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Susanne Hochuli: Eine Begegnung mit der Aargauer Regierungsrätin

Leben

Susanne Hochuli: Eine Begegnung mit der Aargauer Regierungsrätin

  • Text: Barbara Achermann; Fotos: Herbert Zimmermann

Der Aargau hat eine Regierungsrätin, die grün ist, aber nicht immer. Sozial, aber nicht links. Zugänglich, aber keine Smalltalkerin. Damit kommt Susanne Hochuli – meist – gut an.

Susanne Hochuli zieht fest an ihrer Marlboro, inhaliert aber nicht. Es ist typisch, dass sie nicht so raucht, wie normale Raucher rauchen. Sie macht alles auf ihre Art. Die Aargauer Regierungsrätin sitzt auf der Veranda ihres Bauernhauses im Dorf Reitnau. In ihrem Schoss rekelt sich ein junges Kätzchen, Pferde traben vorbei, die Blumen und Beeren im Garten warten darauf, gepflückt zu werden, und leise bimmelt ein Windspiel. In diesem Heidiland-Setting erzählt sie, was sie dieser Tage bereitwillig immer wieder erzählt hat: Sie hat Asylbewerber bei sich einquartiert, eine Mutter und zwei Kinder aus Angola.

Wie in einem Werbefilm kommen die süssen Kleinen auch schon angerannt. Susanne Hochuli hat die Familie mit offenem Herzen aufgenommen, ganz bestimmt, aber nun schlachtet sie ihre gute Tat allzu dreist aus. «Tu Gutes und rede nicht darüber», belehrte sie ihre Hauszeitung aus der Kantonshauptstadt. Und doch: Die Journalisten mögen sie – wir eingeschlossen –, weil sie Tabus bricht. In ihrer Mittagspause spaziert sie barfuss durch Aarau, setzt sich auf eine Treppenstufe und isst ein Sandwich. Am Eidgenössischen Schützenfest 2010 forderte sie als Gesundheits- und Militärvorsteherin, dass Schusswaffen aus dem Haus verbannt werden. Die Offiziere waren ausser sich.

Mit einem Badiverbot für Asylbewerber hat sie kein Problem («Für Männer aus Angola oder Eritrea ist das eine ungewohnte Fleischschau»). Ihre Parteikollegen sind geschockt. Susanne Hochuli ist grün, aber nicht links. Und so richtig grün ist sie eigentlich auch nicht. Auf die Frage, wie häufig sie im Leben schon geflogen sei, antwortet sie: «Viel zu oft, als dass ich es noch zählen könnte.» Dann lacht sie ihr Mädchenlachen und fügt an: «Wenn ich dereinst in die Hölle komme, weiss ich wenigstens, weshalb.» Susanne Hochuli, 48 Jahre alt, lässt die Menschen nah an sich heran, auch in ihrem Departement. Sie erzählt ihren Mitarbeitern, wenn sie Sorgen hat. Angesprochen auf ihr Tattoo an der Fessel, gesteht sie: «Ich hatte riesige Angst vor den Schmerzen. Also betäubte ich mir die Haut mit einer Salbe – und spürte praktisch nichts.»

Wenn sie etwas nicht versteht, fragt sie bei ihren Beratern drei- oder viermal nach, bis sie den Durchblick hat. Blazer anziehen, markante Brille aufsetzen und dann so tun, als sei man allwissend, das ist nicht ihr Stil. Es ist riskant, Schwächen zu zeigen, und absehbar, dass die Attacken nicht ausbleiben. «Sie ist heillos überfordert», sagt SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli. «Die einzige Führungserfahrung, die sie hat, ist, Pferde im Kreis rumzuführen», meint sein Aargauer Parteikollege Andreas Glarner und spielt damit auf ihren früheren Beruf als Reitlehrerin an.

