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Brust raus: Feminismus oder freiwillige Objekte?

Leben

Brust raus: Feminismus oder freiwillige Objekte?

  • Text: Julia Hofer, Foto: Getty

Nackte Körper, wo man hinsieht: im «Blick», im Bauernkalender, an der Demo. Warum machen sich Frauen freiwillig zu Objekten? Und was hat das mit Feminismus zu tun?

Die Empörung kam mit einer Talkshow. Moderator Thomas Blachman, dänischer Künstler und ehemaliger Juror der Castingshow «X-Faktor», das Hemd immer einen Knopf zu weit geöffnet, sitzt mit einem Gast auf einem Ledersofa, vor ihnen steht eine nackte Frau. Die Herren (beide angezogen) betrachten die Frau und lassen sich zu Gesprächen über die Schönheit eines Cellulite-Hintern, grosse Brüste und Geschlechterrollen inspirieren. Die Frauen – dick, dünn, gross und klein – tragen zwar weder Highheels noch Strapse, bleiben aber stumm und lächeln höchstens mal, wenn die Männer etwas Nettes über ihren Körper sagen. Ist das sexistisch, krank, pervers? Ein weiteres Kapitel im Geschlechterkrieg? Es lohnt sich vielleicht, Thomas Blachman kurz zuzuhören. Männer, beklagt er, wüssten heute nicht mehr, wie sie über den weiblichen Körper reden sollten. Zwischen Pornografie auf der einen und politisch korrektem Puritanismus auf der anderen Seite sei die Poesie verloren gegangen. Die zuständige Redaktorin gibt Schützenhilfe: Sie hätten mit der Talkshow, die in sechs Folgen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Dänemarks ausgestrahlt wurde, eine Debatte anstossen wollen: Ist der weibliche Körper zum Tabuthema geworden? Gerade als öffentlicher Sender hätten sie den Auftrag, gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren. «Das hier ist ein wichtiges.»

Der Frauenkörper ein Tabuthema?

Das Ziel wurde knapp verfehlt: Es debattierte zwar die halbe Welt, doch bloss über die Frage, ob das Setting – angezogene Männer begaffen nackte Frau und reden über sie – vertretbar sei. Und vielleicht noch darüber: wer sich letztlich mehr entblösst habe, die Frauen oder die Männer.

Auch die Politologin Regula Stämpfli, die sich seit geraumer Zeit mit Frauenbildern in den Medien auseinandersetzt und deren neues Buch «Die Vermessung der Frau» soeben erschienen ist, empört sich: «Mir wurde schlecht, als ich mir das angeschaut habe. Die Frau wird in dieser Talkshow als Leiche, als anatomischer Schauwert inszeniert, seziert und entsorgt.» Der Frauenkörper ein Tabuthema? Im Gegenteil, dieser werde ständig kommentiert.

Interessanterweise erregen erotische Inszenierungen des weiblichen Körpers heute weniger Anstoss als Blachmans Talkshow. Als man sich 2010 beim «Blick» entschloss, das «Blick»-Girl wieder einzuführen, und anstatt der zuvor üblichen professionellen Toplessmodels erotische Bilder von Frauen wie du und ich zeigte, gelang den Zeitungsmachern ein Coup: Sie wurden von Anmeldungen von Frauen, die «für einen Tag ein Star» sein wollten, geradezu überschwemmt. Bis heute haben sich über 900 Frauen als Seite-1-Girl ablichten lassen. Klar, dass eine bei Frauen wie Männern gleichermassen beliebte Rubrik auch von der ersten Frau an der Spitze des «Blicks», Andrea Bleicher, weitergeführt wird.

Gesellschaftliche Anerkennung

Man kann die dreifache Mutter verstehen, die zum «Blick»-Shooting geht, weil sie sich endlich wieder mal sexy fühlen möchte. Und vielleicht auch die 20-jährige Mirella, die es «cool» findet, dass sie beim Einkaufen auf die sexy Fotos angesprochen wird. Dennoch seien drei Fragen erlaubt: Wird sich Mama immer noch so toll fühlen, wenn sie den Straps wieder gegen die Unterhose aus dem Zehnerpack eingetauscht hat? Zweitens: Auch wenn behauptet wird, Frauen würden heute spielerisch mit weiblichen Rollenklischees jonglieren – möchte man sich dem Lehrmeister, dem Arbeitskollegen oder Chef wirklich als Pin-up-Girl präsentieren und wenn ja, warum? Drittens: Können Frauen auch gesellschaftliche Anerkennung erhalten, wenn sie das T-Shirt anbehalten?

