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Kolumne aus New York: Humor in Amerika

Leben

Kolumne aus New York: Humor in Amerika

  • Illustration: Antony Hare

annabelle-Kolumnist Bruno Ziauddin über das Humorverständnis der Amerikaner.

Habe ich schon erwähnt, dass es mir in New York ausgezeichnet gefällt? Etwas vom wenigen, womit ich nicht klarkomme, ist das Humorverständnis der Amis. Was finden sie lustig? Wie viel Ironie liegt drin? Wann darf man jemanden hänseln? Warum gibt es in diesem Land zahllose TV-Produktionen, die voller Witz und Esprit sind – von den «Sopranos» bis «Two and a Half Men» –, aber lauter grottenschlechte Werbung? Im Vergleich zu dem, was hier gezeigt wird, ist die Pneu-Egger-Reklame oder der Spot mit der WC-Ente grosse Humorkunst – Monty Python, Loriot und Jacques Tati in Personalunion.

Als Student habe ich einige Jahre in London verbracht. Einer der Gründe, wieso ich die Briten für das coolste Volk auf Erden halte, ist ihr Humor. Wie ernst sie Humor nehmen, wie konsequent sie ihn pflegen. Das Grundprinzip ist simpel: Alles, was über diesen Planeten kreucht und fleucht, wird durch den Humorfleischwolf gedreht. Dass man sich selbst dabei am wenigsten schont: Ehrensache. Einmal ist mir in der U-Bahn eine beleibte Frau auf den Fuss getreten. Sie entschuldigte sich in etwa so: «Jetzt wissen Sie, für wen die Beatles ‹I Am the Walrus› geschrieben haben.»

Bei den Amerikanern scheint alles komplizierter und gehemmter zu sein. Es ist nicht so, dass hier keine rabenschwarzen Pointen gezündet werden. Nehmen wir «The Daily Show» von Jon Stewart. Das ist das sehr lustige, sehr freche Pendant zu «Giacobbo/Müller» und der Favorit meiner Frau. Nichts ist dieser Satiresendung heilig, nicht einmal der Moderator. Als meine Frau und ich neulich im Publikum sassen (Geburtstagsgeschenk des aufmerksamen Gatten), verspottete der Einheizer zuerst die Zuschauer und danach seinen «jüdischen Chef». Das wäre bei uns so kaum möglich.

Gleichzeitig: Humor- und Spassbremsen überall, grassierende Hypervorsicht bei Äusserungen in der Öffentlichkeit, absurde Vorstösse für immer mehr politische Korrektheit. Die neusten Pfui-Vokabeln lauten «Cissexismus» (negative Bemerkungen gegen Menschen, die transgender sind), «Ableismus» (gegen Behinderte) sowie generell «Mikroaggressionen» (schiefe Blicke, unangebrachte Fragen u. v. m.). Derzeit diskutieren Studierende des renommierten Rutgers College darüber, ob gewisse Bücher nicht mit «trigger warnings» versehen werden müssten, um sensible Personen auf potenziell traumatische und verletzende Inhalte aufmerksam zu machen. Zum Beispiel: «Die Abenteuer des Huckleberry Finn» (rassistisch), «Der grosse Gatsby» (frauenfeindlich) oder Shakespeares «Der Kaufmann von Venedig» (antisemitisch).

Damit wir uns richtig verstehen: Mein Vater war dunkelhäutig und kam in den Sechzigerjahren nach Zürich. Ich kenne mich mit Mikro- und Makroaggressionen aus. Nur ist mit einer Kultur des Verbietens und der neurotischen Schonung niemandem gedient. Damit werden bloss Opferrollen zementiert.

Was die Amerikaner von den Briten lernen können: Humor ist ein Mittel, um die Würde des Individuums oder einer Nation zu verteidigen. Man muss es ja nicht so weit treiben wie das eigenwillige Inselvolk. Am 7. Juli 2005, einen Tag nachdem London die Olympischen Sommerspiele auf Kosten von Paris zugesprochen erhielt, wurde die britische Hauptstadt von Terroranschlägen heimgesucht. Keine drei Stunden nach den schrecklichen Attentaten kursierte in der City ein E-Mail (Twitter gabs noch nicht): «Es waren die Franzosen!»

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