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«Fifty Shades of Grey» – Völlig entfesselt

Body & Soul

«Fifty Shades of Grey» – Völlig entfesselt

  • Text: Verena Lugert; Bild: Bohdan Cap, SXC

Harter Porno, tolle Verkaufszahlen: Immer wieder sorgen Autorinnen mit einem expliziten Sexroman für Furore. Jüngstes und extremstes Beispiel ist die Sado-Maso-Erzählung «Fifty Shades of Grey» von E. L. James.

Harter Porno, tolle Verkaufszahlen: Immer wieder sorgen Autorinnen mit einem expliziten Sexroman für Furore. Jüngstes und extremstes Beispiel ist die Sado-Maso-Erzählung «Fifty Shades of Grey» von E. L. James.

Oha. Wenn man sich im Internet Thomas Tallis’ «Spem in alium» anhört, diesen 500 Jahre alten englischen Choral für vierzig Stimmen, dann nicht aus Interesse an alten Kirchenliedern. Sondern wegen des Romans «Fifty Shades of Grey» der britischen Autorin E. L. James, in dem der Choral die Hintergrundmusik zu einer der häufigen Sexszenen bildet, die das Werk auszeichnen.

Im Buch wird erzählt, wie eine Unschuld vom Land einem milliardenschweren Sexgott verfällt, der wegen einer schlimmen Kindheit nicht lieben kann und das Landmädchen in die dunkelschöne Welt des Sadomasochismus einführt, mit ihm in dominanter Rolle.

Das liest sich dann so: «Ich fühle die Peitschen-Enden auf meiner Haut, höre die Musik, sie webt einen ätherischen Seidenteppich aus Gold und Silber durch meinen Kopf hindurch, das Gefühl mischt sich mit den Schlägen von Leder. Er schlägt mich wieder, härter, ich winde mich in den Handschellen, will entkommen, mich hingeben, er peitscht auf meine Brüste, es ist süsse Agonie, meine Haut singt mit jedem der Hiebe im perfekten Gleichklang der Musik, ich werde in den dunkelsten Teil meiner Psyche gezogen, der sich diesen erotischen Explosionen hingibt. Mit einem harten Stoss ist er in mir, ich schreie wieder auf, er bewegt sich … und je mehr Stimmen der Choral hat, desto schneller wird sein Rhythmus, und als die Musik ihren Höhepunkt erreicht, falle ich in den wildesten Orgasmus, den ich je hatte.»

Wer glaubte, als Einzige die Idee gehabt zu haben, sich nach der Lektüre diese magische Musik anzuhören, wird auf Youtube beim Eintippen von «Spem in alium» gleich mit einer endlosen «Fifty Shades of Grey»-Playlist bedient, die von Fans erstellt worden ist.

Mommy Porn werden Werke wie «Fifty Shades of Grey» abschätzig genannt, ein Erotikum für Frauen an der Klimakteriumsschwelle, die ihre Kinder zum Fussballplatz chauffieren und beim Warten mit ihren Freundinnen über das Buch palavern. Doch den Leserinnenkreis muss man sich weiter gefasst vorstellen, viel weiter, wie der Erfolg des Buchs zeigt. Allein in den USA wurden in nicht einmal drei Wochen fünf Millionen Exemplare verkauft. «Das sind nicht nur Mamas, die mir mailen», sagt E. L. James. Die Mittvierzigerin heisst eigentlich Erika Leonhard, E. L. James ist ihr Pseudonym. Sie ist Mutter von zwei Teenagersöhnen, Gattin eines Drehbuchschreibers, lebt in London und war Produktionsmanagerin beim Fernsehen, bevor der Erfolg wie ein Tornado über sie hinwegfegte.
 

«Es ist ja nicht so, dass Feministinnen keine Fantasien hätten, oder?»

E. L. James ist klein, rund und sehr vergnügt, sie trägt ein fliederfarbenes, gefälteltes Oberteil und sieht nicht so aus, wie man sich eine millionenschwere Autorin eines Sadomaso-Weltbestsellers vorstellt. Einzig die Lederjacke, die sie trägt, könnte eine Reminiszenz an ihr Sujet sein.

