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«Es geht immer um Leben und Tod»

Leben

«Es geht immer um Leben und Tod»

  • Interview: Frank Heer; Foto: Reinhard Werner/Burgtheater

Birgit Minichmayr (40) gehört zu den besten Schauspielerinnen auf deutschsprachigen Bühnen. Nun ist sie mit einem neuen Film im Kino zu bewundern.

annabelle: Birgit Minichmayr, ich hatte kürzlich ein Interview mit einem pensionierten Pfarrer. Er gestand mir, dass er als junger Mann gern Schauspieler geworden wäre …
Birgit Minichmayr: Das kenne ich. Ich rede mit Leuten, und plötzlich erzählen die einem, dass sie mal an die Schauspielschule wollten, doch bei der Prüfung durchgefallen seien. Ich bin dann immer ganz überrascht und denke, echt, du?

Warum steht Schauspieler bei so vielen Menschen ganz oben auf der Liste der Traumberufe?
Vielleicht ist das einfach ein Rest von kindlichem Spieltrieb. Kinder können sich ja mit Inbrunst in Rollen hineinversetzen. Und dann gibt es auch Leute, die denken bei Schauspielerei an Hollywood. Sie verwechseln den Beruf mit dem Wunsch, berühmt zu sein.

Die Schauspielerei ist so alt wie die Menschheit. Oder so alt wie das Bedürfnis, unterhalten zu werden. Vielleicht kann man die Menschen in zwei Sorten unterteilen: in Zuschauertypen und Unterhaltertypen!
Kann schon sein. Ich konnte als Kind sehr gut unterhalten, natürlich ohne ein Bewusstsein dafür zu haben. Anscheinend war ich ein sehr lustiges Kind, rothaarig, sommersprossig, fröhlich. Ich glaube, ich habe mit meinem Wesen auch die Schwere kompensiert, die auf meiner Familie lastete. Mein Bruder war als Kind oft krank, ein schwerer Asthmatiker, was vor 40 Jahren noch nicht so gut behandelbar war wie heute. Die Ärzte warnten meine Eltern vor Erstickungsanfällen, was meine Mutter dazu veranlasste, die Jahre nach der Geburt meines Bruders fast jede Nacht neben ihm aufrecht im Bett zu sitzen. Aus Angst, er könnte ersticken. Ich war sozusagen das ausgleichende Element in der Familie.

Sind Sie deshalb Schauspielerin geworden?
Keine Ahnung. Als Mädchen begeisterte mich alles, was mit Musik, Bühne, Tanz und Büchern zu tun hatte. Meine Eltern haben das unterstützt, vielleicht auch darum, weil meine Mutter ihre musische Ader als Kind nicht ausleben konnte. Ich nahm Gesangsunterricht, tanzte im Ballett, spielte Klavier. Am Ende war es eine Art Ausschlussverfahren: Fürs Klavierüben war ich zu faul, einer Karriere als klassische Sängerin machte mein erwachendes Interesse an nächtlichen Umherschweifungen einen Strich durch die Rechnung, und um Ballett auf hohem Niveau tanzen zu können, fehlte mir die körperliche Konstitution. Theater hatte mir immer Spass gemacht, aber es war auch nicht so, dass ich das unbedingt zu meinem Leben machen musste.

Trotzdem wurden Sie ans Max-Reinhardt-Seminar in Wien aufgenommen und noch während des Studiums ans Burgtheater verpflichtet. Ein wahnsinniger Karrierestart.
Vielleicht, weil ich so unverkrampft war. Ich dachte einfach, wenn die mich nicht wollen, dann geh ich halt studieren.

Wir sitzen hier vor einem alten Wiener Kaffeehaus, in dem vielleicht schon Sigmund Freud die Zeitung las. Er arbeitete ganz in der Nähe, an der Berggasse 19. Müssen Schauspieler gute Psychologen sein, um sich eine Rolle anzueignen?
Es ist nicht von Nachteil, etwas über menschliche Abgründe zu wissen, oder eine Ahnung davon zu haben, zu was Menschen fähig sind. Nicht, dass man das alles selbst erlebt haben muss, um Gottes Willen. Aber die Fähigkeit, differenziert zu denken, hilft natürlich. Wobei ich es nicht mag, wenn Schauspieler zu sehr psychologisieren. Das kann die Figur, die sie verkörpern, auch schmälern, weil da zu viel eigenes Denken drinsteckt.

