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Äthiopien: Mit Honig gegen Armut

Leben

Äthiopien: Mit Honig gegen Armut

  • Text: Barbara Achermann; Fotos: Flurina Rothenberger

Äthiopien will seine Honigproduktion verzehnfachen und bildet Imkerinnen aus – unterstützt von einem Schweizer Bienenexperten, der sagt: «Das könnte ein Weg aus der Armut sein.»

Des Nachts auf einer Waldlichtung stehen junge Frauen in einem engen Kreis beisammen. Sie tragen Schutzanzüge und Gummistiefel. Eine, sie heisst Tigist, dreht sich schwerfällig zu ihrer Kollegin Marta um: «Wenn uns jetzt jemand sieht, wird er ins nächste Dorf rennen und ‹Ebola!› schreien.» Marta lacht: «Oder ‹Ufo!›.» Sie sind angehende Imkerinnen, 33 an der Zahl, vor ihnen auf dem Boden ein Berg aus Bienen, es müssen Tausende sein. Auch die kühle Nachtluft ist voll von ihnen. Ihr Summen übertönt das Zirpen der Grillen und klingt verärgert. Fatuma schnalzt mit der Zunge und zupft an ihrer Bluse. Sie hat keinen Schutzanzug mehr abgekriegt und wurde gerade zum zweiten Mal gestochen. «Nicht so schlimm», ruft ihr Lehrer Solomon Menegesha zu. «Ist gut gegen Rheuma.»

Die Studentinnen drängeln sich um den nervösen Schwarm zu ihren Füssen, als stünden sie am Wühltisch im Ausverkauf. Sie suchen die Königin. Mitten unter den Frauen steht Imker Mamush Abduraman mit blossem Oberkörper. Bienen sitzen auf seinem Rücken, seinen Armen. Er fasst ins Volk und zieht die Königin heraus. Verzweifelt schwenkt sie ihren langen Hinterleib. Die Studentinnen murmeln anerkennend.

Die jungen Frauen, die im Dschungel die Bienen wecken, lernen einen der zukunftsträchtigsten Berufe ihres Landes. Imkern könnte dereinst in Äthiopien so wichtig sein wie der Anbau von Kaffee. Das ostafrikanische Land ist bereits heute der viertgrösste Honigproduzent der Welt und hat beste Voraussetzungen für die Bienenhaltung: Sie gehört seit Jahrtausenden zur äthiopischen Kultur, und Statistiken zählen gegenwärtig 1.8 Millionen Imker. Weil über neunzig Prozent nach traditionellen Methoden arbeiten, fallen ihre Erträge aber eher bescheiden aus, und die Qualität des Honigs ist oft mangelhaft. Man findet darin tote Bienen und Wachsrückstände, oder er hat einen zu hohen Wassergehalt, gärt und kann nur noch als Honigwein verkauft werden. Deshalb bildet die Universität Imker in der modernen Bienenhaltung aus, aber auch die Privatwirtschaft, Hilfsorganisationen und die Regierung bieten Kurse an. Und die Schweizer Stiftung Learning for Life.

Die Imkerei entwickelt sich

Mamush Abduraman hat im vergangenen Jahr vom Berner Bienenforscher Peter Gallmann gelernt, wie man die Bienen von einem traditionellen in einen modernen Kasten umsiedelt. Jetzt gibt er sein Wissen an die Studentinnen weiter. Marta Hailu fasst in die Röhre aus getrocknetem Kuhdung, in der das Volk bisher gelebt hat, und holt mit einem kleinen Besen noch die letzten Bienen raus. Derweil leuchtet Tigist Etsesa mit einer Taschenlampe auf Imker Abduraman. Dieser setzt die Königin vorsichtig in eine gelbe Holzkiste, ihr neues Zuhause. Der Vorteil der modernen Kästen besteht vor allem darin, dass man sie öffnen kann und kontrollieren, wann der Honig reif ist. Abduraman arbeitet mit Magazinbeuten, wie wir sie in der Schweiz kennen. Das sind mehrstöckige Holzkisten mit filigranen Rähmchen, welche den Bienen zu einer übersichtlichen Ordnung verhelfen: Der obere Teil ist für den Honig, der untere für die Brut. Manchmal verziehen sich die Rähmchen aber im feuchten Klima. Deshalb empfiehlt Bienenexperte Gallmann sogenannte Top-Bar-Kästen, die ohne Rähmchen auskommen und einfach zu bauen sind.