Klug ist sie, witzig auch, mit gefährlich ironisch blitzenden Augen. Sie schlägt die Beine übereinander, hat Platz genommen im Büro ihrer Agentin in London nahe der Oxford Street. Sie hat einen 15-tägigen Lesemarathon in den USA hinter sich. Gerade eben wurde sie von der «Times» zu einer der «100 wichtigsten Frauen der Welt» gewählt – weil nach ihr «Schreiben nie wieder dasselbe sein wird wie zuvor». Das ist wohl übertrieben. Was aber stimmt: Durch ihren beispiellosen Erfolg hat E. L. James wohl die Buchwelt verändert. Die Popularität von «Fifty Shades» beruht nämlich auf dem Internet und dem Schneeballsystem. Durch Empfehlungen auf Facebook und den anderen Social Networks hat sich eine Lawine aufgebaut, die sämtliche Einwände – Heftchenromane! Kitsch! Schwüle Fantasien! – unter sich begrub. Denn: Erfolg gibt immer recht. Die Frauen kauften und kauften das Ding – und zwar zuerst im Internet als Book on Demand. Erst dann erwarb der renommierte Verlag Knopf Doubleday die Rechte und druckte den Roman auf Papier. Oder genauer: die Romane. «Fifty Shades of Grey» hat sich nämlich mittlerweile mit «Fifty Shades Darker» und «Fifty Shades Freed» zu einer Trilogie erweitert, die heute Platz 1, 2 und 3 der «New York Times»-Bestsellerliste belegt, als wäre sie dort, Pardon, angekettet. Es ist absehbar, dass Literatur eine Demokratisierung erfährt, indem ein Manuskript fortan nicht mehr die enge Pforte der Lektorenmeinung passieren muss, sondern das Votum der Leser im Internet genügt.

Bald war es nicht mehr peinlich, das scharfe Zeug, das E. L. James schrieb, zu lesen. Die Frauen stürmten die Lesungen, die die Autorin in den USA hielt, und kreischten Sätze mit, die inzwischen Kultcharakter haben («I don’t make love, I fuck. Very hard, indeed»). Und das ist erst der Anfang. Denn «Fifty Shades» setzt gerade zum Sprung von Amerika in die Welt an, in 37 Länder wurden die Rechte verkauft.

Am 9. Juli erscheint das Werk auf Deutsch, schon zwei Monate vorher veröffentlichte der «Stern» eine Titelgeschichte zum Thema. Atemlos berichtete er über die unerhörten Praktiken, die im Buch beschrieben werden, liess weibliche Sadomasofans nackt und anonymisiert fotografieren und ordnete den Hype um das Buch als soziologisches Phänomen ein: Moderne Frauen träumten von Unterwerfung, wurde da konstatiert. Weil sie im Job ohnehin alles unter Kontrolle haben müssten, würden sie sich in ihren Fantasien einen dominanten Partner wünschen, der ihnen im Schlafzimmer auch mal den Hintern versohlt. «Nein!», stöhnt da die Autorin und rollt mit den Augen, «Wissen Sie, die Trilogie ist vieles, aber sicher nicht politisch.» Weder sei sie eine Absage an den Feminismus noch eine frivole Version davon. Aber was ist es dann? James lächelt kokett und sagt: «Fantasien. – Meine Fantasien.» Sie beugt sich vor und setzt nach: «Es ist ja nicht so, dass Feministinnen keine Fantasien hätten, oder?» Emanzipatorische Schelte perlt an ihr ab.

E. L. James liebt Romantik. Ganz besonders liebt sie Stephenie Meyers Vampirsaga, die «Twilight»-Serie, die sie verschlungen hat. Und weil James zwar die Bücher liebte, diese ihr aber zu wenig sexy waren, schrieb sie die Saga einfach weiter. Fanfiction wird das genannt, wenn Fans Romane weiterspinnen und im Internet veröffentlichen.
Weil sie den Stoff dann doch etwas variieren wollte, ersann sie eine Geschichte, in der zwei Menschen nicht zueinanderfinden können: ein seelisch verkrüppelter (aber körperlich geradezu exzellent ausgestatteter) Mann, der nur im Ausleben sadistischer Erotik Befriedigung findet, und ein reines, liebendes Mädchen, das sich ihm auf seine Art hingibt. Um ihm nahe zu sein, obwohl ihr der gute alte «Vanilla-Sex» lieber wäre, den der Mann nicht will, weil ihm da die körperliche Nähe zu gross ist.

