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Es hat geklingelt

Leben

Es hat geklingelt

  • Redaktion: Thomas Wernli; Foto: istock

Wie haben wir das bloss früher gemacht? Thomas Wernli über moderne Telekommunikation ­– und überraschende Alternativen.

Kürzlich habe ich meine Chefin geweckt. Mit dem Telefon. Sie war an der New York Fashion Week, und ich musste dringend wegen des Covers mit ihr sprechen. Cover ist Chefsache. Auch wenn es im Big Apple erst morgens um acht ist. Ich war erstaunt, wie hell und klar ihre Stimme klang. Nicht etwa, weil es morgens um acht war, sie einen anstrengenden Langstreckenflug und eine noch anstrengendere Arbeitswoche in der Redaktion hinter sich hatte. Ich war erstaunt, weil ich zum ersten Mal mit einer Nachrichtensofortversand-App übers Internet telefonierte. Es hörte sich an, als ob sie direkt neben mir sässe, dabei war sie doch in Übersee! Und ich musste dafür nichts bezahlen, im Gegensatz zum Festnetz, wo es ständig rauscht und knistert.

Bei positiven Erfahrungen mit neuen technischen Errungenschaften muss ich an meine Mutter denken. Telefon, Fernsehen, Internet (oder auch Flugzeuge) waren für sie Dinge, die sie einfach nicht verstehen wollte. Dinge, die ihr rätselhaft waren. «Wie geht das bloss?», fragte sie immer wieder, «auf der einen Seite rein, auf der anderen Seite raus!?» Ehrlich gesagt: Ich verstehe es auch nicht. Aber schon ein kleines Hello-New-York-What’s-up-Erlebnis, und ich bin den Rest des Tages begeistert! Von Telekommunikation, vom 21. Jahrhundert, von all diesen Möglichkeiten.

Wie haben wir das bloss früher gemacht?

Seit Wochen funktioniert die Klingel meiner Wohnung nicht mehr. Die Stockwerke über mir werden gerade totalsaniert. Sägen, Hämmern, Schleifen, Bohren. Dazu Staub und Dreck, und im schlechtesten Fall kommt zu diesem Sound noch wummernde Technomusik von den Handwerkern. Alles nicht so schlimm, ewig wird es nicht dauern – nur eben: keine Klingel, keine Gegensprechanlage, kein Türöffner. Nun habe ich nicht oft Besuch. Der Pöstler klingelt nie, selbst wenn er ein Paket hätte, weil er denkt, ich sei ja sowieso nicht zuhause. Doch mein Freund E kommt ab und zu vorbei. Und wenn er dann draussen vor der Haustür stünde und heraufkommen möchte, könnte er mich ja anrufen mit seinem Handy. Wenn er denn eines hätte.

Im Gegensatz zu mir ist E von der modernen Telekommunikation gar nicht begeistert. Er ist einer der letzten Menschen, die ich kenne, die kein Handy haben. Selbst mein Mann benutzt inzwischen eines – nämlich meines: «Schatz, wo ist das Gerät? Kann ich mal ein Spielchen machen?»

Wie haben wir das bloss früher gemacht?

E hat das Klingelproblem auf seine eigene Art gelöst. Er stand mit seinem Freund und einem Megafon in der Hand vor dem Haus. «Wir sind dahaaa» – das wusste dann auch die ganze Nachbarschaft. Ich bevorzuge inzwischen die echten Vorteile, die so ein Leben ohne Klingel bringt: Man hat seine Ruhe, ist mal nicht erreichbar. Offline im wahren Leben, mitten in der Stadt. Garantiert keine Sektenanhänger auf Missionstour, kein Nachbar, der nach einer Zwiebel fragt. Dazu das Smartphone ausgeschaltet. W-u-n-d-e-r-b-a-r!

Heute Morgen wurde ich um acht geweckt. Nicht vom Wecker, nicht vom Bohren, nicht von meiner Chefin. Der Elektriker hat geklingelt. Er wollte mir sagen, dass die Klingel jetzt wieder funktioniert.