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«Ein Kind zu bekommen ist eine gemeinsame Sache»

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«Ein Kind zu bekommen ist eine gemeinsame Sache»

  • Text: Miriam Suter; Foto: Pexels

Seit letztem Sonntag steht fest: Die Schweizer Bevölkerung wird über einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub abstimmen. Vier Wochen bezahlt, fordern die Initianten. Dieser Vorstoss setzt das Parlament unter Druck.

Pünktlich zum Vatertag am 4. Juni erreichte der Verein «Vaterschaftsurlaub jetzt!» die nötigen 120 000 Unterschriften für die Initiative, die einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub fordert. Dahinter stecken die vier Dachverbände der Arbeitnehmenden (Travail.Suisse), der Männer- und Väterorganisationen (männer.ch), der Frauenorganisation Alliance F und der Familienorganisation Pro Familia Schweiz – und damit knapp 140 Organisationen.

Die Forderung: vier Wochen bezahlter Urlaub für Väter im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes. Die Initiative sieht vor, dass die 20 Urlaubstage flexibel bezogen werden können. So soll es laut Initiativtext auch möglich sein, ein Vollzeitarbeitspensum während 20 Wochen auf 80 Prozent reduzieren zu können oder die freien Tage erst nach Ablauf der Mutterschaftsurlaubs einzusetzen – etwa dann, wenn das Kind an die Krippe gewöhnt wird und die Mutter an den Arbeitsplatz zurückkehrt.

Dieser Vorstoss setzt das Parlament unter Druck: Dreissigmal in den vergangenen zehn Jahren hat es sich gegen einen Vaterschaftsurlaub oder eine Elternzeit ausgesprochen, zuletzt wurde 2016 eine Initiative von CVP-Nationalrat Martin Candinas für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub im Ständerat knapp abgelehnt. Nun laufen in den Parteien die Vorbereitungen für einen entsprechenden Gegenvorschlag, bevor die Wählerinnen und Wähler an die Urne gehen. 

«Alle Wünsche können die Arbeitgeber nicht erfüllen»

Eines der schlagkräftigsten Argumente gegen einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub ist die Finanzierung: Die Initiative sieht vor, dass die Kosten von jährlich 380 Millionen Franken über die Erwerbsersatzordnung finanziert werden – wie der Mutterschaftsurlaub und die Sozialversicherungen. Je 0.06 Lohnprozente soll der Vaterschaftsurlaub Arbeitnehmende und Arbeitgebende kosten. Die Initiantinnen und Initianten rechnen vor: Bei einem Bruttolohn von 6000 Franken entspricht das 3.60 Franken, die am Ende des Monats weniger auf dem Lohnblatt stehen. Der Preis von «einem Kaffee pro Monat», wie es im Initiativtext steht.

«Zu teuer», findet Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands. Für ihn steht fest: Ein Vaterschaftsurlaub auf gesetzlicher Ebene ist für die Schweizer Unternehmen eine inakzeptable finanzielle Belastung: «Wir haben in der Schweiz schon vier bis fünf Wochen Ferien, dazu noch viele Feiertage, das ist alles von den Arbeitgebern bezahlte freie Zeit. Alle Wünsche können die Arbeitgeber nicht erfüllen.»

Grundsätzlich gegen einen bezahlten Urlaub für Väter spricht sich der Verbandspräsident aber nicht aus: «Betriebs- oder Branchenlösungen sind der bessere Weg. Jeder Betrieb soll selber entscheiden können, ob und wie lange Väter nach der Geburt der Kinder frei nehmen können. Es gibt ja bereits viele Betriebe und Branchen, die das auf diese Weise gelöst haben.» Vier Wochen seien zu lang für einen Vaterschaftsurlaub, findet Vogt. Er selber habe nach der Geburt seiner beiden Kinder jeweils einige Tage frei genommen, «wenn Not am Mann beziehungsweise an der Frau war». Früher oder später müsse man sich als Familie sowieso organisieren. Vogt sieht Tagesstrukturen in den Schulen als die «letzte Meile der Gleichberechtigung in der Schweiz»: Diese müssen besser ausgebaut werden, damit das Potenzial der Frauen auf dem Arbeitsmarkt besser genutzt werden kann.  

Das sieht Adrian Wüthrich, Präsident von Travail.Suisse und Kampagnenleiter von «Vaterschaftsurlaub jetzt!», anders: «Gerade wegen des Kostenarguments fordern wir einen Vaterschafts- und nicht einen mehrwöchigen Elternurlaub. Der vierwöchige Vaterschaftsurlaub ist definitiv finanzierbar – die Lohnbeiträge für die Erwerbsersatzordnung müssten mittelfristig nur unwesentlich angepasst werden.» Wüthrich argumentiert unter anderem damit, dass die Entschädigungen für Militärdiensttage, die auch über die EO abgerechnet werden, ständig abnehmen. Und er sieht im Vaterschaftsurlaub auch wirtschaftliches Potenzial. Kleine und mittelgrosse Unternehmen in der Schweiz könnten sich heute kaum einen bezahlten Urlaub für Väter leisten, im Gegensatz zu grösseren Unternehmen wie Novartis (sechs Tage), die Migros (15 Tage) oder die UBS (zehn Tage). Das wäre durch die Initiative anders: «Glück hat heute der Vater, der bei einem Grossunternehmen oder in der öffentlichen Verwaltung arbeitet. Unsere Initiative erlaubt aber allen Firmen, einen Vaterschaftsurlaub anzubieten.» 

Frühestens Ende 2020 kommt die Initiative vor die Urne. Wüthrich ist zuversichtlich, dass dann die nötigen Ja-Stimmen bei der Volksabstimmung zusammenkommen werden: «Ich bin seit vielen Jahren als politischer Aktivist unterwegs und habe noch nie einen derartigen Zuspruch beim Unterschriftensammeln erlebt. Zudem konnten wir vor allem über die sozialen Medien eine breite, zivilgesellschaftliche Allianz für den Vaterschaftsurlaub mobilisieren. Dies wird uns im Abstimmungskampf enorm helfen.»

Papi-Zeit für gleichberechtigte Beziehungen

Die Mütter und Väter in der annabelle-Redaktion befürworten einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub. Moderedaktorin Michèle Boeckmann, die diesen Sommer ihr erstes Kind erwartet: «Ich finde vier Wochen müssten mindestens drinliegen. Die Mutter und das Kind brauchen diesen ersten Monat, um sich intensiv kennenzulernen. Der Vater braucht diese Zeit mit dem Kind ebenso. Er muss auch lernen die Bedürfnisse des Kindes richtig einzuschätzen.»

Auch für annabelle-Beautyredaktorin Olivia Goricanec, Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter, steht fest, dass es einen Vaterschaftsurlaub braucht: «Mir ist ehrlich gesagt immer noch nicht klar, weshalb es diesen nicht geben sollte. Den Vätern müsste es ausserdem möglich sein, den Urlaub zu verlängern. Ein Kind zu bekommen ist eine gemeinsame Sache!» annabelle-Kulturredaktor Frank Heer hat eine 3-jährige Tochter und einen 5-jährigen Sohn und fügt an: «Die Väter lernen in dieser Zeit auch, dass Kinderbetreuung anstrengend sein kann. Das trägt viel zu einer gleichberechtigten Beziehung bei.»