Fensterfronten bieten einen weiten Blick über den Hudson River und die pulsierende Stadt. Fabien Baron schiebt sich mit der Gabel ein Stück Poulet mit Salat in den Mund. Er hat zu viel vor, um eins nach dem anderen zu tun. Essen und erzählen, das geht. Wobei: «Ich tauche ganz in eine Sache ein. Deshalb komme ich immer zu spät.»

Fabien, wer? Kaum jemand kennt ausserhalb der Szene seinen Namen. Dabei sorgt Fabien Baron wie kein anderer dafür, dass wir schöne Dinge auch wirklich als schön wahrnehmen. Kleider, Parfums, Shops, Möbel, Sonnenbrillen. Seinem ästhetischen Urteil und untrüglichen Gespür für den Zeitgeist vertrauen alle wichtigen Lifestylehäuser. Sein Schaffen erklärt Fabien Baron mit den schlichten Worten «Wir verpassen Marken ein Image». Die Liste seiner Kunden liest sich wie das Who’s who im Schlaraffenland der Luxusgüter. Burberry, Dior, Tod’s und Calvin Klein, Dolce & Gabbana, Issey Miyake, Emilio Pucci, Valentino und Hugo Boss. Doch er regiert nicht nur die Welt der Werbekampagnen. Fabien Baron, der Multitasker, hat auch die wichtigsten Hochglanzmagazine entstaubt. Das US-«Harper’s Bazaar» hat er in den Neunzigerjahren mit der damaligen Chefredaktorin Liz Tilberis aus dem Tiefschlaf erweckt («Wir konnten noch richtig etwas bewegen, damals; heute habe ich manchmal das Gefühl, dass sich alles wiederholt»). Dank ihm stehen die italienische und die französische «Vogue» im Blitzlichtgewitter («Es war grossartig, mit Carine Roitfeld und ihren Girls zu arbeiten, diesen grossen dünnen Wesen auf ihren Highheels. Aber wie die anpacken können – als gäbe es kein Morgen!»).

Fabien Barons Stil lässt sich am ehesten so beschreiben: Minimalismus mit einem Schuss Provokation und einer grossen Portion Liebe zu starker Typografie. «Wenn du bestehen willst, musst du eine Meinung haben und dich auf deinen Blick verlassen.» Einer seiner Meilensteine ist zweifellos Madonnas umstrittener Bildband «Sex»; auf Fotos von Steven Meisel räkelt sich die Popqueen in sadomasochistischen Posen. Ebenso die wichtigsten Calvin-Klein-Kampagnen der Neunzigerjahre, etwa die Werbung für das Unisex-Parfum CK One von 1994, mit der Fabien Baron die Konsumenten auf den Stil des Jahrzehnts einschwor: die Androgynität. Eine Gruppe junger Menschen in Jeans lehnt aneinander, sie wirken, als wären sie eben erst aufgestanden, und sehen doch superstylish aus. Die Mädchen tragen Tattoos und geschorene Köpfe; die Jungs lange Haare, ihre Oberkörper sind so schmal wie die Brüste der Mädchen flach. Die aufpolierte Zurückhaltung in Schwarzweiss war eine Revolte gegen die schrillen, neonfarbenen Achtzigerjahre. Zur Ikone wurde eine gewisse Kate Moss stilisiert. Fabien Baron hatte sie an einem Shooting für «Harper’s Bazaar» gesehen und sie Calvin Klein als neues Gesicht vorgeschlagen. «Das war eine lustige Geschichte», erinnert er sich. «Eigentlich wollte Calvin Vanessa Paradis buchen. Doch sie sagte ab.» Also bestellte er Kate zu einem Casting, liess sie in Jeans in seinem Büro auf- und abgehen und wusste: «That’s it!» Und Kate? Sei ganz aufgeregt zu ihm gekommen: «Fab, meinst du, ich hab den Job?» Fabien Baron pflegt einen Dreitagebart und stapelt gern tief – trägt aber stets den Schalk des offensichtlichen Understatements im Gesicht. Und der 51-Jährige weiss, wie man andere um den Finger wickelt. Irgendwann im Verlauf des Gesprächs fällt ihm die Junghans-Uhr von Max Bill am Handgelenk seines Gegenübers auf, und prompt kommentiert er, ganz Charmeur: «Eine sehr schöne Uhr, von wem ist sie?»
 

Haben Sie schöne Dinge immer interessiert?

Absolut. Schon mit 14 liebte ich die «Vogue». Ich habe tagelang die Modestrecken und Kampagnen studiert, um herauszufinden, wie die Fotografen gewisse Bewegungen in die Bilder bringen.
 

Wer war Ihr Held?

Helmut Newton hat mich fasziniert. Ich habe mir das Fotografieren beigebracht und versuchte zu imitieren, was ich in den Magazinen gesehen hatte.
 

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Meine Schwester musste Model spielen, ich liess sie die Lippen rot anmalen, die Haare toupieren, ein glitzerndes Teil anziehen und stellte sie vor einen Truck mit dunklem Himmel.

