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Veganerin in der Braten-Bredouille

Stil

Veganerin in der Braten-Bredouille

  • Text: Kristin Rübesamen; Illustration: Lisa Rock

Das brat ich dir! Aus Liebe zum Tier isst Autorin Kristin Rübesamen kein Fleisch. Aus Liebe zu ihrem Mann will sie endlich lernen, ihm einen deftigen Braten zuzubereiten. Also, ab zum Kochkurs!

Die anderen tragen alle bereits eine weisse Schürze und schauen in einen Topf. Ein paar Minuten nur bin ich zu spät angekommen, in dieser Ortschaft, die auch noch Egg heisst. Ei! Wie auch sonst, fluchte ich, als ich merkte, dass ich den Weg in dieses Dorf hoch oben im Bregenzerwald unterschätzt hatte. Es ist das rote Haus, hat Karin Kaufmann am Telefon gesagt, das sehen Sie sofort. Und tatsächlich, das alte, ochsenblutrot gestrichene Bauernhaus liegt am Ortsende verheissungsvoll wie im Märchen, nur dass der Ofen von Gaggenau ist, dem Porsche unter den Küchenherstellern, und Karin Kaufmann keine Hexe, sondern eine Frau mit kurzen krausen Haaren und einem freundlichen, ungeschminkten Gesicht.

Schnell nehme ich eine Schürze vom Haken und starre ebenfalls in den Topf. Etwas Helles schwimmt darin. Es sind keine Nudeln, das kann ich mit Sicherheit sagen. Denn Nudeln sind das Einzige, was ich in den letzten dreissig Jahren gekocht habe. Warum auch nicht – es geht schnell, die Kinder essen es gern, mittlerweile kochen sie sich selber welche.

«Das ist der Griess für die Griessnockerlsuppe», erklärt mir eine der zwölf Kursteilnehmerinnen, die kunstvoll geschwungene Augenbrauen hat. Die Frauen sind überwiegend in meinem Alter, zwischen Anfang und Mitte vierzig, in dem Alter, in dem das Los des Älterwerdens nicht mehr so ohne Weiteres abstrakt bleibt, auch wenn die meisten von uns es noch immer schaffen, sich für eine Ausnahme zu halten.

Ich zeige auf die weisse Brühe. «Ach, und die Knödel kommen da von alleine raus?» Die Frauen lachen. Ich habe es mal wieder geschafft. Eine andere als die Rolle des Clowns hat es für mich in der Küche nie gegeben. Das soll sich ändern, deshalb bin ich hier.

Meine neuen Klassenkameradinnen haben bereits Dinkelbrot gebacken, das dürfen wir jetzt probieren, noch warm, mit gesalzener Butter und einem Glas Prosecco. Wie salzt man denn die Butter? Ach so, man braucht eine Rührmaschine dazu, vermutlich dieses 16-teilige Ding von Braun, das ich zur Hochzeit geschenkt bekommen habe und noch im Karton meiner Schwägerin in die Hand gedrückt habe. 16 Teile, Entschuldigung, kann die bitte jemand anders zusammenschrauben? Ich habe einen Fulltimejob, und nach der Arbeit, wenn die Kinder im Bett sind, gehe ich aus!

Salzige Butter, lerne ich, macht vielleicht fett, wirkt aber gegen Migräne. Meine neue Freundin, ich tippe auf Permanent Make-up, giesst mir nach. Die Stimmung ist aufgekratzt. «Ich mag es nicht, wenn man am Anfang herumsteht und sich übers Wetter unterhält», erklärt mir Karin Kaufmann später. «Lieber sich sofort die Hände dreckig machen, loskneten und dann erst der Aperitif.» Ein guter Trick. Den müsste man in die eigenen Dinnerpartys integrieren, die bei uns so ablaufen, dass mein Mann einen Angeberbraten kocht und ich durch meine Salate den Gästen das beruhigende Gefühl gebe, dass Perfektion nicht alles ist. Von meinem Tisch ist jedenfalls noch nie jemand mit einem Minderwertigkeitsgefühl aufgestanden.
Der Teig für die tröstlich schmeckenden Dinkelsemmeln ist, versichern mir alle, kinderleicht. Man muss lediglich darauf achten, dass er klebt. Oh, und das Salz darf nicht in die Hefe, sondern kommt erst am Schluss hinein. Bisher bin ich beim Backen immer dem Prinzip gefolgt, dass sich wie im Uno-Sicherheitsrat die einzelnen Zutaten sprich Mitglieder am Schluss einigen: manchmal mühsam, aber langfristig positiv. Ein Pfund Butter schmilzt doch letztlich auch im Backofen, warum muss es schon vorher weich sein?

