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Schweizer Klassiker: Rezept für Riz Casimir

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Schweizer Klassiker: Rezept für Riz Casimir

  • Text: René Ammann; Foto: Betty Bossi Buch «Fleisch für Sonntag und Alltag»/Graphische Anstalt und Verlag Rorschach

Passend zum 1. August: Biografie eines Schweizer Klassikers. Zudem: Drei Rezept-Neuinterpretationen des Riz Casimir von Karin Messerli und einem passendem Wein.

Für Verschleckte ist Riz Casimir der Ring der kulinarischen Niederungen. Alle andern werden jubelnd zulangen, wenn Sie ihn wieder mal auftischen. Biografie eines Schweizer Klassikers.

Die Frau an der Kasse hob eine Augenbraue, als ich die Dose Fruchtsalat aus dem Einkaufskorb zog. Eine Dose. Fruchtsalat. Und das im Jahr 2012, wo im Januar beim Grossverteiler frische Erdbeeren aus den Schalen wachsen und kein Mensch mehr weiss, wann die Birnen reifen.

Zuhause schaute ich mir den Fruchtsalat näher an. Er war teurer als die frische Ananas, die den Atlantik casimirüberquert hatte und für 3.90 Franken zu haben war. Hero. Gourmets.

Pfirsiche 30%, Birnen 17.8%, Ananas 8.9%, Herzkirschen 3% (mit Farbstoff E 127), Zucker, Säureregulator (E 330), Antioxidans (E 300). 250 Gramm abgetropft. Sowie der Hinweis: «Der Fruchtsalat eignet sich auch vorzüglich zu Riz Casimir.»

Jawohl. Das war es. Dafür hatte ich den Fruchtsalat gekauft. Um seit langem wieder einmal Riz Casimir zuzubereiten. Riis Kchasimir. Die Erfüllung! Selten war der Chor an Schweizer Familientischen einstimmiger als in den Sechzigern und frühen Siebzigern: Juhui, es gibt Riz Casimir!

Riz Casimir, das klang weltläufig und war exotisch, aber non troppo. Reis hatten Generationen als pampigen Milchreis unter einer Kruste Zimtzucker gekannt. Dann kam Uncle Ben’s, «der Reis, der niemals klebt». An der Hand von Casimir. Der betrat die Küche wie ein heimlicher Liebhaber.

Plötzlich musste Essen nicht mehr nur satt machen, es musste auch schön sein. Hausfrauen improvisierten mit der Kelle einen Reisring, bis an Weihnachten ein echter Ring unter dem Christbaum lag. Und wie gesagt: Konservenbüchsen waren sündig und teuer. Aber Casimir verlangte nach Fruchtsalat aus der Dose und der berühmten Rahmrosette obendrauf.

Exotisch war auch der Geschmack, denn das Gericht enthielt Curry. Das Kochbuch meiner Grossmutter («Das fleissige Hausmütterchen» von Sus. Müller) riet noch zum Selbermachen, «weil das Currypulver oft gefälscht ist». Aber in den späten Fünfzigern begannen Warenhäuser, die grosse Welt in die Schweiz zu holen. Sie schoben nicht nur den neumodischen Römertopf in heimische Herde, sondern verkauften auch Currypulver in essbarer, wenn auch höchst milder Qualität. Die kulinarische Welt eroberte die Alpen.

Möglich gemacht hatte das Ueli Prager, der schweizerisch-deutsche Gründer der Restaurant- und Hotelkette Mövenpick. In seinen jungen Jahren war Prager in London. Dort traf er unvermeidlicherweise auf indische Kollegen, die Yorkshire Pudding und Mince Pie ebenso abhold waren wie der junge Ueli, der in Trogen und Zürich gelebt hatte, wo man keine Baked Beans auf Toast zum Frühstück ass. Verschiedenen Quellen zufolge setzte Prager Riz Casimir 1952 auf die Menükarte von Mövenpick – und traf punktgenau die Geschmackspapillen der Gäste. Fremdes wie Curry, Ananas und Bananen, vereint mit Bekanntem wie Kalbfleisch und Rahm, das war für die Schweiz der Nachkriegszeit der Himmel auf Erden.

Bald gab es homerische Diskussionen, ob das Restaurant Kunsthaus in Zürich oder das «Mövenpick» gegenüber das beste Casimir servierte. Einig war man sich einzig darin, dass Fruchtsalat aus der Büchse ins «echte» Casimir gehörte, abgetropft und unter das angebratene Geschnetzelte gemischt. Der Name? Aus Kashmir? Kaum, Hindus essen kein Kalbfleisch. Aber die Kombination von Riz und Casimir klang derart weit genug weg exotisch, dass eine Überprüfung sowieso nicht infrage kam. Zumal es ja allen schmeckte.

