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Theaterdirektorin Barbara Weber: “Wir rissen das Steuer rum”

Leben

Theaterdirektorin Barbara Weber: “Wir rissen das Steuer rum”

  • Text: Barbara AchermannFoto: Stephan Rappo

Den meisten Theatern laufen die Zuschauer davon. Dem Zürcher Neumarkt aber rennen sie die Türen ein. Wie hat die Direktorin Barbara Weber das geschafft?

Barbara Weber, Direktorin am Zürcher Theater Neumarkt, züchtete als Kind Stiefelgeissen. Die Toggenburgerin war acht, als sie auf der Suche nach dem passenden Bock für ihre Lieblingsziege die Schweiz abgraste. Ihre Hartnäckigkeit machte sich bezahlt: Mit den Nachkommen, prächtige Tiere mit grossen Eutern, gewann das Mädchen Preise.

Barbara Weber war von klein auf ehrgeizig. Und entwickelte früh ein Gespür für Erfolg versprechende Kombinationen. Eine ambitionierte Kreuzung ist auch «80*81», eine Aufführung am Theater Neumarkt, halb Lesung, halb Performance. Es ist der Premierenabend. Die Direktorin hat grosse Namen in ihr kleines Haus geholt: Kultregisseur René Pollesch steht als «Schirmherr» im Programmheft, inszeniert haben Autor Georg Dietz und Künstler Christoph Roth. Das richtige Namedropping für eine ausverkaufte Vorstellung. Barbara Weber trägt Keilsandalen, ihre Zehennägel sind signalrot, die Lippen ebenso. Die blonden Haare hat sie wie beiläufig hochgesteckt. Sie nimmt in der vordersten Reihe Platz, Co-Leiter Rafael Sanchez in der hintersten.

Im Publikum sitzen modische Menschen, die meisten über vierzig und manche ein bisschen berühmt: ein Fernsehsatiriker, ein Chefredaktor, ein Verleger. Die Neumarkt-Direktorin kann nicht still sitzen: Sie schlüpft aus den Schuhen, hebt die Füsse, umarmt die Knie, lacht laut, fährt sich mit der Hand übers Gesicht, in die Haare, in den Mund. Ihre Mutter sagt über Barbara Weber: Wäre sie noch ein Kind, man würde ihr Ritalin verschreiben.

Nach der Vorstellung ist die Neumarkt-Bar voll. Die Direktorin trinkt Sekt und isst den gesamten Rohschinken vom Buffet. Sie nimmt sich, was sie braucht. Das ist mit ein Grund, dass ihr Ensemble so stark ist: Sigi Terpooten war am Schauspielhaus Hamburg, am Theater Basel und am Maxim-Gorki-Theater Berlin, wo auch Thomas Müller arbeitete. Die Neumarkt-Leitung hat einen guten Ruf. Sie kann Schauspieler von den grossen Häusern abzügeln.

Einige Zuschauer haben die Aufführung früh verlassen. Das stört Barbara Weber nicht: «Null Fehler, Note sechs? Interessiert mich nicht», sagt sie. Das Neumarkt steht für experimentelles Theater. Es soll provozieren, darf auch mal scheitern. Barbara Weber und Rafael Sanchez waren 32, als sie vor zwei Jahren die Leitung übernahmen. Ihr Motto der ersten Spielzeit: «Es gibt immer was zu erben.» In ihrem Fall ein stark defizitäres Haus, von dem keiner mehr sprach. Mit dem jungen Duo kam Leben in die Schaubude. Im ersten Jahr holten sie doppelt so viel Publikum ins Neumarkt wie ihr Vorgänger Wolfgang Reiter. In der vergangenen Spielzeit konnten sie sich noch einmal steigern mit einer Auslastung von über siebzig Prozent.

Ein bemerkenswerter Erfolg, denn das Schweizer Theater ist in der Krise: Luzern will sein 170-jähriges Stadttheater aufgeben, im Basler Dreispartenhaus stand zeitweise das Ballett zur Diskussion, das Stadttheater Bern musste mit dem Symphonieorchester fusionieren wie auch das Theater Biel-Solothurn. In dieser Untergangsstimmung hat es das Duo Weber-Sanchez geschafft, aus dem Neumarkt mehr zu machen als nur ein Theater. Es ist jetzt ein In-Ort.

