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Darum brauchen wir den #SchweizerAufschrei

Leben

Darum brauchen wir den #SchweizerAufschrei

  • Text: Miriam Suter; Foto: iStockPhoto / Maartje van Caspel

In den Sozialen Medien erzählen Frauen unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei, wie sie sexuell belästigt wurden. Junior Online Editor Miriam Suter findet, es sollte noch viel mehr darüber gesprochen werden.

Ich war etwa acht Jahre alt, als ich mit meiner Mutter in Basel unterwegs war, den Zoo besuchte, mit ihr Glacés ass, am Rhein in der Sonne sass und erlebte, wie ein alter Mann meiner Mutter einen dreckigen Spruch hinterherrief. Ich wusste damals schon: Das fühlt sich seltsam an, da geschieht etwas, was meine Mutter beleidigt. Und es hat etwas damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Ich fühlte mich danach sehr hilflos, mein Mami war schon immer meine Superheldin. Dass sie verbal angegriffen wurde und sich nicht wehren konnte, traf mich sehr. 

Mehr als zehn Jahre später: Ich bin mit meinen Freunden an einer Party in einem besetzten Haus in Zürich. Als ich alleine die Treppe zu den Toiletten hinaufgehe, fasst mir ein fremder Typ von hinten grob zwischen die Beine. Ich trage Leggins und ein langes Top. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde, was ich anhabe, aber: Ein Griff zwischen die Beine fühlt sich noch ekliger an, wenn man Leggins statt einer festen Jeans trägt. Ich drehe mich um und sehe dem jungen Mann ins Gesicht. Er ist kaum älter als ich, schenkt mir ein schleimiges Lächeln und verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht war. Ich bin derart perplex, dass ich nicht reagieren kann. Danach fühle ich mich benutzt.

Das sind nur zwei der vielen Erfahrungen, die ich mit sexueller Belästigung gemacht habe. Und in meinem Leben gibt es keine Frau, die nicht mindestens eine Geschichte dieser Art auf Lager hat. Umso mehr treffen mich die Aussagen der SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler. Anfang Woche sagte sie in einem Beitrag auf TeleBärn: Naive Frauen, die fremde Männer nach dem Ausgang mit nach Hause nehmen und dann «ein bisschen mitmachen und dann plötzlich doch nicht wollen», hätten eine Mitschuld, wenn sie vergewaltigt werden. Ein Nebensatz mit ordentlich Schlagkraft. Warum liegt die Verantwortung, ob ein Übergriff passiert oder nicht, bei der Frau? Was, wenn sie sich nicht wehren kann? Wenn das Nein nicht akzeptiert wird? Die Männer, die mich und meine Freundinnen belästigt haben, hätten sich von einem Nein ganz sicher nicht abschrecken lassen. 

Mittlerweile hat Frau Geissbühler ihre Aussage in der Sendung «Talk Täglich» präzisiert. Sie habe die Frauen zum Nachdenken anregen wollen: Wenn man als Frau einen Mann mit nach Hause nehme, solle man sich seiner Verantwortung bewusst sein und ganz klar kommunizieren, was man will, und was nicht.

Auch viele andere wollen diese Aussage nicht auf sich sitzen lassen und machen ihrem Ärger seit gestern unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei in den Social Media Luft. Auf Twitter finden sich bereits weit über tausend Einträge von Menschen, die von ihren Erlebnissen mit sexueller Belästigung oder Sexismus im Alltag berichten – sowohl Frauen als auch Männer, von der Studentin über die Organisation maenner.ch bis hin zu Politikerinnen.

Dass wir solche Diskussionen brauchen, zeigen die Reaktionen, wenn sich Opfer von sexueller Belästigung öffentlich äussern oder sich jemandem anvertrauen: Noch immer kommt es vor, dass sie nicht ernst genommen werden. Und im schlimmsten Fall werden sie dafür sogar noch angegriffen. Das äussert sich auch in den Diskussionen auf Twitter:

Fest steht: Wir müssen mehr über Sexismus diskutieren, uns gegenseitig sensibilisieren und reagieren, wenn wir Belästigungen mitbekommen. Solche Veränderungen passieren nur dann, wenn wir alle dazu beitragen – Frauen und Männer, in den sozialen Medien und im Alltag. Und dazu kann auch eine Aktion wie #SchweizerAufschrei beitragen: Mir zumindest haben die unzähligen Tweets das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein. Und ich finde das ermutigend. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.