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«Ich nehme nur teil, wenn eine Frau auf dem Podium ist»

Leben

«Ich nehme nur teil, wenn eine Frau auf dem Podium ist»

  • Interview: Helene Aecherli; Illustration: iStock / vaximilian

SP-Nationalrat Cédric Wermuth setzt ein Zeichen: Er boykottiert öffentliche Diskussionsrunden, die nur aus Männern bestehen. Und er stellt sich der Herausforderung, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Denn Emanzipation ist nicht bloss Frauensache.

annabelle: Cédric Wermuth, Sie haben gelobt, an keinem Podium mehr teilzunehmen, das nur aus Männern besteht. Wie konsequent sind Sie?
Cédric Wermuth: Ehrlich gesagt, manchmal geht eine Einladung durch, dann muss ich bereits gemachte Zusagen im Nachhinein korrigieren. Ich bin aber auch schon drein gelaufen: Als für ein Podium mal die einzige Frau absagte, wurde sie in letzter Sekunde durch einen Mann ersetzt. Da konnte ich nicht einfach verschwinden.

Was war der Auslöser für Ihren Boykott?
Die Kritik eines guten Freundes. Er mokierte sich über die Zusammensetzung der Gäste an einem Podium in Luzern, an dem ich letzten November teilnahm. Und er hatte völlig recht. Denn in der Diskussionsrunde waren nur Männer, sogar der Moderator war ein Mann. Ich war überrascht, vor allem über mich selber: Da hält man sich als linker Mann für wahnsinnig gendersensibel und merkt nicht, wie «normal» solche All-Male-Podien noch immer sind. Darauf entschied ich, nicht mehr an Männerpodien teilzunehmen und veröffentlichte diesen Entschluss auf meinem Blog – quasi um mich selbst in die Pflicht zu nehmen.

Wie reagieren die Veranstalter auf Ihren Boys-Club-Boykott?
Es gibt welche, die verstehen das gar nicht. Andere sind dankbar für den Input, wiederum andere fühlen sich bestätigt, weil sie schon seit Jahren auf Ausgewogenheit achten. Werde ich heute angefragt, sage ich gleich zu Beginn, dass ich nur komme, wenn mindestens eine oder zwei Frauen mit auf dem Podium sind. Vom Argument, man finde keine Frau, halte ich gar nichts. Ich weiss von keinem einzigen politischen Bereich, in dem es nicht auch kompetente Frauen gibt.

Es ist aber in der Tat nicht einfach, Frauen für öffentliche Diskussionsrunden zu gewinnen. Dafür braucht es oft einen Extraeffort. Ein Männerpodium hat man jedoch schnell zusammen.
Das höre ich auch von Sendungen wie der «Arena» immer wieder: «Wir haben 15 Frauen angefragt, doch alle sagten ab.» Aber dann müssen die zuständigen Redaktoren eben insistieren. Das zwingt auch die angefragten Frauen, Hemmungen abzulegen sowie Verantwortung und damit auch eine Vorbildfunktion zu übernehmen. In dieser Hinsicht haben auch die politischen Parteien noch eine grosse Aufgabe vor sich.

Für Ihren Vorstoss ernten Sie nebst Applaus vor allem auch Spott und Häme.
Ja, ausserhalb meiner Fraktion gabs viel Spott. An Podien werde ich von männlichen Zuschauern immer wieder angezündet. Bei jeder Veranstaltung, die ich auf Facebook poste, kommen Sprüche wie: «Hats genug Frauen für dich gegeben?» Oder: «Hast du auch darauf geschaut, ob es Schwule und Muslime dabeihat?»

Warum dieser Spott?
Vielleicht ist der Spott ein Zeichen der Verunsicherung. Männer spüren, dass ihre Privilegien zunehmend infrage gestellt werden. Grundsätzlich glaube ich aber, dass der Spott Ausdruck ist für die Ignoranz gegenüber dem Gender-Bias in unserer Gesellschaft. Deshalb finden viele diese Diskussion irrelevant und abstrus.

Was entgegnen Sie Ihren Spöttern?
Gar nichts. Wenn ich aber auf meinen Boykott angesprochen werde, erkläre ich, worum es mir geht. Ich frage etwa: «Im Ernst, glaubst du wirklich, dass da oben nur Männer sitzen, weil es keine einzige Frau gibt, die nicht genauso gut wäre?» Es gibt dann kaum jemand, der nicht sagt: «Ja, das stimmt, das hat was.»

Ein blinder Fleck?
Und wie. Gerade bei Männern besteht eine regelrechte kognitive Dissonanz zwischen dem Bild, das sie sich von der Gesellschaft machen, und der Realität.

