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Arme Länder: So denkt die neue Generation

Leben

Arme Länder: So denkt die neue Generation

  • Text: Susanne Strässle; Aufgezeichnet von Hanspeter Bundi, Wendy Rivera, Gabriele Grossenbacher

Nepal, Äthiopien, Bolivien, Burma und Bangladesh: annabelle hat in diesen Ländern Grossmüttern und ihren Enkeln die gleichen Fragen gestellt. Wie denken sie über Freiheit, wovon träumen sie - und was ist ihr Lieblingsessen?

Früher war alles gut? Von wegen. Die Entwicklungsorganisation Helvetas und annabelle haben Grossmütter und ihre Enkelkinder aus fünf armen Ländern von einst und heute erzählen lassen. Lesen Sie die Reportage «Ein starkes Erbe» in der aktuellen annabelle.
Doch was ist mit ganz alltäglichen Fragen, dem Verständnis von Freiheit und persönlichen Wünschen für die Zukunft? Wir haben zusammen mit Helvetas bei beiden Generationen noch einmal nachgefragt. 

Nepal

Der Enkel
Govind Shahi (17), Veterinärassistent, ledig. Er wohnt mit seinem kleinen Bruder bei seinen Eltern im Weiler Kolanda in Birpath mit 32 Familien im äussersten Westen des Landes.

Die Grossmutter
Manpura Shahi (75), Bäuerin. Sie lebt bei ihrem Sohn und dessen Familie ebenfalls im Weiler Kolanda in Birpath.

Was ist Ihr Traumjob?
Govind Shahi: Früher wollte ich einfach etwas machen, bei dem ich meinem Vater helfen kann. Jetzt träume ich davon, Tiermedizin zu studieren.
Was war Ihr Traumberuf früher?
Manpura Shahi: Ich hatte keinen Berufstraum.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und Enkelkinder und allgemein für Ihr Land?
Govind Shahi: Dass wir alle die Möglichkeit haben, unsere Ressourcen auf die beste Art und Weise zu nutzen.
Manpura Shahi: Dass mein Enkel vielleicht weitere Schulen besuchen und sein Wissen vertiefen kann.

Was ist das Fortbewegungsmittel, das Sie am häufigsten nutzen?
Govind Shahi: Der Bus.
Manpura Shahi: Ich fahre nicht mehr weg.

Was mögen Sie an Ihrer Grossmutter?
Govind Shahi: Dass sie mich mit so viel Liebe begleitet. Ich bewundere sie, wie sie ihr Leben als Witwe mit einem Kind gemeistert hat. Und dass sie noch mit 56 Jahren einen Kurs besuchte. 
Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrem Enkel?
Manpura Shahi: Dass er nichts vergeudet. Dass er so fleissig studiert und höflich ist. Dass er mich ehrt und respektiert.

Was heisst Freiheit für Sie?
Govind Shahi: Selbstständig zu entscheiden, aber so, dass es der Familie und dem Dorf nützt.
Manpura Shahi: Ich hatte sehr spät noch die Gelegenheit, etwas zu lernen. Das ist auch Freiheit.
 

Äthiopien

Die Enkelin
Asmera Amtachew (20), Lehrerin in staatlichen Alphabetisierungskursen für Erwachsene auf dem Land. Sie lebt ohne Partner in Shemamdan, dem Gemeindehauptort mit ca. 1000 Haushalten. Asmera Amtachew hat einen Sohn (Tamir, 2 Jahre). Sie ging zehn Jahre in die Schule und besuchte ein Jahr lang die Berufsschule, in der sie IT-Grundwissen erlernte. 

Die Grossmutter
Wubite Tebeje (ca. 75), Bäuerin. Sie lebt allein in Gaquiew, einem Weiler aus Hütten mit 40 bis 50 verstreut liegenden Haushalten. Sie hat keine schulische Ausbildung. Sie ist Mutter von fünf Töchtern und drei Söhnen sowie Grossmutter von zehn Enkelkindern. Ihr Ehemann ist pflegebedürftig und lebt in der Familie einer ihrer Söhne. Nachts schläft ein Enkel, der wegen eines Gesundheitsproblems unverheiratet geblieben ist, bei Wubite Tebeje in der Hütte, zu ihrer Sicherheit. Gleich nebenan steht die Hütte ihrer (erblindeten und deshalb von ihrem Ehemann verlassenen) Tochter und deren Kinder.

