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Wenn man in der Migros eingesperrt ist

Leben

Wenn man in der Migros eingesperrt ist

  • Aufgezeichnet von Larissa Haas; Foto: iStock

Julia Jeanrichard (23) aus Saignelégier im Kanton Jura wurde in der dorfeigenen Migros eingesperrt. Wie sie reagierte, als im Laden die Lichter ausgingen und wie lange es dauerte, bis man sie befreite.   

Ich wollte mir nur noch schnell einen neuen Nagellack kaufen. Pink sollte er sein. Marke egal. Ich verliess mein Büro kurz nach 18 Uhr und muss so gegen 18.25 Uhr, fünf Minuten vor Ladenschluss, in der Migros von Saignelégier gewesen sein. Schnell steuerte ich die hinterste Ecke an: die Kosmetikabteilung. Wohl geblendet von den grellen Schriftzügen von Maybelline, Catrice, Nivea und Co., hatte ich plötzlich das Gefühl, noch mehr zu brauchen als nur diesen einen Nagellack. Und so testete ich mich durch die Produkte. Keine Ahnung, wie lang genau ich dort stand, aber jedenfalls lang genug, um alle Kunden an mir vorbeiziehen zu lassen, ohne irgendwas davon mitzubekommen.

Irgendwann ging ich zur Kasse. Dort war alles leer. Noch machte ich mir keinen Kopf. Im Laden war noch Licht, und die Migros in meinem Dorf ist klein, sodass man die Kassiererin gelegentlich in der Obstabteilung findet. Ich tigerte durch den Laden, vorbei an den Süssigkeiten, zur Molkerei, zum Getränkesortiment: niemand da. Na gut, dachte ich, lass ich es halt für heute sein. Ich deponierte meinen Einkauf an der Kasse und schritt zum Ausgang. Vor der Schiebetür bewegte ich mich von links nach rechts, ruderte mit den Armen – die Tür blieb zu. Also ging ich hinauf zum Parkhausausgang: zu. Der Notausgang: zu. So allmählich dämmerte es mir: Ich bin eingesperrt. In der Migros. Shit! Bin ich hier bei Kurt Felix’ versteckter Kamera?

Ich brach nicht in Tränen aus. Ich hatte auch keine Panikattacken. Mir war einfach nur übel. Keine Millisekunde dachte ich daran, die Regale leer zu räumen. Im Gegenteil! Mir war alles andere als nach essen zumute. Weil ich es nun aber doch ein wenig übertrieben fand, jetzt einfach den Feueralarm zu drücken, rief ich meine Zwillingsschwester an. Sie ging nicht ans Telefon. Ich versuchte es bei meiner Mutter: Combox! Im Laden gingen die Lichter aus. Es war aber nicht die Dunkelheit, die mir Angst machte, sondern diese ungewohnte Stille, diese Leere. Alles Vertraute nahm plötzlich geisterhafte Züge an: die Stapel der Einkaufskörbe, die Symmetrie der Regale – dazu das stoische Brummen der Kühlvitrinen, das wie dumpfe Stimmen in meinem Kopf herumkreiste.

Dann klingelte mein Telefon. Es war meine Zwillingsschwester. Zunächst dachte sie, ich mache Witze. Dann folgten endlos scheinende Telefon- konferenzen: Meine Schwester kannte eine Migros-Mitarbeiterin, die hatte allerdings keinen Schlüssel, weshalb sie ihren Chef kontaktierte.

Insgesamt sass ich zwei Stunden in der Migros fest. Mein Hirn aber hat diese zwei Stunden einfach ausgelöscht. Keine Ahnung, was ich gemacht habe, aber vermutlich habe ich auf dem Smartphone einfach die Zeit totgescrollt. In einem solchen Moment schwörst du dir: Besorg dir deinen pinken Nagellack das nächste Mal gefälligst eine halbe Stunde früher!

Irgendwann kam der Chef. Er schien gestresst, trug eine Schachtel Pralinés bei sich. Er streckte mir seine Hand entgegen: «Excusez-moi.» Ich lächelte müde und ging nachhause – statt mit einem neuen Nagellack halt mit Schokolade.

Ob ich gescheiter geworden bin? Leider nein. Noch heute eile ich um 18.25 Uhr in die Migros. Schliesslich ist ja noch fünf Minuten Zeit!