Jetzt habe ich verschlafen, wie viel Gelatine wir für die Gemüsesulz brauchen. Das Sulzthema könnte in meiner neuen Karriere als Kochkünstlerin – Kunst kommt bekanntlich von Kochen – ein Kracher werden. Wer rechnet schon mit einer so altmodischen Vorspeise am Stammtisch einer Veganerin? Denn mit «herbstlichen Gemüsen» sind wir beim zentralen Problem. Nicht nur bin ich in der Küche eine leere Tasse, wie der ideale Schüler im Buddhismus so schön beschrieben wird, als Veganerin esse ich auch keine tierischen Produkte. Doch während Butter, gelegentlich ein Stück Käse und vielleicht auch mal ein Ei sich einschmuggeln, habe ich tatsächlich seit 15 Jahren kein Fleisch gekauft und bis auf einen legendären Gigot im ersten Jahr der Ehe, den ich im vierstündigen Telefonkontakt mit meiner Mutter briet, keines in der Hand gehalten. Doch heute werden hier ein Gitzibraten gebacken, eine Gitzihaxe geschmort, ein «Gitzirücken im Ganzen» auch irgendwie zubereitet. Auch deshalb bin ich hier – ein Experiment meinem Mann zuliebe, der sich nichts mehr wünscht, als von mir einmal so ein Gericht vor die Nase gestellt zu bekommen. Vielleicht habe ich mir grundsätzlich etwas zuschulden kommen lassen, das nach Wiedergutmachung verlangt, vielleicht will ich ihn einfach nur glücklich machen, vielleicht auch nur testen, ob ich es gegen meine Überzeugung schaffe, seinen Wunsch zu erfüllen: Versuchen jedenfalls möchte ich es einmal. Doch das Fleisch, appetitlich in den Augen aller anderen, sieht für mich aus wie eine Wunde. Als wende ich den Blick von einem Krankenbett, sehe ich schnell weg. Ich zwinge mich dann doch, genau hinzuschauen, wie die anderen den eingelegten Rücken begutachten. Ich bin in die zweite Reihe gerutscht, lasse mich gern noch mehr abdrängen, nehme schliesslich einen Lappen und poliere sinnlos die glänzenden Arbeitsflächen. Obwohl ich deshalb hier bin, drücke ich mich schon beim ersten Mal. Dann ist der Braten im Ofen, ich vergesse zu notieren, bei wie viel Grad. Theoretisch müsste ich mich selbst mit hineinsetzen, so widersinnig finde ich das Essen toter Tiere.

Aber erst mal wird das Gemüse für die Sulz klein gehackt, mit meinen minus acht Dioptrien kann ich es kaum erkennen. Dort drüben, in sicherem Abstand, wird die Haxe scharf angebraten. Scharf heisst offenbar bei hoher Hitze, nicht etwa mit besonders viel Pfeffer. Den braucht man auch, aber erst später, genau wie das Salz, oder habe ich da etwas durcheinandergebracht? Alle haben ein Messer in der Hand, jeder hat eine Aufgabe, bis auf mich. Sofort bin ich wieder zehn Jahre alt, eine mehlige Hand schiebt mich aus der dampfenden Küche, meine grosse Schwester, heute eine grossartige Köchin in Italien, kann bleiben, mehr Platz ist nicht, ich darf dafür beim Abwaschen helfen. Und jetzt soll ich schon wieder nur mit meinem Notizblock herumstehen wie eine doofe Journalistin? Ich nehme mir ein Messer, dränge die ältere Dame in der feinen Streifenbluse zur Seite und schäle die Kartoffeln für die Schupfnudeln. Das ist der Unterschied zu Kochkursen, wie sie Alfons Schuhbeck, der Phil Collins der Kochszene, gibt. Dort kochen nur die Cracks. Hier wird mit angefasst.