Regula Stämpfli, selbst mit allen Medienwassern gewaschen, ist skeptisch. «Menschen wollen gesehen und gehört werden. Und da Männer in unserer Gesellschaft eher gehört, Frauen aber vor allem gesehen werden, ist es kein Wunder, dass sie sich ausziehen.» So kriegen sie wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit. Auch wenn Parises bei den sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm bleibt. «Das ist zwar manchmal tragisch, aber es ist auch verständlich, dass sich die Frauen anpassen.» Doch solche Bilder bleiben nicht folgenlos. Sie sind nicht einfach Privatsache. Sie formen unsere Ideen und Gedanken und prägen letztlich das Frauenbild unserer Gesellschaft, welches wiederum das Leben aller Frauen prägt. «Diese Bilder sagen: Frauen bieten sich wie eine Ware an», meint Stämpfli.

Was soll denn Nacktheit mit Aufgeschlossenheit zu tun haben?

Die Schweizer Bauern versuchen dagegen, mit nackten Frauen ihr Image aufzumöbeln: Anlässlich der Lancierung des erotischen Bauernkalenders entsandte der Bauernverband die besten Wünsche für ein gutes Gelingen und äusserte die Hoffnung, die halbnackten Bauernmädel würden endlich beweisen, wie aufgeschlossen, innovativ und unorthodox die Bauernschaft doch sei. Michèle Roten, die in ihrem Buch «Wie Frau sein. Protokoll einer Verwirrung» darüber nachdenkt, warum Feminismus auch für die 30-Jährigen nicht einfach «wäh» sein sollte, sagt dazu: «Das ist am Ziel vorbeigeschossen. Was soll denn Nacktheit mit Aufgeschlossenheit zu tun haben? Wenn die Bauern ihr konservatives Image loswerden wollen, wärs doch viel effektiver, sie würden sich politisch anders positionieren.»

Immerhin wurde mit den Jahren auch ein männliches Pendant zum Bauernkalender eingeführt, selbstverständlich in viel geringerer Auflage. Der Fotograf gab zu Protokoll: «Die Herausforderung hat darin bestanden, die Männer so zu fotografieren, dass sie sexy sind, aber trotzdem männlich bleiben.» Man stelle sich vor, ein Fotograf würde so etwas über seine weiblichen Models sagen – sexy sein und weiblich sein, das ist doch dasselbe! Aus diesem Grund haben Frauen wohl auch kein Problem damit, in Unterwäsche oder im Bikini durch Basel zu rennen, erst recht nicht, wenn sie dafür mit einem Gutschein eines grossen Schweizer Modehauses belohnt werden – denn hey, was haben wir zu verbergen? Die denkwürdige PR- Aktion war ein Erfolg, vom Fernsehen übertragen, online tausendfach angeklickt, Sex sells eben. Männer überboten sich mit intelligenten Onlinekommentaren, einer bedauerte etwa, nicht selbst vor Ort gewesen zu sein: «So schöne Unterwäsche, viel Fleisch und gut gebaute Ladys.»

Es ist immer dasselbe: Frauen ziehen sich aus, Event gelungen

Bei Michèle Roten hält sich die Euphorie in Grenzen: «Es ist immer dasselbe: Frauen ziehen sich aus, Event gelungen. Natürlich werden diese Mädchen nicht nachhause gehen und sich beschmutzt fühlen, und ich möchte auch nicht die verbiesterte Emanze geben. Aber es wäre trotzdem schön, wenn wir mal einen Schritt weiter kommen würden.»

Nicht nur ihr fällt es schwer, hier eine eindeutige Haltung einzunehmen. Einerseits nerven diese jungen Mädchen, die mit ihrer unreflektierten Enthüllung die Frauen einmal mehr auf ihren Körper reduzieren, andererseits sind sie einfach unbekümmert und stolz auf ihren Körper – was soll man dagegen haben?

Regula Stämpfli versucht das Dilemma so zu lösen: «Junge Menschen sollen tun und lassen, was sie für richtig halten. So ab dreissig können wir dann das Gehirn einschalten und diskutieren, was sinnvoll ist und was nicht.»