Was ist Ihr grösster Wunsch?
Amtachew: Ich habe vor, Ende dieses Jahres ans College zu gehen, um mein Diplom nachzuholen. Ich möchte weiterhin professionell unterrichten als Lehrerin, und ich möchte in den Distrikthauptort ziehen. Ich möchte mein eigenes Haus bauen, sparen, glücklich leben.
Tebeje: Was soll ich mir wünschen, ich bin alt. Da ist nichts, was ich tun könnte. Die Familie gibt mir zu essen, ich bitte sie um Kleider und was ich sonst brauche. Das ist alles.

Was ist Ihr Traumjob?
Amtachew: Ich liebe meinen Job als Lehrerin! Den möchte ich weiter ausüben. Ich wünsche mir, dass alle Leute lesen und schreiben lernen können. 
Was war Ihr Traumberuf früher?
Tebeje: Das war nie eine Frage, ich war Bäuerin und Ehefrau.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und Enkelkinder?
Amtachew: Ich selber bin in keiner guten finanziellen Lage. Ich möchte, dass es mein Sohn einmal viel besser hat als ich, dass er einmal ein Arzt wird.
Tebeje: Immer wenn ich schlafen gehe und wenn ich aufwache, bete ich für meine Töchter und Enkelinnen, damit sie ein gutes Leben haben.

Was wünschen Sie sich für Ihr Land?
Amtachew: Ich wünsche mir sehr, dass wir unserer Religion treu bleiben und dass alle hier lesen und schreiben lernen. Ich wünsche mir, dass sich unser Land entwickelt.
Tebeje: Was soll ich da sagen? Ich zähle die Jahre bis zum Tod, möge Gott mir eine sichere Reise dorthin geben. Das ist alles.

Was ist das Fortbewegungsmittel, das Sie am häufigsten nutzen?
Amtachew: Ich gehe oft etliche Stunden zu Fuss, manchmal nehme ich den Bus, oder ich kann auf einem Transportlastwagen mitfahren. Einige wenige weitere Reisen unternahm ich mit dem Bus.
Tebeje: Ich gehe nicht weg. Ich gehe zu Fuss hier im Dorf. Früher nahm ich manchmal den Bus, um kranke Kinder ins Spital zu bringen.

Was mögen Sie an Ihrer Grossmutter?
Amtachew: Ich liebe sie einfach dafür, dass sie noch am Leben ist. Das macht mich glücklich.
Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Enkelin?
Tebeje: Ich bin froh, dass sie einen Job hat. Ich möchte sie ermutigen, mit ihrer Ausbildung und ihrer Arbeit weiterzumachen und es zu etwas zu bringen.

Was bedeutet es für Sie, frei zu sein?
Amtachew: Ich bin frei, wenn Frieden in meinem Land herrscht. Und ich bin frei, wenn niemand mir das Leben schwermacht, ich möchte keine Streitereien und Kämpfe, schon gar nicht mit einem Ehemann. Das ist Freiheit für mich.
Tebeje: Wenn es keinen Streit gibt in der Familie, mit den Nachbarn. Wenn ich in die Kirche gehen kann, um den Herrn zu preisen, und dann wieder heimkommen kann.

Was ist Ihr Lieblingsessen?
Amtachew:  Ich mag fast alles, besonders Rind, Huhn, Eier.
Tebeje: Wenn ich das sage, bringt ihr es mir dann? (lacht) Ich mag Injeera (Sauerteigfladenbrot) mit Ziegenfleisch. Und ich mag Zucker.

Und was essen Sie am häufigsten?
Amtachew: Natürlich immer Injeera, dazu Kartoffeln, Tomaten, Kohl und scharfe Bohnenpaste.
Tebeje: Injeera meist mit scharfer Bohnenpaste.

Was möchten Sie sich einmal leisten können?
Amtachew: Einen TV und ein Bett. Ich schlafe auf Matten auf dem Boden. 
Tebeje: Einen neuen traditionellen Schal (Gabi), einen neuen Jupe, und eine Ziege – um sie gleich aufzuessen.

Was ist das Weiteste, das Sie je gereist sind?
Amtachew: Als Schülerin fuhr ich zweimal mit dem Bus in die Nachbarregion Tigrai, um meine Tante zu besuchen.
Tebeje: In den nahen Berghauptort Amdework (1 Fahrstunde) und den Distrikthauptort Sekota (ca. 3 Stunden). Dort war ich dreimal, um Kinder ins Spital zu bringen. 