Provoziert er mit einem Müsterchen aus alten Tagen einen Lacher, schmunzelt auch Fabien Baron zufrieden. Er habe es geliebt, sagt er, an der Linse seiner Foca zu drehen, ohne ein Geräusch zu verursachen. «Ich kaufte Kodak-Filme und brachte sie zum Entwickeln in den Laden. Ich schrieb meinen Namen auf den Umschlag und ging jeden Tag hin, um zu sehen, ob sie schon fertig waren.»

2003 hat Fabien Baron den Bildband «Liquid Lights» herausgebracht. Zwanzig Jahre lang hat er dafür das Meer zu unterschiedlicher Stunde und Stimmung fotografiert. «Angefangen habe ich damit, als ich in den Ferien einmal völlig fasziniert am Ufer des Atlantiks stand.» Einige Bilder sind in Frankreich entstanden, wo Fabien Baron aufwuchs. Den französischen Accent hört man ihm auch nach zwanzig Jahren Amerika noch an. Er sagt nicht «I loooooved it», sondern «I löööööööved it».
Fabien Baron, Sohn eines Zeitungsdesigners, wollte schon früh Art Director werden. «Aber ich dachte nicht an die Modebranche, sondern eher an Tageszeitungen.» Er besuchte die Kunstschule. «Doch die Projekte zogen sich über Monate hin.» Nach einem Jahr brach er ab und heuerte bei einer Sportzeitung an, wo er sich sogleich der drögen Optik annahm. «Die Fotografen sahen mich verdutzt an und fragten: Warum sollen wir das anders machen? Und ich sagte: Weil es schöner aussieht.» Mit 23 Jahren zog Fabien Baron nach New York.
 

Warum wollten Sie damals aus Paris, der Modehauptstadt, weg?

Paris war nicht schlecht. Aber kulturell kam Anfang der Achtzigerjahre alles Coole aus Amerika oder England. Moderne Kunst, Musik, Fernsehserien. Sagen Sie mir: Auch heute, wo ist in Frankreich die moderne Kunst geblieben? Sicher, es gibt ein paar spannende Künstler. Aber sie werden nicht gefördert wie in New York in all den Museen und Galerien.
 

Sind Sie ein ungeduldiger Mensch?

Vielleicht, jedenfalls dachte ich mir: Warum soll ich warten, bis die Neuheiten nach Frankreich kommen? Damals gab es noch kein Internet. Wenn ich nach New York reiste, baten mich meine Freunde: Bring mir Levi’s-Jeans und Calvin-Klein-Unterhosen mit. Sie fragten am Telefon, erzähl, hast du diesen oder jenen neuen Film schon gesehen?

Vier Tage nach seiner Ankunft in New York arbeitete Fabien Baron beim Männermagazin «GQ», später entwarf er den Prototyp für das Magazin «New York Woman». Auch als er den Auftrag bekam, die italienische «Vogue» neu zu gestalten, wollte er nicht ganz nach Europa zurückkehren. Er schnalzt mit der Zunge. «Old Days, alles lange her. Heute bin ich gern auf Besuch in Frankreich.» Ende der Achtzigerjahre wurde er Art Director von Andy Warhols legendärem Magazin «Interview» – der berühmte Popkünstler war zu jener Zeit bereits gestorben.
 

Haben Sie Andy Warhol jemals kennen gelernt?

Ich habe ihn mal zufällig an einer Modeshow von Perry Ellis getroffen. Normalerweise wäre er in der ersten Reihe gesessen und ich in der zehnten. Aber wir kamen beide zu spät und mussten am Rand stehen. Direkt nebeneinander. Wir sagten nichts, nur «hi». (Er grinst.)

Mittlerweile hat sich Brian Hetherington, Fabien Barons rechte Hand, an den Tisch gesetzt – damit Fabien Baron sich nicht im Gespräch verliert und seinen nächsten Termin verpasst, vermutlich. «Oft verschweigt mir Brian, was ich noch alles machen muss. Weil er weiss, ich würde durchdrehen.» Seit 13 Jahren arbeiten die beiden zusammen. «Stimmt», wirft Fabien Baron ein, der soeben zum vierten Mal Vater geworden ist. «Wir sind länger zusammen, als ich es jemals mit einer Frau war.» Fabien Baron war mit einer italienischen Redaktorin, mit einer schwedischen und nun mit einer französischen liiert, alle hat er während des Relaunchs des jeweiligen Magazins kennen gelernt. «Du bist wie Liz Taylor», kommentiert Brian Hetherington amüsiert, «auch sie heiratete die Männer, mit denen sie arbeitete.» Fabien Baron bedankt sich grummelnd: «Vielen Dank, Brian. Ein tolles Image.»

In einem Interview soll Fabien Baron einmal über sich gesagt haben, er sei eine Diva. Jetzt protestiert er lautstark dagegen: «Was? Sehe ich aus wie eine Diva, verhalte ich mich wie eine?» Nein, eine Diva sei er nicht, sagt Brian Hetherington, sein langjähriger Mitarbeiter. «Eher ein Perfektionist. Er pusht sich und seine Leute, bis das Resultat super ist.» Seit einem Jahr leitet
Fabien Baron zum dritten Mal Warhols «Interview». Das Magazinmachen habe sich in den letzten Jahren stark verändert, sagt er. «Früher hatten wir das Monopol, Talente zu entdecken. Heute kann sich jeder auf Youtube selbst erfinden.»
 

