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Wenn man das Vertrauen in den Körper verliert

Leben

Wenn man das Vertrauen in den Körper verliert

  • Aufgezeichnet von Kerstin Hasse; Foto: iStock

Etwa sechstausend Mal pro Jahr wird in der Schweiz die Diagnose Brustkrebs gestellt. Für sechstausend Frauen ändert sich mit einem Schlag - alles. Wir haben mit einer Betroffenen über diesen Moment und den Glauben an die Genesung gesprochen. 

Ich wusste es schon, bevor ich die Diagnose erhielt. Ich wusste, etwas stimmt nicht. Zuerst schmerzte mein Arm. Den Tag zuvor hatte ich den Schnee vor meinem Haus weggeräumt. Vielleicht ist es einfach Muskelkater, dachte ich. Doch dann unter der Dusche spürte ich etwas. Und ich wusste, das ist nicht gut.

Meine Ärztin wollte mich beruhigen. Es müsse nichts Bösartiges sein, sagte sie. Sie meldete mich zur Mammografie an. Es muss nichts Schlimmes sein, wiederholte der Arzt dort. Ich nickte, aber mein Kopf sagte etwas anderes.

Als ich die Diagnose Brustkrebs erhielt, ging alles sehr schnell. Das ist wie in einem Film, die Ärzte sagen dir, was nun passiert, und du machst mit. Du hast gar keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.

Die Diagnose machte mir weniger Angst als die Behandlung. Chemotherapie, was macht das mit meinen Körper? Ich habe diesen Beutel Flüssigkeit gesehen, den sie mir in den Körper pumpten, und hatte keine Ahnung, was dieses Zeug mit mir anstellt. Ich hörte, dass einem schlecht wird, dass die Haare ausfallen, dass man müde wird und kraftlos. Aber jeder Mensch reagiert anders auf diese Medikamente. Und das machte mich nervös.

Nach der ersten Chemo spürte ich, dass etwas in mir passiert. In meiner Brust war ein Gewitter. Blitze, Donner, ständiger Schmerz. Auch das machte mir Angst. Mein Körper reagierte, aber ich wusste nicht wie. Ich begann, mich anders zu sehen. Da war zum einen der Kopf, der die Situation analysierte, der sagte, ich will gesund werden, ich will kämpfen. Und dann war da der Körper. Er. Während der Behandlung kommt man an einen Punkt, an dem der Körper ein Eigenleben bekommt. Wie wird er reagieren? Er muss jetzt noch diese Operation durchstehen. Er wird sich hoffentlich erholen. Ich redete nicht nur von ihm, sondern auch mit ihm. Versuchte in Gesprächen mit mir selbst herauszufinden, wie es mir geht. 

Am intensivsten waren diese Gespräche, als ich zum zweiten Mal etwas in meinem Körper spürte und ich wusste, dass alles wieder von vorn losgeht. Der Kopf war sofort in Kampflaune. Das nehmen wir in Angriff, sagte ich mir. Ich glaubte fest daran, dass ich das schaffen kann. Gleichzeitig hatte ich keine Ahnung, ob mein Körper, ob er das auch glaubt. Ich wusste, ich würde auf diesen Zug aufspringen – aber würde mein Körper mir folgen? Das waren Momente, in denen ich zweifelte, weil ich nicht wusste, ob ich meinem Körper noch vertrauen kann. Ob er die Kraft hat, die es braucht, um gesund zu werden. 

Es dauerte Jahre, bis ich wieder eins wurde. Bis mein Kopf und mein Körper nicht mehr voneinander entfernt funktionierten und ich das Gefühl hatte, ich selbst zu sein.

Heute kenne ich mich viel besser als vor der Krankheit – auch wenn ich nicht mehr die Gleiche bin. Meine Haare sind heute braun und nicht mehr blond. Manchmal, wenn ich viele Sachen gleichzeitig machen muss, wird mir alles zu viel, damit hatte ich früher kein Problem. Und: Mit der Entfernung der Brust ist mein Körper nicht mehr vollständig, er wird nie mehr so sein wie früher. 

Diese Krankheit gehört noch immer zu meinem Leben. Geheilt ist man nie, das weiss ich. Ich mache mir da nichts vor. Aber mir geht es gut. Mittlerweile gehe ich auch nicht mehr in Alarmstimmung durchs Leben. Ich bin heute mutiger als früher und selbstbewusster. Ich gebe mehr acht auf mich und versuche, negative Menschen, Dinge und Situationen von mir fernzuhalten. Ich bin meinem Körper dankbar, dass er mir damals diese Warnsignale gegeben hatte. Und ich kann ihm wieder vertrauen. Schliesslich haben wir das zusammen durchgestanden.

Andrea*, 56

* Name der Redaktion bekannt