In welchen Ort möchten Sie einmal reisen?
Amtachew: In die Stadt Mekelle in der Nachbarregion Tigrai, meine Tante ist dort Ärztin. Und in die Hauptstadt Addis Abeba. Im Distrikthauptort Sekota werde ich bald das College nachholen.
Tebeje: Was für eine Frage! (lacht) Ich denke nicht mal dran. Ich werde bald sterben, ich erwarte nichts mehr vom Leben und bin froh, wenn mir meine Kinder zu essen und etwas zum Anziehen geben. Aber ich bin dankbar, dass ich noch in die Kirche laufen kann.

Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben?
Amtachew: Ich gebe nur Geld für Haushaltdinge aus, und ich spare. Jetzt, da die Feiertage kommen, möchte ich mir etwas Spezielles wie Ziegenfleisch leisten.
Tebeje: Ich erinnere mich nur, dass wir das Feld bestellten und assen, was wir ernteten. Wir hatten etwas Vieh und kauften Gewürze, das war alles.

 

Bolivien

Die Enkelin
Noemí Geovanna Mamani Quispe (19), ledig, lebt mit ihren Eltern und einem jüngeren Bruder in einem kleinen Haus in Achocalla, 15 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt La Paz.

Die Grossmutter
María Paz (68), verheiratet, Bäuerin, acht Kinder. Sie lebt mit ihrem Mann in einem einfachen Haus aus Lehmziegeln im ländlichen Teil der Gemeinde Achocalla. Sie sind Kleinbauern, besitzen neun Kühe, Schafe, bauen Gemüse an, vor allem für den Eigenkonsum.

Was ist Ihr Traumjob?
Mamani Quispe: Als Kind träumte ich davon, Lehrerin zu werden und anderen zu helfen. Jetzt arbeite ich als Gärtnerin und bereite mich auf die Universität San Pedro vor. 
Was war früher Ihr Traumberuf?
Paz: Ich hatte keinen Berufstraum, sondern arbeitete schon immer auf dem Hof der Eltern. Wir arbeiteten auf dem Feld und brachten die Produkte auf den Mark. Ich zum Beispiel verkaufte die Milch unserer Kühe und Schafe. 

Mit welchem Verkehrsmittel reisen Sie am meisten?
Mamani Quispe: Mit öffentlichen Bussen.
Paz: Ich gehe zu Fuss, und wenn nicht, nehme ich den Bus.

Was mögen Sie an Ihrer Grossmutter?
Mamani Quispe: Wie geduldig sie mit uns allen ist, auch wenn wir ihre Sprache, das Aymara, nicht so gut verstehen. 
Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Enkelin?
Paz: Meine Enkelin ist verantwortungsbewusst. Sie ist sehr hilfsbereit, und sie geht kaum je an ein Fest. Sie will unbedingt studieren. Ich habe mitverfolgt, wie sie in der Mittelschule vorangekommen ist.

Was heisst Freiheit für Sie?
Mamani Quispe: Freiheit heisst, die Verantwortung für unsere eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Freiheit bedeutet auch, sich selber und die eigenen Wünsche zu kennen.
Paz: Unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und nicht die der andern.  

Was war früher Ihr grösster Traum – und heute?
Mamani Quispe: Als ich ein Mädchen war, wollte ich eine Fee sein und viele Wünsche erfüllen. Jetzt ist mein grösster Traum ein Abschluss an einer Universität und eine Berufskarriere. 
Paz: Meine Mutter wurde von meinem Vater geschlagen, und ich träumte davon, ihr zu helfen und mit ihr zu fliehen. Jetzt wünsche ich mir ein langes Leben, um mit meinem Mann und meinen Kindern zusammen zu sein. 

Was ist Ihr Lieblingsessen, und was essen Sie am häufigsten?
Mamani Quispe: Mein Lieblingsessen ist Poulet aus dem Ofen. Was wir daheim meistens essen, ist Suppe. Eine Hauptspeise essen wir nur selten. 
​​Paz: Am liebsten habe ich Fisch, aber das essen wir nur selten. Wir essen jeden Tag Suppe, Quinua und Chuño (traditionelle, gefriergetrocknete Kartoffeln). 

Was möchten Sie sich einmal kaufen können?
Mamani Quispe: Was ich am meisten wünsche, sind nicht Sachen, sondern eine eigene Wohnung, wo ich unabhängig sein kann.
Paz: Den Schmuck, der einer Frau in unserer Tracht so gut steht. (Sie bezieht sich auf die Pollera, den mehrmals gewickelten Faltenjupe der bolivianischen Frauen.) 