Ob Karin Kaufmann alle Zutaten wiegt, fragen die Frauen mit demselben Ernst, mit dem ich meine Freundinnen frage, ob es sie auch so deprimiert, keinen blassen Schimmer von den Hugenotten zu haben.

«Wenn ich die Rezepte aufschreibe, dann schon. Aber sonst nicht. Meine Mutter ist eine begnadete Köchin. Sie kocht ganz nach Gefühl, wiegt nichts nach.» Endlich ein Ansatzpunkt für mich, die ich so lange Kochbücher, selbst handgeschriebene, von der Familie bekam, bis ich drohte: «Noch ein Kochbuch, und ich lass die Kinder verhungern.» Karin Kaufmann lässt mich den warmen Kartoffelsalat mit Parmesan und Rucola probieren und erklärt: «Ich weiss von daheim ganz genau, wie der Geschmack sich zusammensetzt, und so muss es auch sein bei alteingesessenen Gerichten. Eine klare Küche mit frischen Zutaten aus der Region, ohne Schnörkel und Firlefanz. Man sollte sehen, dass es hausgemacht ist.» Ich erinnere mich an ein Guetsliblech, das vor vielen Jahren aus dem Ofen kam und aussah wie eine Vulkanlandschaft aus einem Sciencefiction-Film. Während ich albern quietschte, schämten sich meine Kinder vor ihren Freunden und zogen sie schnell in ihr Zimmer.

Draussen steigen Nebel aus den schwarzen Feldern auf. Wenn man sich jetzt verlaufen würde, würde man als Städter wohl nichts finden ausser kahlen Bäumen, jedenfalls nicht diese zauberhaften Steinpilze, die gerade in der Pfanne zischen. Salz zuletzt! Will ich rufen und kann mich gerade noch zurückhalten. Dann braucht man mich bei den Schupfnudeln. Geschickt rolle ich die kleinen Scheibchen, die von einer zentimeterdicken Teigwurst abgeschnitten werden, zu bezaubernden Würmchen. Die Kollegin im gestreiften Hemd rempelt mich an. Nicht so, korrigiert sie mich in unnachgiebigem Tonfall. Hinter ihr steht ihre Tochter und lächelt ins Nichts. Mit meiner Mutter hier anzutanzen, bei aller Liebe, wäre mir nie in den Kopf gekommen. Nur einmal in über vierzig Jahren durfte ich in «ihre» Küche, als sie selbst mit hohem Fieber im Bett lag und mein Vater auf der Intensivstation.
Ich werfe noch einen letzten stolzen Blick auf die Schupfnudeln, die jetzt kochen, bevor wir die Suppe probieren dürfen. Dazu ein frisches Glas Wein. Schnell noch werde ich von den anderen über die Alkoholkontrollen in der Gegend aufgeklärt. Dann gibt es den Kartoffelsalat mit einem winzigen Stück Schinken für die anderen. «Wenn ein Tier gut gehalten ist, ess ich gern alles», sagt der Lieferant, ein sympathischer junger Typ, der tagsüber einen unaussprechlichen Managerjob macht und zur Entspannung Geissen hält.

Ich werfe ein, dass dieses Konzept «From Nose to Tail» in London mächtig Erfolg hat, und vielleicht, wenn alle Tiere so gehalten würden, dann wäre es zwar immer noch vorsätzliche Tötung, aber immerhin kein Mord. Nur habe ich gerade einen Löffel Kartoffelsalat in den Mund gesteckt, sodass mich die anderen schlecht verstehen, und danach ist der Moment weg.