Mögen Sie das Internet nicht?

Ich finde es praktisch. Man kann schnell ein paar Sachen nachschauen und weiss Bescheid. Aber ich lese keine Blogs.
 

Haben Sie einen Facebook- oder Twitter-Account?

Nein, um Gottes willen!
 

Die Selbstvermarktung scheint Sie ja richtig zu ärgern.

Ich sehe rund um mich Dutzende von Leuten, die nichts anderes machen, als der ganzen Welt mitzuteilen, wo sie grad stehen und wen sie grad sehen. Doch worum soll es dabei gehen?
 

Worum geht es Ihnen?

Ich entwerfe gern, will an Produkten arbeiten. Als Person stehe ich lieber im Hintergrund.
 

Worauf achten Sie, wenn Sie junge Leute einstellen?

Das ist schwer zu beschreiben. (Er schnippt mit den Fingern.) Sie müssen das gewisse Etwas mitbringen. Du merkst es sofort, die Art, wie sie mit dir sprechen, dir ihre Meinung entgegenhalten, wie sie sich kleiden.
 

Spielt das Aussehen eine Rolle?

Wissen Sie, die ganzen Unternehmen sind vollgepackt mit hübschen Menschen, sie sehen gut aus, aber machen einen Fehler nach dem anderen. Ich suche Leute, die eine Vision haben, die abends lange bleiben wollen – wenn sie dann noch gut aussehen, umso besser.

Regelmässig besucht Fabien Baron Modeschauen. «Wenn ich die Kollektion sehe, die Musik dazu höre, kann ich mich in die Welt einfühlen und später in der Kampagne eine gute Geschichte dazu erzählen.» Tags darauf sitzt er an der New York Fashion Week überall in der ersten Reihe. Zur Show von Calvin Klein taucht er in Jeans, Blazer und mit aufgeknöpftem Hemd auf. Nach der Präsentation plaudert er mit dem Starfotografen Patrick Demarchelier und dem Model Lara Stone. Als er draussen in der Menge verschwindet, fährt eine Limousine vorbei. Schauspielerin Uma Thurman kurbelt das Fenster hinunter und ruft ihm zu: «Bye Fab! See you soon.»


 

Ästhet


Fabien Baron wird 1959 in Frankreich geboren. Er arbeitet als Art Director in seiner eigenen Gestaltungsfirma Baron & Baron, entwirft Kampagnen für Luxusmarken und koordiniert Relaunchs von Hochglanzmagazinen. Ausserdem amtet er als Editorial Director von Andy Warhols Magazin «Interview», dem er erstmals Ende der Achtzigerjahre seinen typischen minimalistisch-provokativen Stil verliehen hat. «Besonders heute, in Zeiten der schnellen Verbreitung von Informationen über das Internet, muss das gedruckte Bild so stark sein, dass der Betrachter einfach hinsehen muss», lautet sein Credo. Fabien Baron hat eigene Flakons, eine Möbel- und Sonnenbrillenkollektion entworfen. Er ist Vater von vier Kindern und lebt in New York – mit seiner französischen Lebenspartnerin hat er auch ein Appartement in Paris.

 

Fabien Baron über die Ex-Chefin der französischen «Vogue», Carine Roitfeld:

«Sie ist ein sehr grosszügiger Mensch. Sie liebt ihre Arbeit. Aber es gibt auch eine naive Seite an ihr. Manchmal bringt sie sich in Schwierigkeiten. Sie ist ein freier Geist und merkt manchmal nicht, wo die Grenzen liegen.»
 

Die Fotografin Brigitte Lacombe:

«Ich liebe Brigitte! Sie öffnet Menschen, weil sie immer lacht.»
 

Den Designer Michael Kors:

«Wir haben zusammengearbeitet. Er macht immer gute Shows.»
 

Das Fotografenduo Mert & Marcus:

«Sie sind extravagant und lernen gern Menschen kennen. Zwei positive, lustige Menschen, mit denen ich gern arbeite. Stardünkel haben sie nicht. Oder vielleicht zeigen sie mir den nicht, weil ich Fabien Baron bin.»
 

Die Chefin der US-«Vogue», Anna Wintour:

«Ich und Anna sprechen nicht miteinander. Sie hat mich nie angefragt, es ist ihr Magazin, sie macht den Job gut.»

Werbung

1.

1 Von Baron geleitet: «Interview» (Ausg.: Aug. 2010) 2

2.

Von Baron entstaubt: «Harper’s Bazaar» (Ausg.: Sept. 1992)

3.

Dank Baron im Blitzlichtgewitter: «Vogue», Paris (Ausg.: Dez. 2003)

4.

«Wir verpassen Marken ein Image»: Balenciaga Frühling/Sommer 2003

5.

Dior Homme Frühling/Sommer 2011

6.

Alexander Wang Herbst 2011

7.

Burberry mit Kate Moss Herbst/Winter 2001