Weil Hochuli kein Machtwort spreche, würden ihre Mitarbeiter Projekte versanden lassen. Schaut man sich aber Susanne Hochulis Leistungsausweis etwas genauer an, fällt auf, dass sie schon etliche Male hart durchgegriffen hat: Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit stellte sie ihr Departement personell neu auf und organisierte es effizienter. Gegen den drohenden Pflegenotstand führte sie ein Bonus-Malus-System ein: Bildet beispielsweise ein Altersheim keine Pfleger mehr aus, muss es eine Busse zahlen. Und unlängst wies sie die Rega wegen Streitereien mit dem TCS unzimperlich in die Schranken. Die Regierungsrätin kann austeilen, bleibt dabei aber stets charmant. Auch im Interview.

ANNABELLE: Susanne Hochuli, Sie haben vor zehn Jahren einmal im Radio gesagt, Sie seien kein Parteimensch. Warum nicht?
SUSANNE HOCHULI: Die Realität ändert sich schneller als jedes Parteibuch. Würde ich der grünen Parteilinie immer konsequent folgen, bliebe ich stehen.
Sie lieferten sich kürzlich einen Schlagabtausch mit einigen Grünen auf Twitter. In diesem Zusammenhang haben sie geschrieben: «Wieso sind Linke und Grüne so dünnhäutig?» Ja, wieso eigentlich?
Es gibt Leute, die sich schnell angegriffen fühlen, weil sie immer gleich alles auf sich selber beziehen. Es ist eine Schwäche, wenn man nichts einstecken kann. Aber eine dünne Haut kann auch eine Stärke sein: Man spürt mehr, ist sensibler.
Ein junger Grüner wollte Ihnen wegen Ihres harten Kurses in der Asylpolitik eine Rolle Stacheldraht schenken.
Ich möchte diesem Herrn sagen, dass auf meinem Hof eine asylsuchende Familie lebt. Trotzdem stehe ich voll hinter der Asylgesetzrevision. Verfolgte Frauen und Kinder konnten früher direkt über die Schweizer Botschaften einreisen. Mit dem neuen Gesetz müssen sie sich an Schlepper wenden und grossen Gefahren aussetzen. Diesen Aspekt bedaure ich. Aber es gibt eben selten eine Vorlage, hinter der man zu hundert Prozent stehen kann.
Ihre Partei möchte die Atomkraftwerke in der Schweiz lieber heute als morgen abschalten, Sie aber haben es nicht besonders eilig.
Wenn wir genügend erneuerbare Energien hätten, würde ich sie sofort stilllegen. Aber dem ist nicht so.
Ein verbindliches Datum in naher Zukunft würde mehr Druck ausüben.
Kaum. Dann hätten wir einfach schneller schmutzige Gaskombikraftwerke.
Immerhin stehen Sie in der Familienpolitik stramm links: Sie wollen mehr Kinderkrippen für den Aargau. Sie hatten aber derart viele Regeln und Vorschriften aufstellen wollen, dass die Vorlage vom Parlament versenkt wurde.
Der Bund schreibt auf den Zentimeter genau vor, wie viel Platz eine Kuh zum Liegen und zum Fressen braucht, wie viel Licht es im Stall haben muss und wie oft sie auf die Weide soll. Wenn wir aber vorschreiben, wie viele Kleinkinder jemand betreuen darf oder wie gross ein Zimmer im Pflegeheim mindestens sein muss, dann heisst es, wir wollen überreglementieren. Ganz ehrlich, es gibt Pflegeheime, dort würde ich meine Mutter lieber nicht abgeben.
Welche?
Ich nenne keine Namen.
Der Aargau hat nicht nur wegen fehlender Krippen ein schlechtes Image, er ist auch verbaut, zersiedelt und hat eine langweilige Hauptstadt. Wären Sie nicht lieber Regierungsrätin im Wallis oder in Zürich?
So denken nur Zürcher, die auf der Autobahn durch unseren Kanton rasen und all seine wunderbaren Flecken übersehen. Vielleicht liegt es daran, dass diese Landschaften ständig im Nebel versinken. Die Hauptstadt mag neblig sein, aber Reitnau, das Dorf, in dem ich wohne, ist sonnig und schön.