Was meinen Sie damit?
Ich treffe immer wieder auf junge Männer, die die Gleichstellung längst für erfüllt halten. Sie können in einer Firma arbeiten, die nur Männer im Kader hat, aber der Überzeugung sein, sie hätten innerhalb der Firma eine gleichberechtigte Förderungspolitik. Dasselbe sehe ich in der Politik oder beim Bund: Da gibt es Kader, die stolz darauf sind, einen Frauenanteil von 20 Prozent zu haben. Das ist zwar ein Anfang, aber längst nicht genug. Denn die übrigen 80 Prozent sind noch immer männlich.

Was ist dagegen zu tun?
In der Wirtschaft muss die Diskussion um Quoten wiederaufgenommen werden. Zudem können wir Männer als Verbündete Aufklärungsarbeit unter Männern betreiben. Das ist ganz wichtig. Darüber hinaus glaube ich, dass wir die Anliegen der Frauenbewegung viel ernster nehmen müssen. Es gibt im Moment viele junge Frauen, die ihre Rechte lautstark einfordern und eine grundlegende Systemkritik üben. Ich bin froh, wenn diese Frauen auch gegenüber uns Politikern fordernder und bissiger werden.

Sie sagen, Sie seien ein auf Genderfragen sensibilisierter Mann. Was hat Sie sensibilisiert?
Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der sehr gleichberechtigt und politisch engagiert war. Das legte wohl den Grundstein. Als ich mich bei den Jusos mit der feministischen Theorie beschäftigte, entdeckte ich per Zufall den Blog der britischen Feministin Laurie Penny. Ich war überrascht, wie präzise sich aus der feministischen Perspektive Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen formulieren lässt. Am nachhaltigsten sensibilisiert hat mich aber die Geburt meiner Tochter vor bald zwei Jahren. Plötzlich erlebt man live mit, wie früh die Prägung der Geschlechterrollen anfängt. Die Geschlechter sind unterteilt in Rosa und Blau und damit wird Geld verdient. Du findest als Eltern praktisch keine Babykleider, die nicht explizit «für Mädchen» oder «für Jungs» sind. Echt krass. Das ist mir total eingefahren.

Was halten Sie dem entgegen?
In erster Linie hoffe ich, dass die Beziehung zwischen meiner Frau und mir unserer Tochter zeigen wird, wie man gleichberechtigt miteinander umgeht. Im Moment bemühen wir uns darum, eine Balance zu finden. So versuchen wir zum Beispiel, ihr Kinderbücher zu geben, in denen andere Geschichten erzählt werden, als die vom kleinen Mädchen, die Prinzessin werden will. Aber mir ist klar, dass man das Kind nicht von der Aussenwelt abschirmen kann. Zudem erzieht man ein Kind ja nicht allein, da sind Dutzende von Menschen mitbeteiligt, nicht zuletzt auch die Gesellschaft. Ich bin dann mal gespannt, wie wir damit umgehen werden, wenn sie eine «Barbie» oder «Hello Kitty»-Spielzeug will, weil das halt alle haben. Man kann ihr das ja auch nicht verbieten.

Da wird man bei Ihnen wohl genau hinschauen.
Ich weiss. Aber auch ich bin nicht frei von Widersprüchen. Meine Familie ist für die Öffentlichkeit jedoch grundsätzlich tabu. Und was meine Tochter später macht, wie sie lebt oder wen sie liebt, das ist ihre Entscheidung.

Wie bringen Sie Kind und Karriere unter einen Hut?
Um ehrlich zu sein, gar nicht. In der Schweiz eine politische Karriere zu verfolgen und gleichzeitig eine gleichberechtigte Beziehung leben zu wollen, ist unmöglich. Wir leben auf dem Land. Dort ist die familienexterne Kinderbetreuung sehr schwach ausgebaut und teuer. Ein Riesenhindernis – und einer der Gründe, weshalb ich neben dem Parlament nur wenig klassische Erwerbsarbeit mache. Ich habe noch ein tiefes Arbeitspensum als Strategieberater bei einer Kommunikationsagentur. Mehr liegt nicht drin, ich hätte sonst keine Zeit mehr für die Beziehung, für Freunde und um mich um unsere Tochter zu kümmern. Gerade auch alleine Zeit mit ihr zu verbringen, ist mir sehr wichtig.