Als müsse sie die Anstrengung der vergangenen Jahre nachspielen, wirft sich Barbara Weber beim Gespräch in ihrem Büro auf den Boden, hebt die Beine um 45 Grad an und ächzt. Das sei Pilates, ihr neues Hobby. Und wie hat sie ihr Theater so rasch auf Erfolgskurs gebracht? Sie setzt sich auf einen Stuhl, scharrt mit den Füssen: «Die überschaubare Grösse hat Vorteile. Das Neumarkt ist ein Schnellboot, klein und wendig. Wir rissen das Steuer rum und gaben Vollgas.» Es half, dass das Duo am Lenkrad jung ist, attraktiv und schrill. Weber trägt auch mal rosa Hotpants, Sanchez hatte bereits einen Bart, als das noch nicht Mode war. Doch was richtig zog, waren die grossen Namen im kleinen Haus: Theater-Ikone Christoph Schlingensief zeigte im Neumarkt eine der letzten Auf­führungen vor seinem Tod. Der österreichische Regisseur Sebastian Kusej setzte die erfolgreiche Birgit Minichmayr in Szene. Und auch Sebastian Baumgarten, der sich Opernregisseur des Jahres nennen durfte, kam an die Zürcher Spielstätte. Barbara Weber inszenierte auch selber. Eine solide «Anna Karenina» etwa, einen unschlüssigen Kafka und eine eindrückliche «Biografie: Ein Spiel» von Max Frisch.

Sowohl Weber als auch Sanchez machten sich bereits vor ihrer Neumarkt-Intendanz einen Namen. Rafael Sanchez war mit 28 Hausregisseur am damals angesagten Theater Basel. Man kennt ihn im deutschsprachigen Raum als begabten Unterhalter. «Ohne Rafi wär mir das alles zu viel», sagt Barbara Weber, holt ein Programmheft vom Regal und schmeisst es auf den Tisch. «Der Spagat zwischen Verwalterin und Künstlerin ist schwierig. Ich kann nicht gleichzeitig budgetieren und kreativ sein, daher trenne ich diese Arbeiten.»

Barbara Weber wurde in der freien Szene mit ihren minimalistischen «Unplugged»-Projekten gross: Die Probenzeit war so kurz, dass die Schauspieler die Texte oft ablasen, unterlegt von einem live gemixten Soundtrack. Mutter Teresa oder Michael Jackson waren die Helden dieser Performances, die erst im Zürcher Gessnerallee und am Berliner HAU zu sehen waren, später an den Münchner Kammerspielen. Barbara Weber inszenierte auch in Hamburg, Berlin, Salzburg und Wien und knüpfte Kontakte zu wichtigen Theaterleuten, die sie nun ins Neumarkt holt. So auch ihren Ex-Freund, den Komiker Mike Müller, mit einer satirischen Veranstaltungsreihe. Vor gut einem Jahr ging die Beziehung von Weber und Müller auseinander. Die Boulevardzeitung Blick widmete der Trennung eine ganze Seite und stellte gleich den Neuen vor, Magazin-Kolumnist Daniel Binswanger. Dieser leitet die «Salongespräche» im Neumarkt, mit illustren Gästen wie Ex-Bundesrat Moritz Leuenberger oder Philosoph Peter Sloterdijk. Mit Binswanger ist Weber medial bestens vernetzt. Sie schrieb eine Kolumne im «Tages-Anzeiger» und das «Magazin» kündigte die Premiere von «80*81» im Editorial an.

In der Schweiz gehört Barbara Weber zur Kulturprominenz. Heute ist sie mindestens so bekannt wie ihr Bruder Peter Weber, der mit 25 einen Bestseller schrieb und später den Solothurner Literaturpreis gewann. «Peter wurde quasi über Nacht berühmt», sagt sie. Sein Erfolg habe ihr Mut gemacht, Ambitionen geweckt. Sie springt auf, und ihr Stuhl fällt um.

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