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Entwicklungshilfe in Ruanda

Leben

Entwicklungshilfe in Ruanda

  • Interview: Barbara Achermann

Die Schweiz und Ruanda verbindet eine lange Geschichte. Wir sprachen mit Giancarlo de Picciotto, Leiter des Büros der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Ruanda, über das Engagement der Schweiz im zentralafrikanischen Land.

annabelle.ch: Sie leben seit gut zwei Jahren in Ruanda. Wie gefällt es Ihnen?
GIANCARLO DE PICIOTTO: Sehr gut. Meine Stelle ist eine der schönsten im Aussendepartement. Ich erlebe das Land als sehr sicher, ich kann mich hier sogar nachts frei bewegen, das macht das Leben angenehm. Meine Arbeit ist politisch und programmatisch anspruchsvoll. Die Schweiz möchte einen Beitrag zur Stabilisierung und zum Frieden in dieser Region leisten, nicht mit Polizeiausbildung sondern mit anderen Instrumenten: Mit Bildung und dem Zugang zu Gesundheit.

Die Schweiz und Ruanda verbindet eine lange Geschichte der Entwicklungshilfe. Wie kam das?
Ruanda, Nepal und Bolivien waren die ersten Länder, die der Bund unterstützt hat. Das ist alles im Bundesarchiv sehr schön dokumentiert. Unter anderem gibt es ein Dokument aus den frühen Sechziger Jahren, das Gründe für die Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda auflistet: Wir gleichen uns, denn wir sind Bergvölker, beide sind Binnenländer, man spricht französisch, et cetera. Früher gab es in der Entwicklungszusammenarbeit vor allem Emotionen und Idealismus. Das ist zwar heute noch der Fall, doch unterdessen haben wir uns weiter professionalisiert.

Ruanda hat einen guten Ruf, was den Umgang mit Entwicklungshilfegeldern angeht. Es gebe kaum Korruption und das Geld komme tatsächlich bei den Bedürftigen an. Können Sie das bestätigen?
Ich kann bestätigen, dass in Ruanda viel daran gesetzt wird, die öffentlichen Mittel sachgemäss umzusetzen. Das heisst nicht, dass es gar keine Korruption gibt, aber die Regierung nimmt sich der Sache ernsthaft an. Unabhängig davon trägt die DEZA in all ihren Projekten dafür Sorge, dass die Gelder bei den Bedürftigen ankommen und nicht unterwegs in undurchsichtigen Kanälen versickern.

Sie arbeiten seit einigen Jahren mit der privaten Organisation Swisscontact zusammen.
Genau. Andere Geberländer stellen ihr Geld direkt der Regierung zur Verfügung. Das machen wir nicht, denn wir können die Umsetzung der Mittel besser kontrollieren, wenn wir vor Ort mit eigenen Partnern zusammenarbeiten. Swisscontact ist eine Stiftung der Schweizerischen Industrie und insofern für uns der bestmögliche Partner im Privatsektor.

Die Schweiz unterstützt Ruanda mit Projekten in der Berufsbildung. Warum dieser Fokus?
Ruanda will sich in der Region zur Drehscheibe für Dienstleistungen entwickeln. Deswegen braucht das Land praxisnah ausgebildete Arbeitskräfte. Gesucht werden Absolventen, die guten Service beherrschen, zum Beispiel am Empfang eines Hotels oder am Telefon, aber auch technisch ausgebildete Arbeitskräfte wie Elektriker oder Automechaniker. Die Regierung von Ruanda hat diesen Fokus selber bestimmt, wir haben ihn geprüft und gutgeheissen. Aber wir haben auch angeregt, dass man etwas für die Jugendlichen tun muss, die keine Grundausbildung haben, die Schulabbrecher.

Ist die Regierung darauf eingegangen?
Ja, das war ein grosser Schritt, weil es auch ein Eingeständnis der Regierung ist, dass nicht alles perfekt läuft. Für Jugendliche, die auf der Strecke geblieben sind, bieten wir niederschwellige Kurse an, zum Beispiel als Schuhmacher.

In der Schweiz gilt: Wer erfolgreich eine Lehre abgeschlossen hat, findet fast immer eine Stelle. Stimmt das auch für Ruanda?
Nicht ganz. Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Handwerkern ist zwar enorm gross in Ruanda, ja in ganz Afrika. Dennoch gibt es Abgänger, die kein Auskommen finden. Das sind Leute die vielleicht schüchtern sind oder nicht wissen, wie sie sich präsentieren müssen. Deshalb legen wir in unseren Lehrgängen neben den technischen Fertigkeiten viel Wert auf die so genannten Life Skills.

In ihren Ausbildungsprojekten haben sie einen hohen Frauenanteil, selbst in klassischen Männerberufen wie Elektriker oder Automechaniker. Wie kommt das?
Die Regierung engagiert sich für die Gleichstellung, aber auch die Gesellschaft macht enorm vorwärts, man spürt einen Druck von unten. Die jungen Frauen investieren viel Überzeugungsarbeit im Vorfeld einer Ausbildung, damit sie die Familie auf ihrer Seite haben. Denn wenn eine junge Frau Elektrikerin werden will, braucht sie die Unterstützung der Familie. Wir wiederum müssen alles daran setzten, dass ihnen nichts im Wege steht. Das sind manchmal Kleinigkeiten, wie getrennte Toiletten für Frauen und Männer, die aber für die Entscheidungsfindung in der Familie essenziell sein können.

Wie emanzipiert sind ihrer Meinung nach die jungen Frauen in Ruanda?
Es herrscht eine Aufbruchsstimmung. Die Frauen wollen in der Wirtschaft und Gesellschaft mitmachen – und zwar nicht nur die Frauen der Elite. Daneben gibt es auch Frauen, die sich in ihrer traditionellen Rolle wohl fühlen, aber auch das ist kein Problem.

Wer in Ruanda Entwicklungshilfe leistet, ist mit einem Dilemma konfrontiert. So stark das Land wirtschaftlich florierte, so schwach ist es in der Einhaltung der Menschenrechte. Die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt, politische Gegner werden verfolgt. Wie gehen sie damit um?
Die Schweiz ist mit Ruanda in stetigem Kontakt bezüglich der Menschenrechtslage, etwa durch den Menschenrechtsrat in Genf. Das DEZA-Büro hat geholfen Empfehlungen an Ruanda zu formulieren. So raten wir beispielsweise, den Schwangerschafts-Abbruch zu legalisieren. Unsere Empfehlung wurde von Ruanda aufgenommen und wird zur Zeit ausgearbeitet. Es gibt einen fruchtbaren Dialog, und das ist wichtig.

Giancarlo de Picciotto ist Leiter des DEZA-Büros in Ruanda.

—Lesen Sie hier die grosse annabelle-Reportage über die starken Frauen von Ruanda.