Konkret: Wie viel Betreuungsarbeit leisten Sie?
Faktisch leistet meine Frau sicher deutlich mehr Betreuungsarbeit als ich. Wir versuchen zwar, das Familienleben so ausgewogen wie möglich zu organisieren. Während der Sessionen, zum Beispiel, ist das aber nicht umsetzbar. Dann bin ich drei Wochen am Stück Non-Stop in Bern, habe zudem viele Termine am Abend und am Wochenende. Wenn keine Session ist, betreue ich meine Tochter mindestens einen Tag pro Woche. Das ist nicht viel, aber immerhin. Wir haben viel Unterstützung von Grosseltern, Geschwistern und Freunden. Ohne dieses Netz wäre es unmöglich.

Sie könnten doch mehr Betreuungsarbeit übernehmen, wenn Sie wirklich wollten, oder?
Klar könnte ich. Dann müsste ich in dieser Form mit Politik aufhören. Das wäre vielleicht konsequent. Und vielleicht kommt der Tag, da es tatsächlich nicht mehr geht. Bis dahin will ich dafür kämpfen, dass meine Tochter in einer Gesellschaft aufwächst, in der sich dieses Dilemma nicht mehr stellt.

Ein Vorschlag: Sie setzen sich für eine Kinderkrippe im Bundeshaus ein.
Ja, das wäre sehr dringend. Ich werde mir einen solchen Vorstoss überlegen. Denn Fakt ist: Karriere und Betreuungsarbeit lassen sich in der Schweiz für die meisten immer noch nicht vereinbaren, auch nicht für Frauen. In dieser Beziehung sind wir ein Entwicklungsland. Deswegen habe ich Mühe mit dem Vorwurf, wir müssten halt individuell einfach etwas mehr wollen. So einfach ist es nicht. Das hat mich nach der Geburt meiner Tochter selber überrascht. Dasselbe höre ich auch von sehr vielen Eltern.

Aber nun mal ehrlich: Wenn genug Männer wirklich wollten, hätten sie diese konventionellen Strukturen doch längst aufgebrochen.
Wenn wir von Männern als eine Gruppe reden, absolut einverstanden. Doch ist es im Einzelfall fast unmöglich, die strukturellen Bedingungen zu überwinden. Mein Parlamentsmandat erlaubt mir immerhin während des Tages gewisse Freiheiten. Einem Freund von mir wurde aber beispielsweise verweigert, sein Arbeitspensum von 100 auf 90 Prozent zu reduzieren, als er Vater wurde. 10 Prozent! Dass eine Firma dies einem Mitarbeiter nicht zugesteht, ist absurd. Die junge Familie kann es sich logischerweise nicht leisten, dass er einfach mal aufs Blaue hinaus kündet.

Macht Sie das nicht wütend?
Doch, sehr. Das ist mit ein Grund, weshalb ich mich für die Vaterschaftsurlaubsinitiative engagiere. Vier Wochen Vaterschaftsurlaub sind nicht viel, aber hoffentlich ein Anfang. Wir Männer müssen uns dagegen wehren, stets in die Rolle des erfolgreichen Alleinernährers und Karrieristen gedrängt zu werden. Dieses veraltete Rollenbild zwingt auch uns in ein Korsett. Viele Männer wollen das nicht mehr.

Diese Rolle ist unter Männern aber noch immer weitgehend unbestritten.
Natürlich. Und es ist nach wie vor einfacher für einen Mann als für eine Frau, die eigene Karriere zu verfolgen, wenn Kinder da sind. Hier in der Schweiz herrscht noch immer die Logik, dass ein Mann, der Vater wird, einfach weitermacht, wie bisher und alles um ihn herumorganisiert wird. Der fehlende Vaterschaftsurlaub zementiert dies noch.

Also, gehören auch Männer an Bord der Emanzipationsbewegung.
Unbedingt. Und zwar auch an Bord der Eigenen. Ich glaube jedoch nicht, dass ein Mann die Emanzipationsbewegung der Frauen anführen kann und wird. Aber wir können eine positive Rolle spielen. Wenn Männer dabei sind, geht es womöglich schneller.

Was gewinnen Sie mit Ihrem Engagement?
Ein selbstbestimmteres Leben. Zudem erhalte ich eine andere Dimension des Menschseins, auf die ich heute nicht verzichten will. Das heisst für mich: Mehr Raum zu haben für Zwischenmenschlichkeit, zum Beispiel mit meiner Tochter. Der Erfolg und die Anerkennung an anderen Orten wird weniger wichtig.

Nun aber Hand aufs Herz: Würden Sie sich vor den nächsten Nationalratswahlen auf Ihren Entscheid, reine Männerrunden zu boykottieren, besinnen und tatsächlich eine «Männer-Arena» sausen lassen?
Ja, ich meine das sehr ernst. Und ich hoffe, ich ziehe das durch.