Die Imker in Äthiopien arbeiten immer nachts, weil ihre Bienen viel schneller und aggressiver sind als die unsrigen. Westliche Boulevardmedien nennen sie gern Killerbienen, ein Wort, das die Äthiopier zum Lachen bringt. Gewiss, die afrikanischen Bienen sind frech, aber sie sind letztlich harmlos – und sehr robust. Bienensterben ist in Äthiopien kein Thema. Zudem sind Honig und Wachs frei von chemischen Rückständen, denn hier, im westlichen Hochland von Äthiopien, werden keinerlei Pestizide eingesetzt und keine genetisch veränderten Pflanzen angebaut. Der Regenwald wird von der Unesco geschützt. Ein idealer Ort für die Bienenhaltung, befand Peter Gallmann, als ihn die Schweizer Stiftung Learning for Life vor vier Jahren ins äthiopische Hochland holte. Die Vegetation ist derart üppig, dass immer Blumen blühen und das ganze Jahr hindurch Honig geerntet werden kann. Gallmann begann sein Projekt im Dorf Supe auf 1800 Meter über Meer, wo Affen über die Bäume turnen, Kinder in klaren Bächen baden und breite Wasserfälle in grüne Schluchten stürzen. Ein Paradies, wären da nicht die Probleme eines typischen Entwicklungslandes: fehlende Infrastruktur, ein marodes Gesundheitssystem, Korruption und mangelhafte Bildung. «Die Bienenhaltung könnte ein Weg aus der Armut sein», sagt Gallmann. Deshalb auch die Ausbildung der 33 Studentinnen. Sie wird von der Schweizer Stiftung Learning for Life finanziert und von Gallmann fachlich unterstützt. Er lebt in Bern, ist aber mehrfach nach Äthiopien gereist.

In der Schweizer Bienenforschung ist der zurückhaltende Gallmann eine Koryphäe. Im vergangenen Jahr hat er im Auftrag des Bundesrats einen Expertenbericht über das Bienensterben verfasst. Darin hält er fest, dass unsere Bienen unter verschiedenen Faktoren leiden: Pflanzen- und Insektengifte setzen ihnen zu, ein mangelndes Nahrungsangebot und die Varroa. Die zeckenartigen Milben saugen wie Vampire an den Schweizer Bienenbabys. Auch in Äthiopien gibt es die fiesen Viecher. Doch hier wissen sich die Bienen zu wehren: Taucht die Varroa in grosser Zahl auf, dann fliegen sie weg.

Lehrer Menegesha beisst in ein Stück Bienenwabe, gefüllt mit Gelée royale, dem Futter für die Königin, über dessen Wunderkräfte man sich die abenteuerlichsten Geschichten erzählt. «Jetzt werde ich ewig leben», sagt er, kaut, schaut zu den Sternen hinauf, lacht. Dann klopft er auf den modernen Bienenkasten und erklärt den Studentinnen, dass man damit bis zu zehnmal mehr Honig ernten kann als mit den traditionellen Körben. Tigist nickt. Das Argument scheint sie zu überzeugen. Sie weiss genau, weshalb sie Imkerin werden will: «Ich möchte viele Birr verdienen», sagt sie. Birr ist die einheimische Währung. Für Tigist ist die Imkerei kein romantisches Hobby, sondern ein Beruf zur Existenzsicherung. Um am Lehrgang teilzunehmen, musste sie ein Auswahlverfahren bestehen. Eine Bedingung lautet, dass die Studentinnen bereits Erfahrung mit der Bienenhaltung haben.