Es herrscht nicht gerade der Nahe Osten bei uns zuhause in der Küche, aber schon lange richte ich es so ein, dass Fleisch und Schinken nicht im selben Regal im Kühlschrank liegen wie meine Tofuschnitzel. Ich wasche keine Pfannen ab, in denen mein Mann Fleisch gebraten hat. Er lüftet brav. «Eier?» ist eine gängige schlecht gelaunte Frage von mir, bevor ich mich umdrehe und wieder verschwinde.

Die Kinder essen aus Höflichkeit, wenn ich koche. Sie ermahnen sich gegenseitig durchzuhalten, und wenn wir dann gemeinsam lachen, bin ich erleichtert, aber auch beschämt. Vielleicht steht hinter dem Kochenlernen der Wunsch, mir die Zeit zu nehmen, mich ganz in ihren Dienst zu stellen, bevor sie ausziehen.

Es ist warm geworden rund um die silbern glänzende Kochinsel. Konzentration und ein Gefühl, das ich zuletzt beim Weihnachtsbasar im Gymnasium erlebt habe – halb Abenteuerlust, halb Sandkasten –, mischen sich zu einem fröhlichen Dunst. Die Frauen lächeln mir aufmunternd zu. Beim Fleisch habe ich versagt, weder gelernt, es zuzubereiten, noch geschafft, es auch nur zu probieren, aber jetzt bei einem ganz und gar gewaltfreien Himbeerdessert gehe ich aufs Ganze.

Lässig trenne ich ein Ei, und weil es so gut klappt, gleich noch eins. Während ich den Kauf einer Glacemaschine erwäge – die anderen stimmen mir bei, dass ich damit eine Menge Boden gutmachen könnte –, steigt zusammen mit dem Bratenduft eine warme Welle aus Solidarität hoch. Mit diesen Frauen hätte ich gern Wahlkampfguetsli für Obama gebacken, ach was, am besten selbst eine Partei gegründet!
Ich habe eine Menge gelernt an diesem Abend. Bei Einladungen Hände weg von Risotto und Fisch! Ich werde mich stattdessen an Schmorgerichte und alles andere halten, was man vorbereiten kann. Ich weiss jetzt, was beigeben, unterheben, ausbraten bedeutet. Ich weiss, dass es wie bei allem im Leben aufs Gefühl ankommt. Ausserdem? Werde ich mich bei meiner Schwägerin nach der Küchenmaschine erkundigen. Und wenn wieder alles in die Hose geht? «Ihr könnt mich jederzeit anrufen», ruft Karin Kaufmann in das Gelächter, «ausser an Weihnachten.»

Ich werde es wohl auch in Zukunft nicht über mich bringen, Fleisch auf den Tisch zu bringen, aber eine anständige Griessnockerlsuppe, der lauwarme Kartoffelsalat, Schupfnudeln, Schmorgemüse, zweierlei Himbeeren, überbacken und als Sorbet, das sind realistische Arbeitsziele, auch wenn mir die Gesellschaft der Frauen mächtig fehlen wird. Stattdessen werde ich mich an die Gemüsesulz halten. Die wird der Hit. War eben doch richtig, gleich den Fortgeschrittenenkurs zu besuchen.

Infos
Als Gast des Viersternehotels Post in Bezau im Bregenzerwald (A) kann man bei Karin Kaufmann die regionale Küche kennen lernen, einen Tag oder eine Woche lang, allein oder in Gruppen. Auf dem Programm stehen Viergangmenüs, die selber gekocht und gemeinsam gegessen werden. Das Hotel Post liegt zehn Autominuten vom Gasthaus Engel in Egg entfernt, wo die Kochkurse stattfinden.

Nächste Termine:
6. Dezember 2010
19. Januar 2011
9. Februar 2011
23. Februar 2011

Karin Kaufmann
Egg (A)
Tel. 0043 676 495 41 44
www.fraukaufmann.at

Kurskosten ab ca. 165 Fr.

Hotel Post
Bezau im Bregenzerwald (A)
Tel. 0043 55 142 20 70
www.hotelpostbezau.com
EZ ab ca. 200 Fr.