Was ist die längste Reise, die Sie je gemacht haben?
Mamani Quispe: In die Stadt Oruro. Es war eine sehr schöne Reise. (La Paz – Oruro: 230 km, ca. vier Busstunden)
Paz: Das war, als ich in Caranavi eine Nichte besuchte. (Caranavi liegt im Tiefland am östlichen Andenhang, ca. drei Busstunden von La Paz) 

In welches Land möchten Sie mal reisen?
Mamani Quispe: Nach Mexiko und in die Vereinigten Staaten, um dort Delfine und andere Tiere aus Fernsehserien zu sehen. 
Paz: Nach Brasilien, auch wenn mir das Angst macht. Einer meiner Söhne lebt dort, und ich weiss nichts von ihm.

Was wissen Sie von der Schweiz?
Mamani Quispe: Sehr wenig. Es ist weit bis dorthin.
Paz: Ich weiss nur, dass das ein Land ist.

Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben?
Mamani Quispe: Für einen Laptop. Ich habe hart gearbeitet, um das Geld dafür zu verdienen.
Paz: Das war, als mein Mann operiert werden musste. Wir mussten vieles verkaufen, um die Operation zu bezahlen. Es war etwas vom Schlimmsten, was ich erlebt habe.

 

Burma

Die Enkelin
Naw Hla Thazin (24), ledig, Angestellte bei einem Hilfswerk, lebt mit ihrer jüngeren Schwester bei ihren Eltern in einer Wohnung in Shwe Pyi Thar, im Norden Yangons. Sie studiert Philosophie, möchte ihren Master in Thailand oder Singapur machen und später Lehrerin werden.

Die Grossmutter
Naw Paw Shee (66), Hausfrau, verwitwet, sieben Kinder. Sie lebt zusammen mit zwei Töchtern und ihren Familien, insgesamt neun Personen, in einem kleinen Haus nur wenige Gehminuten von ihrer Enkelin entfernt.

Was ist Ihr Traumjob? 
Thazin: Ich wollte Ingenieurin werden. Jetzt möchte ich Lehrerin an einer Privatschule werden. Ich träume von einer eigenen Privatschule. 
Was war früher Ihr Traumjob?
Shee: Ich hatte keinen Berufswunsch, und jetzt bin ich alt.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und allgemein für Ihr Land?
Thazin: Ich möchte, dass sie frei wählen können, was sie studieren und wie sie leben wollen. Und dass sie unter sicheren, vertrauenswürdigen Verhältnissen aufwachsen. Dass sie materiell abgesichert sind, gerecht und friedlich. Und dass sie sich nicht von Neid leiten lassen.
Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und Enkel und allgemein für Ihr Land?
Shee: Dass sie gute Menschen werden, die Gott respektieren. Für das Land wünsche ich mir Frieden.

Was ist das Fortbewegungsmittel, das Sie am häufigsten nutzen?
Thazin: Die Stadtbusse Nummer 65 und 68.
Shee: Busse für Fahrten ganz in der Nähe. Taxi für etwas weiter entfernte Ziele in der Stadt. 

Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Grossmutter?
Thazin: Die Grosszügigkeit, mit der sie teilt, was sie hat. Ihr Glaube an Gott und die Art und Weise, wie sie mir aus der Bibel erzählte.
Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Enkelin?
Shee: Dass sie an Gott glaubt und mich bei den Gebeten und beim Kirchenbesuch begleitet.

Was heisst Freiheit für Sie?
Thazin: Nicht kontrolliert zu werden. Ich kann tun, was mich glücklich macht, solange ich niemandem damit schade. 
Shee: Vor niemandem fliehen zu müssen.

Was war früher Ihr grösster Traum – und heute?
Thazin: Ich wollte schöne grosse Häuser bauen, eine schöne Umgebung mit Blumen und einem kleinen See und Plätzen, wo Freunde sich treffen können. Jetzt träume ich davon, den Master im Ausland zu machen, etwa in Thailand oder in Singapur, um dann eine Privatschule zu eröffnen. 
Shee: Ich hätte gern einen Lebensmittelladen gehabt.

Was ist Ihr Lieblingsessen, und was essen Sie am häufigsten?
Thazin: Am liebsten habe ich das Pouletfleisch oder die Hamburger, die sie hier in der Shopping Mall zubereiten. Meistens esse ich die traditionellen burmesischen Gerichte.
Shee: Gemüse.