Für eine bessere Zukunft

Als Tigist zwölf Jahre alt war, begann sie ihrem Bruder bei der Honigernte zu helfen. Er kletterte auf den Baum und holte den Bienenkorb runter, sie öffnete ihn und schaufelte die Waben raus. Sie erinnert sich: «Beim ersten Mal wurde ich so oft gestochen, dass meine Hand zu einem Wurzelstock anschwoll.» Fortan trug sie Handschuhe. Aufgewachsen ist Tigist in einem Dorf ohne Elektrizität, das Bett hat sie mit einer Schwester geteilt. Heute ist Tigist zwanzig Jahre alt, eine zierliche junge Frau, deren Gesichtszüge ständig in Bewegung sind. Pünktlichkeit ist nicht ihre Stärke, aber sie ist wissbegierig und denkt schnell. «Meine Eltern bekommen einen schlechten Preis für ihren Honig. Seit ich den Kurs besuche, weiss ich weshalb. Er ist unrein, wir sollten ihn filtern.» Tigist möchte ihren Eltern zeigen, wie das mit den neuen Kästen geht. Sie seien nie in die Schule gegangen und besässen nur einen kleinen Acker. Es reicht, damit immer genügend Essen auf den Tisch kommt, aber nicht für mehr. Tigist macht es nichts aus, nach der Ausbildung aufs Land zurückzukehren. Sie sieht das pragmatisch: «In der Dorfschule hat es ein Solarpanel. Dort kann ich mein Handy aufladen.»

Tags zuvor auf dem Campus der Universität Metu: Ziegen suchen Grasbüschel auf der roten Erde, Studenten spielen Volleyball und Pingpong oder sitzen auf niedrigen Hockern und trinken äthiopischen Kaffee. Tigist mag ihn mit Salz, nicht mit Zucker. Sie ruft einem Jungen etwas zu und schlendert dann – als Letzte – in den Unterricht. Im dritten Stock ist das Klassenzimmer der Biologinnen. Hier erklärt ihnen Solomon Menegesha, wie man Honig schleudert oder welche Pflanzen sie rund ums Bienenhaus setzen sollen. Der Kurs dauert drei Wochen und besteht aus theoretischen und praktischen Modulen. Jetzt verteilt der Lehrer Strohhüte, Stoff und ein Stück Moskitonetz und fordert die Klasse auf, daraus Kopfschutze zu nähen. «Macht bitte kleine Stiche, damit die Bienen nicht reinkriechen können.» Marta kraust ihre zierliche Nase und legt los. Eine halbe Stunde später hat sie den Hut fertig, setzt ihn auf, dreht sich im Kreis und lässt sich beklatschen. Sie ist 21 Jahre alt und macht neben dem Biologiestudium abends noch eine Ausbildung als Krankenschwester. Später möchte sie in einem Spital arbeiten und fürs Zusatzeinkommen Bienen halten – «und ab und zu einen Film mit Jackie Chan schauen». Sie liebt Actionmovies, wie die meisten Studentinnen. Neben ihr sitzt Fatuma Yesuf, eine ernsthafte junge Frau und die einzige Muslimin in der Klasse. Sie nimmt ihre Näharbeit ins Studentenwohnheim mit, wo sie gemeinsam mit fünf anderen Frauen ein kleines Zimmer bewohnt. In einem Spind liegt ihr Besitz: zwei T-Shirts, zwei Unterhosen, ein Tuch, eine Seife und ein Haaröl. Das soll nicht so bleiben, Fatuma hat grössere Pläne: Sie will sich mit anderen Imkerinnen zu einer Kooperative zusammenschliessen und dereinst Honig exportieren.

Auf einem Balkon 500 Kilometer östlich von Metu steht ein Mann, der Fatumas Vision bereits lebt. Haile Giorgis Demissie schaut hinunter auf die Hauptstadt Addis Abeba. Kräne ziehen neue Gebäude aus dem Boden, die Stadt wächst wie ein Kleinkind, jeden Monat trägt sie ein neues Kleid. Auch Demissie baut: drei Fabriken. Er ist der grösste Honigproduzent des Landes, ein charismatischer Mann, trägt Jeans und eine teure Uhr. In den Bienen sieht er ein grosses Potenzial für die Exportwirtschaft, aber auch für einzelne arme Bauern. Bereits heute beliefern ihn 950 Imker aus dem waldigen Hochland. «Um Bienen zu halten, braucht man nur eine kleine Fläche, und die Kästen kann man vom lokalen Schreiner bauen lassen.» Demissies Honig ist zertifiziert, bio und fairtrade und nicht zuletzt deswegen im Ausland gefragt. Im vergangenen Jahr exportierte er 420 Tonnen Honig und 68 Tonnen Wachs nach Europa, Amerika und Japan. Und er ist nicht allein. Immer mehr Geschäftsleute investieren in Honig. 2012 gab es in Äthiopien 17 registrierte Honigexporteure, 2014 bereits mehr als doppelt so viele. Haile Giorgis Demissie sagt: «Es ist aufregend. Wir bauen hier eine neue Industrie auf.» Eine Industrie übrigens, die auf eine intakte Natur angewiesen ist. «Man kann nicht die Imkerei fördern und gleichzeitig Wälder abholzen.»