Aber Halt, ist nicht gerade die 56-jährige Uschi die wahre Feministin, die nach dem Basler Wettrennen in ein Mikrofon diktierte: «Ich wollte schon immer mal in Unterwäsche durch die Stadt rennen»?

Ausziehen für den Feminismus?

Nicht für Geld, sondern aus politischen Gründen zeigen sich Femen-Aktivistinnen oben ohne. Im April schrieben sie sich an der Hannover-Messe «Verpiss dich Putin» auf die Brüste. Der Russe schien diese körperbetonte Demonstration regelrecht zu geniessen – ganz im Gegensatz zu Angela Merkel, die neben ihm stand: Sie wirkte zutiefst verunsichert. Warum bloss? Vielleicht weil sich eine Frau, die gelernt hat, sich mit Argumenten durchzusetzen, elend fühlt, wenn sie hautnah miterlebt, wie sich ihre Geschlechtsgenossinnen immer noch mit den «Waffen der Frau» Gehör verschaffen müssen?

Regula Stämpfli hat mit den Femen-Protestantinnen kein Problem. Zwar habe sie ihre Zeit gebraucht, um mit der obszönen Selbstinszenierung von Frauen Frieden zu schliessen. Doch man müsse realistisch sein: All die Bücher, die über Pornografie, Sexismus, Prostitution und Essstörungen aufklären, würden kaum diskutiert. Mit Femen dagegen bekämen diese Themen Aufmerksamkeit. «Klar wäre es schön, wenn sich Frauen ihr Recht auf persönliche Unversehrtheit nicht barbusig erkämpfen müssten. Doch wenn sie es barbusig tun, so what!»

Nacktheit nutzen

Natürlich ist es nicht dasselbe, ob eine Frau – wie Michèle Roten sagt – als «Wichsvorlage» posiert oder jemand in Turnschuhen oben ohne protestiert. Die Pose sei entscheidend, glaubt Roten. «Wir befinden uns in einer Phase, in der die Frauen beginnen, ihre Nacktheit zu nutzen, um Inhalte zu transportieren.» In den Köpfen der Menschen könne sich etwas verändern, wenn eine Femen-Frau in der Sendung «Germany’s Next Topmodel» ihre Brüste mit der Botschaft «Heidi Horror Picture Show» in die Kamera streckt, und «während einer Hundertstelsekunde die Verbindung zwischen feministischer Gruppierung und Modelcontest herstellt». Tatsächlich? Wurde nach der Aktion über diese neue Generation Frauen diskutiert, die Schönheit über Bildung setzt und Model werden will? Oder wurde die Aktion – die übrigens wie alle anderen Aktivitäten der Gruppe von einem Mann koordiniert wurde – einmal mehr schulterzuckend zur Kenntnis genommen? Wohl eher Letzteres. Zur Erinnerung: Eine Debatte lanciert hat dagegen kürzlich eine Gruppe bekleideter junger Frauen, die bei Twitter unter dem Stichwort «aufschrei» Berichte von sexistischen Übergriffen sammelten.

Auf der hiesigen Politbühne hat sich Claudine Esseiva, Generalsekretärin der FDP-Frauen, enthüllt. Sie warb vor zwei Jahren mit ihrem nackten Oberkörper, die Brüste bloss von einem Balken mit der Aufschrift «Nicht mehr oben ohne» bedeckt, ausgerechnet für mehr Frauen in den Chefetagen. Man wolle mit dieser Aktion «weg vom feministischen Mief und hin zu einer fortschrittlichen liberalen Politik, die auch einmal lustvoll sein darf», hiess es. Doch die Datei wurde so online geschaltet, dass der Balken mit wenigen Klicks entfernt werden konnte – prompt publizierte der «Blick» das Bild ohne Balken. «Wenn der grüne Nationalrat Bastien Girod nackt vor einem Polizeiauto posiert, finden das alle cool», jammerte Esseiva, «aber bei mir als Frau macht man den Balken weg.»

Michèle Roten ist auf dem Cover ihres Buches «Miss Universum» übrigens ebenfalls fast nackt zu sehen, in Highheels, Slip und selbstbewusster Siegerpose, eine Rückenansicht. Sie habe mit dem Bild symbolisieren wollen, dass hier jemand die Hosen runterlässt, ehrlich ist. «Ich habe keine negativen Reaktionen bekommen», sagt sie «aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es noch einmal machen würde.»

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1.

Hosen runter: Das Buchcover von Michèle Roten.

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