Was möchten Sie sich einmal leisten können?
Thazin: Schöne Möbel.
Shee: Kaufen will ich eigentlich nichts. Aber wenn ich das Geld hätte, würde ich 100 000 bis 200 000 Kjets spenden (70 bis 140 Franken). Ich würde Leute meiner Gemeinde zum Essen und zum gemeinsamen Gebet einladen.

Was war Ihre weiteste Reise?
Thazin: Das war die Schulexkursion ins benachbarte Thailand. 
Shee: Ich reiste einmal in die Region Bago, wo ich eine Tochter besuchte.

An welchen Ort möchten Sie mal reisen?
Thazin: Nach Australien und in die USA. Ich möchte das Weisse Haus sehen.
Shee: Nirgendwohin.

Was wissen Sie von der Schweiz?
Thazin: Es ist ein berühmtes Land mit einer guten Regierung, und es wohnen dort viele reiche Leute.
Shee: Ich habe den Namen schon gehört, und auch, dass es ein reiches Land sei.

Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben?
Thazin: Mit meinem Lohn kaufe ich Kleider und Bücher. Den Rest gebe ich meinen Eltern. 
Shee: Ich habe nie viel Geld ausgegeben.

 

Bangladesh

Die Enkelin
Sinthia Sultana Dulon (22), ledig, Informatikstudentin; wohnt mit ihren Eltern, ihrer älteren Schwester und einem Onkel in einer Dreizimmerwohnung in Dhaka. Ihr Vater ist Fahrer, die Mutter Hausfrau. Mit einem Familieneinkommen von rund 45 000 Taka (rund 500 Franken) gehört die Familie in Bangladesh zum oberen Mittelstand.

Die Grossmutter
Sokhina Khatun (ca. 75), Hausfrau. Als Mädchen wurde sie mit ihrem fast 20 Jahre älteren Cousin verheiratet. Sie brachte zehn Kinder zur Welt, von denen neun überlebten. Sie wohnt zusammen mit ihrem Mann, ihrem Sohn und seiner dreiköpfiger Familie in einer Dreizimmerwohnung, im gleichen Wohnblock wie ihre Enkelin.

Was ist Ihr Traumjob? 
Dulon: Als kleines Kind wollte ich irgendetwas unternehmen, aber ich wusste nicht, was. Jetzt will ich Software-Ingenieurin werden und im Ausland weiterstudieren.
Was war früher Ihr Traumjob?
Khatun: Zu meiner Zeit war es für Frauen nicht üblich, dass sie einen Traum hatten. Aber ich träumte davon, in die Schule zu gehen. Andere Träume gestattete ich mir nicht.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und allgemein für Ihr Land?
Dulon: Vielleicht kann ich nicht alle meine Träume verwirklichen. Vielleicht kann ich nicht im Ausland studieren. Aber ich werde alles tun, um die Träume meiner Kinder wahr werden zu lassen. Für das Land wünsche ich mir gute Bildungsmöglichkeiten und Arbeit für alle. 
Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder und Enkel und allgemein für Ihr Land?
Khatun: Ich wünsche mir, dass alle meine Enkelkinder eine gute Ausbildung erhalten. Sie sind die Zukunft. Ich wünsche mir, dass in unserem Land alle ein gutes, erfülltes Leben haben. Ich wünsche mir, dass unser Land weiterbesteht und nicht zerstört wird.

Was ist das Fortbewegungsmittel, das Sie am häufigsten nutzen?
Dulon: Rikschas und Motorradtaxis, Tuk Tuks, wie sie in andern Ländern genannt werden.
Khatun: Ich verlasse das Haus nur, um zum Arzt zu gehen. Dann fährt mich jemand meiner Familie mit dem Auto dorthin.

Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Grossmutter?
Dulon: Sie unterstützt uns Enkelkinder in allem. Sogar, wenn die Eltern wollen, dass wir etwas tun oder nicht tun, unterstützt sie unsere Entscheidungen. 
Welche Eigenschaften mögen Sie an Ihrer Enkelin?
Khatun: Alle. Sie ist so klug wie die Zeit, in der sie lebt. Das schätze ich. Es ist eine bessere Zeit, und sie geht darin auf. Allzu modern – zum Beispiel in der Kleidung – sollte sie allerdings nicht sein.