Am anderen Ende der Stadt arbeitet ein Mann mit ähnlichen Ansichten. Gezahegne Tadesse sitzt im Landwirtschaftsministerium an einem grossen Schreibtisch, hinter dem sich Aktenberge stapeln. An seinem Revers steckt ein Pin mit der Aufschrift «bee or not to be». Sein oder Nichtsein, darüber entscheiden die Bienen, sagt Tadesse: «Sie bestäuben unser Essen. Ohne Bienen keine Orangen, Melonen, Nüsse, keine Soja, kein Kaffee.» Deshalb müsse man den Bienen Sorge tragen – und natürlich wegen des Honigs. Seit 36 Jahren arbeitet der Mann mit den verdunkelten Brillengläsern im staatlichen Honigsektor. «Äthiopien produziert jährlich rund 54 000 Tonnen Honig. Das Potenzial wäre aber zehnmal höher», so Tadesse. Die Imker müssten sich untereinander besser vernetzen, damit sie voneinander lernen und gemeinsam Anschaffungen machen können, etwa Honigschleudern oder Wachspressen. Selbstkritisch räumt er ein, der Staat habe bei der Förderung der Imkerei auch Fehler begangen. Man habe im ganzen Land moderne Kästen verteilt,aber den Bauern zu wenig gut erklärt, wie sie funktionieren. Ohne Weiterbildung und Beratung waren viele überfordert, und ihre Kästen verrotteten ungenutzt.

Bei Imker Mohammed Fissehas lief es anders. Auch er erhielt einen staatlichen Kasten – und imkerte fortan erfolgreich. Heute besitzt er über fünfzig Bienenkästen. «Mohammed ist für meine Studentinnen das beste Vorbild», sagt Lehrer Menegesha. Auf der Fahrt im Schulbus von der Universität zu Mohammed Fissehas’ Dorf zeigen die Mädchen aus dem Fenster und rufen lateinische Namen: «Delonix regia!», ein Baum mit feuerroten Blüten, als stünde er in Flammen, «Coffea arabica!», die Kaffeestauden wachsen hier auch wild im Wald, «Cordia africana!», ein 25-Meter-Baum, aus dessen Holz die neuen Bienenkästen gezimmert werden.

Der Wunsch nach einem süssen Leben

Imker Fissehas führt die Studentinnen zu seinem Haus und verrät ihnen sein Erfolgsrezept: «Ich lebe mit den Bienen.» Neben seinem Bett geht ein vergittertes Fenster direkt aufs Bienenhaus. «Wenn ein Pavian meinen Honig klauen will oder Ameisen meine Bienen attackieren, kann ich sofort eingreifen.» Die Studentinnen schauen sich um, fotografieren mit ihren Handys. Später machen sie gemeinsam ein Feuer, schmelzen in einem grossen Topf Wachs und pressen daraus Waben, die sie an den Rähmchen befestigen. Es riecht nach Rauch und Blütenstaub, die Sonne hat die kühle Morgenluft bereits zu einer klebrigen Masse erhitzt. Zur Mittagszeit verteilt eine Studentin Wasser und Brot, der Imker spendiert den Honig. Lehrer Menegesha taucht einen Kaffeelöffel hinein und hält ihn schulmeisterlich in die Höhe: «Dafür haben zwölf Bienen ein Leben lang gearbeitet.» Als alle unter einem ausladenden Baum Platz genommen haben, beugt sich Tigist zu ihrer Kollegin: «Mohammeds Honig schmeckt fantastisch.» Fatuma legt ihr die Hand auf den Arm und sagt: «Wir müssen es wie die Bienen machen: Struktur, Arbeitsteilung, Fleiss.» Tigist lacht, doch Fatuma blickt sie ernst an. «Ich will ein süsses Leben haben.»

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