Sie müssen Ihren Kanton mögen, schliesslich haben Sie fast Ihr Leben lang hier gewohnt.
Ich lebte kurz in Bern und arbeitete dort als Journalistin. Ich habe die Stadt geliebt, war absolut glücklich in meinem Beruf. Dann starb völlig unerwartet mein Vater. Er war Biobauer. Ich zog zurück zu meiner Mutter nach Reitnau und übernahm den Hof. Es war eine ganz, ganz schwierige Zeit für mich.
Sie waren sehr jung, als Sie den Hof übernahmen, erst 24 Jahre alt.
Ja, und ich war überfordert, kam körperlich und geistig an meine Grenzen. Mir fehlte allein schon die Kraft, einen 50-Kilo-Futtersack zu schleppen. Ich wusste auch nicht, wie man die verschiedenen Landwirtschaftsmaschinen bedient. Vor lauter Arbeit hatte ich keine Zeit, das Bauern richtig zu lernen.
Haben Sie sich Hilfe geholt?
Nicht direkt. Irgendwann sagte meine Mutter: Du musst das nicht für mich tun. Das zwang mich dazu, meine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Als ich mich ein zweites Mal bewusst für den Hof entschied, wurde es besser. Und dann verliebte ich mich in einen Mann, der schon immer gern Bauer gewesen wäre. Wir haben den Hof zusammen neu aufgebaut, unsere gemeinsame Tochter Kaja kam zur Welt.
Sie haben einen Reitbetrieb eröffnet.
Ja, denn als Bauer muss man unternehmerisch denken. Ich fand eine Marktlücke, die Reitstunden liefen sehr gut. Mein Partner sagte: Jetzt haben wir endlich, was wir wollen. Ihnen war das aber nicht genug? Ich wollte mich weiterentwickeln. Da kam die Anfrage für die Grossratskandidatur gerade richtig. Und nach vier Jahren Parlament wurde ich bereits in den Regierungsrat gewählt.
Sie erzielten überraschend ein Topresultat.
Trotzdem war der Schritt in den Regierungsrat sehr schwierig. Ich verkaufte die meisten Pferde und verabschiedete mich von den siebzig Kindern, die ich seit Jahren unterrichtet hatte. Vorher arbeitete ich selbstständig, war viel draussen, ständig in Bewegung, und plötzlich musste ich jeden Tag im Büro sitzen. Dann ging auch noch die Beziehung mit meinem Partner auseinander. Ich hatte das Gefühl, hinter mir breche alles zusammen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe mit vielen Menschen geredet, mit Freundinnen, Arbeitskollegen und mit meiner Assistentin. Dann ging ich zu einer Frau, die katathymes Bilderleben macht. Das müssen Sie mir erklären. Damit kann man den Verstand überlisten. Das katathyme Bilderleben setzt im Unterbewusstsein an, es ist eine Art Maltherapie. Zuerst wurde ich wütend und dachte, das ist doch Kindergarten. Die Therapeutin meinte, ich sei ein schwieriger Fall. Aber es ist eindrücklich, wenn man mit Sachen konfrontiert wird, denen man nicht ausweichen kann. Das ist wie eine Faust in den Magen, das tut weh.
Hilft es auch?
Ja, klar. Ich hatte aber noch eine andere Strategie. Ich traf mich mit 13 amtierenden oder ehemaligen Regierungsräten zum Gespräch und stellte denen ganz viele Fragen: Wie sind sie organisiert, worauf legen sie besonderen Wert, wie gehen sie mit Krisen um?
Ein journalistisches Vorgehen.
Stimmt. In einem der Gespräche sagte mir jemand, man sei in dieser Position ganz allein. Ich war bestürzt, ich wollte das nicht. Und so habe ich mir vorgenommen, niemals unnahbar zu sein. Die Leute sollten mich spüren können.
Gibt man zu viel von sich preis, riskiert man, als inkompetent eingestuft zu werden?