Was heisst Freiheit für Sie?
Dulon: Etwas unabhängig tun zu können, ohne dass sich jemand einmischt. Frei fühle ich mich, wenn ich mit meinen Freunden herumhängen kann.
Khatun: Jetzt bin ich frei. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe zu essen. Und ich habe keine Verpflichtungen. Niemand ist so frei, wie ich es jetzt bin. Du bist frei und glücklich, sagte kürzlich ein Nachbar zu mir. 

Was war früher Ihr grösster Traum – und heute?
Dulon: Als kleines Kind wollte ich einen Verkaufsladen voller Schokolade und Glace. Heute träume ich von einer Weltreise. Ich habe von der Welt noch nichts gesehen.
Khatun: Für meine Generation waren Kinder das Ein und Alles. Ich träumte davon, dass sie mit ähnlichen Werten aufwachsen wie wir. Jetzt träume ich davon, dass alle meine Kinder ein grosses Haus bauen können. Und dass auch die letzten beiden noch heiraten.

Was ist Ihr Lieblingsessen, und was essen Sie am häufigsten?
Dulon: Ich sterbe für Fastfood. Ich liebe Softdrinks, Süsses und Chips. Die Kantine der Universität ist voll davon. Deshalb esse ich lieber dort. Daheim esse ich Reis mit Fisch oder Fleisch. 
Khatun: Am liebsten esse ich traditionelle Reisgerichte, die bei uns im Haus gekocht werden. Scharfes kann ich allerdings nicht mehr essen.

Was möchten Sie sich einmal leisten können?
Dulon: Ich hätte gern ein Auto, das ich auch selber fahren würde. 
Khatun: Schöne Saris für mich. Schöne Sachen für die Wohnung. Kleider für meine ledige Tochter. 

Was war Ihre weiteste Reise?
Dulon: Ich konnte bis jetzt nirgendwohin reisen. Aber ich will reisen! 
Khatun: Ich bin nie gereist. Früher habe ich das Haus meines Onkels besucht, der wohnte hier ganz in der Nähe.

An welchen Ort möchten Sie mal reisen?
Dulon: Ich möchte den Badestrand von Cox’s Bazar und andere interessante Orte in Bangladesch besuchen. Ich war nicht mal im Fantasy Kingdom im Norden von Dhaka! 
Khatun: In einigen Jahren fahre ich vielleicht einmal nach Noakhali, in das Dorf, wo ich eigentlich herkomme. 

Was wissen Sie von der Schweiz?
Dulon: Ich stelle mir vor, dass es dort besser ist als hier. Bessere Bildung, weniger Leute, Arbeit für alle. 
Khatun: Ich weiss nichts über dieses Land.

Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben?
Dulon: Das teuerste war ein Computer, doch den hat mein Vater für uns gekauft. 
Khatun: Für goldene Ohrringe. Das Geld dafür bekam ich von meinem Mann. 

 

Nachhaltiger Fortschritt

Diese Interviews und die Generationenporträts in der aktuellen annabelle sind in Zusammenarbeit mit Helvetas entstanden. Die Mitarbeitenden der Entwicklungsorganisation begegnen in ihrer Arbeit mit armen und benachteiligten Menschen in rund 30 Ländern täglich Frauen und Männern, die es mit wenig Unterstützung aus eigener Kraft schaffen, für sich und die kommende Generation bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.

Helvetas ist eine politisch und konfessionell unabhängige Schweizer Entwicklungsorganisation. Sie leistet Hilfe zur Selbsthilfe und erreicht damit echte Veränderungen im Leben armer und benachteiligter Menschen – von Generation zu Generation. Helvetas konzentriert sich auf die Bereiche Wasser, Bildung, wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie und Umwelt. helvetas.ch

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1.

«Ich bin einfach unglaublich froh, dass meine Grossmutter noch da ist», sagt Asmera Amtachew

 

(Foto: Patrick Rohr/Helvetas)

2.

María Paz (links): «Junge Leute nutzen ihre Chance nicht, trinken zu viel, werden zu früh schwanger. Noemí ist eine Ausnahme»

 

(Foto: Jules Tusseau/Helvetas)

3.

«Ich würde sagen, dass ich frei bin»: Naw Hla Thazin (rechts) hat keine Angst mehr vor dem Militär

 

Foto: Flurina Rothenberger/Helvetas

4.

Grossmutter Sokhina Khatun verliess nie das Haus, ihre Enkelin Sinthai Sultana Dulon studiert Informatik – am liebsten bald im Ausland

 

(Foto: Gabriele Grossenbacher/Helvetas)