Köchinnen und Köche mit Ambition konnten natürlich nicht mit ansehen, dass ihnen Büchsenfutter die Show stahl. Agnes Amberg veröffentlichte in ihrem beliebten «Kochen rund ums Jahr. Menüpläne für 365 Tage» ein Riz Casimir, das gänzlich ohne Fruchtsalat aus der Büchse auskam. Sie schnitt Bananen und Ananas in Scheiben und briet sie an. Woher sie damals die Ananas hatte, erfuhr man allerdings nicht. Auch Betty Bossi, die erfolgreichste Schweizer Küchenfee, zauberte 1973 ihre Version aus dem Topf – als Geschnetzeltes Florida getarnt. Kurz darauf wurde auch der Reisring mit Curry, Huhn und Früchten drin in Gschnätzlets Kasimir umgetauft.

Elisabeth Fülscher, die über Jahrzehnte scharenweise höhere Zürcher Töchter an den Herd trieb, führte 1977, in der achten Auflage ihrer Kochbibel, einen «Risotto Casimir» auf und riet, die Ananas «aus der Dose» in Schnitzchen zu teilen und «die Pimientos (süsse, rote) in Würfelchen» zu schneiden, bevor man sie in den «Kranz aus Risotto» legte. Wo Kränze zu vergeben waren, da war auch das Schweizer Militär nicht weit. Rekruten wie Instruktoren beugten sich zum «Curry» in der Gamelle, Casimir hatte auch die Männerwelt im Sturm erobert. Und in jedem Ferienlager jubelten die Jugendlichen, wenn Riz Casimir auf dem Speiseplan stand.

Kaum hatten sämtliche eidgenössischen Kochschulen den Fleischsee im Ring aus Trockenreis als Standardrezept aufgenommen, jagte die Revolution der französischen Küche von Mitte der Siebzigerjahre Casimir vom Herd. Gastroführer wie «Gault Millau» priesen die Nouvelle cuisine – aufwendig zubereitete Speisen, kalorienarm und leicht verdaulich, die eine ganze Brigade von Hilfskräften auf Trab halten. Da hatte das Riz Casimir als Liebling natürlich ausgedient. Es ist inzwischen auf kaum einer Speisekarte mehr zu finden. Nicht einmal das «Palavrion» an der Beethovenstrasse in Zürich, das Ueli Prager 1952 als drittes «Mövenpick» eröffnet hatte, führt den einstigen Kassenschlager noch, stattdessen soll ein «Thai-Poulet (rassig)» in roter Currysauce mit frischer Ananas und Basmatireis für 29.50 Franken die Gäste sättigen.

Also kochte ich Riz Casimir für meine Gäste selber, und zur grossen Überraschung fanden es alle wirklich, wirklich gut. Selbst der Gschnäderfrässigste liess sich zweimal schöpfen. Ich hatte dem Hühnergeschnetzelten an Curryrahmsauce Bananen und frische Ananas hinzugefügt. Und die Büchse Fruchtsalat? Die steht im Schrank. Ich hatte festgestellt, dass ich gar keinen Büchsenöffner besass.
 

Auf der nächsten Seite finden Sie das Original-Rezept zu Riz Casimir.

Riz Casimir – das Original
(Hauptgericht für 4 Personen)

Zutaten
400 g Kalbsschnitzelfleisch, handgeschnetzelt, ca. 3 mm dick
2 EL Erdnussöl
0.5 dl Weisswein
200 g rote Peperoni, halbieren und entkernen
250 g frische Ananas, in Stücken
2 kleinere Bananen
1 Beutel Currysauce und 3 dl Milch (einfachheitshalber wird hier Beutelsauce verwendet – im Mövenpick-Originalrezept * wird die Currysauce selbst zubereitet)
1 dl Rahm
2 EL Korinthen
300 g Reis, roh (kochfest)
Salz, weisser Pfeffer aus der Mühle

Vorbereitung
Reis kochen und warm stellen. Peperoni in 4 cm lange, feine Streifen schneiden, in kochendes Wasser geben, kurz aufkochen, abschütten und abtropfen lassen. Die Bananen schälen und in 1 cm dicke Scheiben schneiden.

Zubereitung
Currysauce nach Packungsanleitung mit der Milch zubereiten. Rahm steif schlagen und darunterrühren, warm stellen. Das geschnetzelte Kalbfleisch mit Salz und Pfeffer würzen und in zwei Teile teilen. Eine mittlere beschichtete Bratpfanne mit der Hälfte des Öls erhitzen, einen Teil Geschnetzeltes kurz kräftig anbraten, aus der Pfanne nehmen und warm stellen. Mit dem zweiten Teil ebenso verfahren. Den Weisswein in die Pfanne geben. Peperonistreifen, Ananasstücke und Bananenscheiben dazugeben, kurz schwenken, warm stellen. Die Currysauce aufkochen, die Früchte-Gemüse-Mischung sowie das Geschnetzelte dazugeben und gut vermischen.

Anrichten
Den Reis gleichmässig gehäuft portionenweise auf vorgewärmten Tellern anrichten. Mit einer mittelgrossen Schöpfkelle den Reis zu einem Ring formen. Die Casimir-Mischung in die Mitte des Rings geben und die Korinthen darüberstreuen.

* Quelle: «Das erste Mövenpick-Kochbuch», Südwest-Verlag