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Hetero macht auch nicht froh

Leben

Hetero macht auch nicht froh

  • Text: Thomas Wernli; Foto: iStock

Homosexualität ist kein Lebensstil. Die sexuelle Orientierung kann man nicht wählen. Und wenn doch, würde unser Autor dann ans andere Ufer schwimmen? Eine Kolumne von Thomas Wernli.

«Baustelle Mann» ist das Thema der nächsten annabelle-Soirée, die sich diesmal mit der Frage «Ist der Mann von gestern ein Auslaufmodell?» beschäftigt. Ich freue mich auf die Talkshow. Zur Einstimmung habe ich schon mal unser Interview mit einem Genderexperten gelesen.

Nach wenigen Zeilen stellte ich fest: Da geht es ja gar nicht um mich. Nicht, weil ich kein Mann wäre, sondern weil ich kein Hetero bin. Es geht im Gespräch um die Rolle des heterosexuellen Manns in einer Partnerschaft, um sein Verhältnis zu den Frauen, um seine Suche nach einer neuen Rolle neben der emanzipierten Frau.

Rollensuche? Ja, da kann ich nur sagen: Willkommen im Club! Ein Schwuler, per se ausserhalb der gesellschaftlichen Norm, muss sich zwangsläufig damit auseinandersetzen, nicht erst seit heute. In den Medien sind Schwule schrille Paradiesvögel, die ständig Party machen, oder Sexbesessene, die es mit jedem und überall hemmungslos treiben, oder depressive Jugendliche im Coming-out-Prozess. Ab und zu ist von einem schwulen Pinguinpärchen zu lesen, was dazu geführt hat, dass sich tatsächlich gewisse Heterosexuelle diskriminiert fühlen. Das ist absurd und lachhaft und kann wohl nur daher kommen, dass sich diese Männer in ihrer eigenen Identität angegriffen fühlen. Von schwulen Pinguinen umzingelt!

Denn: Ist in den Medien von Männern die Rede, sind damit automatisch heterosexuelle gemeint. Bei Artikeln über Beziehungen geht es um heterosexuelle Beziehungen – und zwar so ausschliesslich und selbstverständlich, dass man nicht umhinkommt, mal die Hand aufzustrecken: Äh, hallo, und was ist mit mir?

Dabei ist das Leben so viel vielfältiger, als es in den Massenmedien dargestellt wird! So vielfältig, dass selbst ich kürzlich mit einer Kollegin gerätselt habe, was LSBTTIQ* eigentlich bedeutet.

Homosexualität ist kein Lebensstil. Die sexuelle Orientierung ist nicht wählbar. Warum sollte sich jemand freiwillig dafür entscheiden, diskriminiert, beleidigt, ausgestossen oder in vielen Ländern misshandelt, gefoltert oder getötet zu werden? Homosexualität ist angeboren. Liebe Mütter, macht euch keine Sorgen: Wenn der Kleine schwul wird, seid nicht ihr es, die es vermasselt haben!

Und hätte ich doch die Wahl: Würde ich lieber hetero sein? Vieles wäre einfacher, wenn man zur Mehrheit gehörte. Ich könnte endlich heiraten und neue Länder entdecken ohne Angst, im Gefängnis zu landen. Aber nicht nur, weil ich mich inzwischen daran gewöhnt habe und bei uns in der Schweiz ganz gut damit leben kann: Ich weiss nicht, wie ich mich entscheiden würde. Offensichtlich hat die Natur mit ihren Launen doch so jemanden wie mich und schwule Pinguine vorgesehen – für welche Rolle auch immer.

Probleme gibts in jeder Beziehung, auch bei Heteros. Mein entspanntes Verhältnis zu Frauen, die ja oft gut mit Schwulen können, weil Sex keine Rolle spielt, möchte ich nicht verlieren. Schwule und heterosexuelle Frauen leiden beide unter dem Patriarchat. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Sie müssen sich mit Männern rumschlagen. Das verbindet.

Also: Keine Angst, Hase, ich bleibe schwul.

Die Abkürzung LSBTTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle und queere Menschen. Das * steht als Platzhalter für alle anderen nicht heterosexuellen Menschen