Werbung
Wenn man einen Posträuber vertreibt

Leben

Wenn man einen Posträuber vertreibt

  • Aufgezeichnet von Larissa Haas; Foto: iStock / vuk8691

Agnes Schnyder (45) ist Post-Angestellte in Buttisholz LU. Uns hat sie erzählt, wie sie den Mut hatte, sich gegen einen bewaffneten Räuber zu wehren und wie der Alltag danach aussieht.

Es ist Montagnachmittag, gegen zehn vor zwei. Ich komme aus der Mittagspause, überquere die Hauptstrasse und öffne die hintere Eingangstür der Post Buttisholz, um alles für die Schalteröffnung vorzubereiten. Es ist still im Dorf, das Café vis-à-vis hat Ruhetag. Kein Mensch ist unterwegs, ausser ein Mann, etwa Mitte 30, südländischer Typ, schlank, rundliches Gesicht, dunkelbraune Augen. Zu seinen Jeans trägt er ein Baumwollshirt, seine Haare sind schwarz gelockt, kurz geschnitten. In der Hand hält er ein gelbes Couvert – nichts Aussergewöhnliches: Kunden, die es eilig haben, übergeben mir ihre Post schon mal auf der Strasse. Ich will das Couvert also entgegennehmen, da lässt er es plötzlich fallen – und streckt mir stattdessen eine Faustfeuerwaffe entgegen; frontal, keine 80 Zentimeter von mir entfernt. Die Polizei wird später belegen, dass die Waffe geladen und entsichert war.

Ich schaue dem Mann in die Augen, dann auf die Pistole und von der Pistole wieder zurück in sein Gesicht, schlucke zweimal leer. «Hinein, in die Post», sagt er. Scheiss-Überfall, denke ich und verwerfe reflexartig meine Hände. Dabei touchiere ich unabsichtlich die Hand des Typen, woraufhin der, ebenfalls völlig überrascht, die Pistole fallen lässt. Sie rutscht über den Asphalt und bleibt rund zwei Meter weiter unter einem parkierten Postauto liegen. Totenstille. Da packt mich der Mann, so von hinten, und will mich ins Postgebäude zerren. Doch das lasse ich nicht zu. Ich schreie, rufe um Hilfe, schlage um mich, trete ihn mit beiden Beinen, dann mit den Armen, total furchtlos. Wenn du ein paar Sekunden vorher noch in die Mündung einer Pistole geschaut hast, die nun weg ist, fühlst du dich deinem Feind plötzlich ebenbürtig.

Aus meinem Augenwinkel sehe ich ein Auto langsam vorfahren. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Hoffnung in einen einzigen Moment gelegt: Endlich kommt Hilfe, denke ich. Der Wagen bleibt etwa drei Meter neben uns stehen – aber niemand steigt aus. Ich schreie noch immer, zapple und schlage aus. Da ruft jemand etwas aus dem Auto heraus, das ich nicht verstehe. Der Räuber löst seinen Griff, springt in den Wagen, sein Komplize drückt aufs Gaspedal, und die beiden fahren davon. Ich renne sofort hinterher und präge mir alles Wichtige ein: Personenwagen, Marke Seat Toledo, Farbe Blau, Kennzeichen XY.

Wenige Minuten später steht die Polizei auf dem Postparkplatz, die Ringfahndung hat bereits begonnen. Sie werden mir nachher berichten, dass der Wagen noch am selben Tag im Nachbardorf gefunden wurde. Die Täter aber seien auf freiem Fuss. Die Kriminalpolizei werde sich ums Phantombild kümmern. Das Gesicht des Mannes hat sich in mein Hirn gebrannt. Ich erinnere mich an jedes Detail, an die Form seiner Nase und die Rundungen seines Gesichts. Meine präzisen Erinnerungen sollten der Polizei später helfen, den Täter in Skandinavien zu fassen und ihn, weil er bereits vorbestraft war, für drei Jahre in den Knast zu bringen.

Zwei Tage nach dem Vorfall gehe ich wieder zur Arbeit, allein, wie immer. Doch die Geschichte, dass eine mutige Postangestellte im ländlichen Buttisholz einen Einbrecher in die Flucht geschlagen hat, verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Kunden wollen wissen, was an jenem Septembertag geschah, und ich gebe Auskunft, immer und immer wieder. Reden ist die beste Therapie. Noch in derselben Woche kursieren Gerüchte, etwa, dass ich den Schwarzen Gürtel in Karate besitzen würde und den Täter deshalb in die Flucht schlagen konnte. Kommt jemand auf diese abstruse Idee, lächle ich und nicke. Gut, wenn sich das herumspricht – das schreckt ab.