Das Ganze ist in einen recht guten Plot verpackt, der reichlich eskapistische Sehnsüchte befriedigt. Man bewegt sich in der Welt der Reichen. Teure Restaurants, Hotelsuiten, Designerlampen und der Geruch von Luxusduschgel kommen auf vielen Seiten vor, bevor es in den Red Room of Pain geht, in die exquisite Folterkammer im Haus des Geliebten. Grey, so der Name des dominanten Adonis, sieht blendend aus. Er fliegt Flugzeuge, fährt schnelle Wagen, schickt Rosen, Champagner und seidene Unterwäsche in das kleine Studentenapartment seiner Gespielin.

«‹Fifty Shades of Grey› ist eine Liebesgeschichte. Frauen lieben Liebesgeschichten!», sagt James. Es ist nicht die schlechteste Lovestory, sie bedient sich eines klassischen Romeo-und-Julia-Motivs, in dem zwei nicht zueinanderkommen (aber miteinander …). Und unterhält blendend. «Mir hat eine Frau ein E-Mail geschrieben», erzählt James, «die hat in ihrem ganzen Leben kein Buch gelesen. Und alle drei ‹Fifty›-Bände in einer einzigen Woche verschlungen.» Immerhin fast 1800 Seiten.

Es ist auffällig, wie oft die Verrisse von Männern geschrieben werden. In der «Welt» glaubt der Rezensent sogar, «von der Lektüre unbedingt Abstand nehmen zu müssen», ohne das Buch je in der Hand gehalten zu haben. Das werfen ihm die Fans auch sofort in Leserbriefen vor («Schreiben Sie Dinge, von denen Sie eine Ahnung haben!»). In einem TV-Beitrag der BBC stellt der Interviewer schmallippig fest, dass er gar nichts zitieren kann aus dem Buch, weil jedes einzelne Wort weggebiept werden müsste. Und fragt E. L. James sauertöpfisch, wohin es denn mit einer Gesellschaft gehen soll, in der der Sex immer noch durchtriebener wird. «Ach hören Sie», tröstet sie ihn ganz mütterlich, «das kann uns beiden doch egal sein, was die Leute in gegenseitigem Einvernehmen in ihren Schlafzimmern machen, oder nicht?» E. L. James ist an ihrem Buch nichts peinlich, ausser dem geradezu irrwitzigen Erfolg. «Den hätte ich mir nie, nie, nie träumen lassen. Mein einziger Wunsch war, dass es der Roman in die Buchhandlungen schafft.»
 

«Mein Mann hat mir beim Redigieren geholfen. An manchen Stellen hat er gesagt: Wow, das ist aber scharf»

Ihre Mutter hat es gelesen. «Aber die hat zum Glück kein Internet, in dem sie sich über die Praktiken und Abkürzungen, die sie nicht versteht, schlaumachen kann!» Davon abgesehen habe sie das Buch sehr genossen – mehr habe man aber nicht darüber gesprochen. «Ich habe mit meiner Mom nie über Sex geredet.» Dass ihre Söhne keine grossen Leser sind, darüber ist sie froh. «Mein Gott, wäre das den Jungs peinlich, wenn sie das läsen. Die Mütter der Klassenkameraden hingegen geben meinen Jungs oft ein Exemplar mit für mich zum Signieren.»

Und ihr Mann? «Der hat mir beim Redigieren geholfen.» War er überrascht? «Nein, warum?», fragt sie arglos. Und kichert: «An manchen Stellen hat er gesagt: Wow, das ist aber scharf!»

Sie findet es ganz schön, wenn das Buch zu einer Experimentierfreudigkeit anregt. In den vergangenen Wochen verzeichneten die US-Sexshops mit Dildos, Analplugs, Peitschen, Brustwarzenklammern und anderem frivolem Spielzeug Umsatzzuwächse. «Ich erhalte auch viele Dankes-E-Mails von den Ehemännern der Frauen, die meine Bücher gelesen haben.» Sie lacht lauthals: «Die haben jetzt auch was davon!»

Na, dann, hat es sich doch für alle gelohnt: E. L. James hat in einem Aufwasch das Sexleben etlicher Menschen inspiriert, vielen das Lesen wieder nähergebracht, Millionen verdient (gerade hat sie die Filmrechte verkauft) und Verlage reich gemacht. «Ansonsten», sagt sie, «ist mein Leben gleich geblieben. Ich fahre U-Bahn und werde auch nicht im Café von Fans niedergerungen.» Hört sich nicht besonders prickelnd an. Aber wer braucht schon ein aufregendes Leben, wenn man solch eine Fantasie hat?


E. L. James: Shades of Grey. Geheimes Verlangen. Goldmann-Verlag, 2012, 576 S., 19.90 Fr.