Ja, ich musste primitive Sprüche hören: «Jung, hübsch, blond: reicht nicht.» Dabei bin ich gar keine echte Blondine. Aber man kommt blond einfacher durchs Leben.
Sie lachen.
Stimmt doch! Tatsache ist, dieses Departement wurde selten so straff geführt wie jetzt. Ich bin extrem streng und verlange viel von meinen Leuten und auch von mir selber. Früher hiess es: Deine Reitstunden sind schlimmer als eine Mathelektion. Ich wollte stets das Maximum aus den Kindern rausholen, verlangte Disziplin und höchste Konzentration. Es hat viele Tränen gegeben, weil ich meine Schüler an ihre Grenzen brachte.
Sie haben SVP-Grossrat Andreas Glarner nach der Wahl den Handschlag verweigert. Das war nicht souverän.
Die SVP hat im Wahlkampf meine Mitarbeiter diffamiert. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Wenn sie auf mich schiessen, kann ich das einstecken, aber wenn sie meine Leute angreifen, werde ich zur Löwenmutter. Ich verteidige meine Jungen.
Sie haben doch selber gesagt, man darf nicht alles persönlich nehmen, muss auch einstecken können.
Was soll ich sagen? Ja, stimmt. Aber wenn jemand unanständig wird, ist es nötig, dass man ein Zeichen setzt. Das hat mit Zivilcourage zu tun. Ich sage im Zug auch: Nehmen Sie bitte die Füsse runter, heben Sie das bitte auf.
Sie wurden noch von anderer Seite angefeindet. In Bettwil hat sich fast das ganze Dorf gegen Sie gewendet, weil Sie dort ein Asylzentrum einrichten wollten. Man hat Ihnen den Weg versperrt, und Sie wurden als Hure beschimpft.
Dumm war, dass im Traktor, der die Strasse blockierte, kein Schlüssel steckte, sonst hätte ich ihn selber weggefahren. Ich habe nicht damit gerechnet, dass eine Stimmung aufkommen kann, wo man nicht mehr rational mit den Leuten reden kann. Eine Person stand hinter mir und schrie die ganze Zeit «Arschloch».
Waren Sie wütend?
In dem Augenblick habe ich nicht realisiert, was abging. Erst am Wochenende. Ich packte meinen Rucksack voll Akten, wanderte auf die Rigi und setzte mich an ein sonniges Plätzchen. Als ich an die Atmosphäre in der Mehrzweckhalle in Bettwil dachte, kamen mir die Tränen.
Weshalb?
Einige Leute dort haben von den Asylbewerbern geredet, als wären das Bestien, Räuber, Vergewaltiger. Mir wurde bewusst, auch heute kann man noch Leute mobilisieren, die aufgrund von Vorurteilen andere Menschengruppen ablehnen.
Trotzdem ist es Ihnen wichtig, dass die Aargauer Sie mögen.
Schon, ja. Ich habe die Leute eben auch gern. Bloss, wenn ich wollte, dass mich jeder mag, müsste ich angepasster sein. An Apéros zum Beispiel gehe ich nicht gern. Ich hasse das Bad in der Menge, stehe lieber am Rand und beobachte. Deshalb sagen manche von mir, ich sei arrogant.
Weshalb stösst Sie Smalltalk derart ab?
Diese Apéroszenen saugen mir alle Energie aus. Eine Beraterin sagte mir einmal, ich sei allzu offen, das ziehe die Leute an. Sie nehmen mich in Beschlag, erzählen mir ihr Leben, lassen mich nicht mehr los. Ich sollte eine Art Rahmen um mich schaffen. Aber ich kann das nicht. Meine Gespräche gehen immer tief.

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«Würde ich der grünen Parteilinie konsequent folgen, bliebe ich stehen»: Susanne Hochuli auf ihrem Biohof
in Reitnau

2.

Politikerin ist grün, streitet aber häufig mit ihrer Partei. Sie beherbergt Flüchtlinge aus Angola auf ihrem Hof, findet es aber richtig, dass Asylanten in Bremgarten nicht in die Badi dürfen. Trotz allem: Vor einem Jahr wurde Susanne Hochuli wieder in die Kantonsregierung gewählt