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Frauen mit Essstörungen wird im Wohnheim Power2be Bethanien geholfen

Leben

Frauen mit Essstörungen wird im Wohnheim Power2be Bethanien geholfen

  • Redaktion: Helene Aecherli; Interview: Salome Müller; Illustration: Lisa Rock

Immer mehr Frauen leiden an Essstörungen. Nun gibts eine neue Therapieform: Im Wohnheim Power2be Bethanien werden die Frauen Abends und Nachts betreut.

ANNABELLE: Erika Toman *, Angebote für essgestörte Frauen gibt es viele. Sie bieten mit Power2be Bethanien eine Alternative: Die Betroffenen werden erst ab 16 Uhr betreut. Warum?
ERIKA TOMAN: Weil die meisten während des Tages in ihrem Alltag eingespannt und dadurch oft gut aufgehoben sind. Abends aber fallen viele in ein Loch. Wenn die Bewohnerinnen von der Arbeit oder der Schule heimkommen, kochen sie gemeinsam mit der diensttätigen Betreuerin, essen zusammen, erzählen von ihrem Tag und gestalten den Abend miteinander.

Soll dadurch der Gedankenstrudel ums Essen durchbrochen werden?
Genau. Zentral ist, dass die Frauen nach dem Essen nicht allein sind und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie viel sie gegessen haben. Vielen fällt es auch schwer, ihre Freizeit zu gestalten, weil das Essen und das Erbrechen früher ihre ganze Zeit in Anspruch genommen haben.

Wer wird in die Wohngruppe aufgenommen?
Frauen ab 18 Jahren, die sich bereits einmal einer Behandlung unterzogen haben, denen eine ambulante Therapie aber zu wenig ist, die ihr Leben nicht für einen mehrmonatigen Klinikaufenthalt unterbrechen wollen oder schon in einer Klinik waren, aber nach dem Austritt wieder rückfällig geworden sind. Der Zustand der Frauen muss jedoch stabil sein.

Was bedeutet das genau?
Eine Patientin, die bei einer Grösse von 1.64 Meter nur noch 34 Kilogramm wiegt, können wir nicht nehmen. Wichtig ist auch, dass die Essstörung und nicht eine weitere Suchterkrankung im Vordergrund steht. Denn Essgestörte leiden häufig an einer zweiten Sucht, etwa an Cannabis- oder Alkoholsucht.

Der Aufenthalt ist auf ein Jahr beschränkt. Warum?
Eines der grössten Probleme der Essgestörten ist die Chronifizierung der Krankheit. Der begrenzte Zeitraum ist für die Betroffenen eine Chance, sich am Heilungsprozess zu beteiligen und ihn voranzutreiben. Die Erfahrung zeigt, dass ein Jahr eine gute Zeitspanne ist, innerhalb der sich der Zustand normalisieren kann.

Gibt es mehr Essstörungen?
Leider ja. Klassische Essstörungen wie Anorexie und Bulimie haben um ein bis zwei, die unspezifischen Essstörungen um knapp zwei Prozent zugenommen. Zu den unspezifischen Essstörungen gehört zum Beispiel, sich immer wieder zu überessen, zwanghaft ans Essen zu denken oder zwanghaft Sport zu treiben. Je nach Studie leiden insgesamt vier bis acht Prozent der Frauen an einer Essstörung.

Was sind die Gründe für diese Zunahme?
Es gibt keine Kausalitäten, sondern Risikofaktoren: Oft sind die betroffenen Frauen ehrgeizig, perfektionistisch, sehr sensibel. Sie nehmen mehr als andere wahr und leiden fast physisch unter Unperfektheiten bei sich wie bei anderen. Das heisst aber nicht, dass diese Frauen immer eine Essstörung entwickeln.

Wann entsteht eine Essstörung?
Die Frage ist, woran sich besagte Eigenschaften entzünden. Wir sehen aber, dass der gesellschaftliche Druck, der auf den Frauen liegt, oft ausschlaggebend sein kann: Es wird erwartet, dass sie Familie und Beruf perfekt unter einen Hut bringen und gleichzeitig fit, schlank und glücklich sind.

Was wiederum kaum möglich ist.
Eben. Mit den diffusen Sorgen, ob man es richtig macht, diesem «ungefähr», kommen gerade ehrgeizige und perfektionistische Frauen schwer zurecht. Die Probleme lassen sich besser kon- trollieren, wenn man sie irgendwo festmacht – etwa am eigenen Körper. So werden die Probleme konkret, und die Betroffene versucht sie durch ein bisschen weniger essen und ein bisschen mehr turnen anzugehen. Dies bildet den Nährboden für Essstörungen.

* Erika Toman ist Fachpsychologin und therapeutische Leiterin des Wohnheims Power2be Bethanien in Kaltenbach TG

— Weitere Infos: www.bethanien.ch, www.netzwerk-essstoerungen.ch