Der Psychologe würde sagen: Er bewahrt eine professionelle Distanz zum Patienten. Und Sie zur Rolle?
Ja, wobei das nicht heisst, dass mich die Figur nichts angeht. Oder dass ich da jetzt einen auf übercool machen und die Rolle mit einer Arschbacke absitzen muss. Es geht bei der Schauspielerei immer um Leben und Tod. Wenn wir auch nicht am offenen Herz operieren, nehme ich das, was ich in den zwei, drei Stunden auf der Bühne mache, sehr ernst. Ich reisse mir den Hintern auf für die Leute, die Eintritt bezahlen, um das Stück zu sehen. Trotzdem habe ich eine gute Distanz zur Rolle, die ich spiele. Wenn Berufskollegen mir erzählen, dass sie nach der Vorstellung Stunden brauchen, um aus der Rolle herauszufinden, dann weiss ich gar nicht, was die meinen. Wohin soll man sich denn da verlaufen, auf der Bühne, ausser zu sich selbst?

Fasziniert den Zuschauer nicht gerade die Illusion, dass der Schauspieler eins wird mit seiner Rolle?
Jemand, der eins wird mit seiner Rolle, ist ein Fall für den Psychiater. Es gab für mich auf der Bühne noch nie einen Moment, in dem ich die Kontrolle über mich selbst verlor. Ich trage meine Rollen auch nicht mit nachhause. Das absolut absurd Krasseste an unserem Beruf ist doch, dass wir verführen können, in die tiefsten Tiefen und höchsten Höhen, und wenn wir vor den Vorhang treten, sind wir wieder wir selber. Aber vielleicht bin ich da einfach geerdeter als andere.

Es gibt diese berühmten Beispiele von Schauspielern, die ihre Rolle mit jeder Faser ihres Körpers …
… Method Acting.

Ist diese Schauspieltechnik überhaupt noch en vogue?
Klar, diese Herangehensweise über den Körper ist auch legitim. Für mich ist es aber nicht so interessant zu wissen, ob sich jemand 30 Kilo für eine Rolle angefressen hat oder sich, wie Leonardo Di Caprio in «The Revenant», ungeheurer Nässe und Kälte aussetzen musste. Sich abzuplagen, ist doch keine schauspielerische Leistung. Da schaue ich lieber Leichtathletik, das begeistert mich mehr.

Trotzdem sagen Sie, dass die Herangehensweise des Method Acting legitim sei.
Ist sie auch. Was mich stört, ist dieses Gedöns darum. Das Brüsten damit, wie krass man sich auf seine Rolle vorbereitet hat. Da bin ich für Betriebsgeheimnisse. Das braucht doch niemand zu wissen. Dass wir uns für unseren Beruf ins Zeug legen, ist doch klar. Eine Krankenschwester stellt auch keine Fotos von sich auf Instagram, wie sie seit 16 Stunden auf den Beinen ist.

Sind Sie auf Instagram? Facebook?
Nein, ich bin ja mit Computern so dämlich. Abgesehen davon habe ich kein Bedürfnis, alles festzuhalten und mit anderen zu teilen, was in meinem Leben geschieht.

In Ihrem neuen Film «Tiere» spielen Sie eine versponnene Kinderbuchautorin, die sich mit ihrem Mann, einem Koch, eine Auszeit in den Schweizer Bergen gönnt. Die Figuren, aber auch die Zuschauer im Kino geraten immer mehr in einen Strudel der Täuschungen und verschobenen Realitäten.
Ja, dieses Drehbuch hat mich sofort begeistert. Bereits beim Lesen ging die Fantasie mit mir durch. Auch wenn ich erst das Gefühl hatte, vom Typ her nicht richtig zu dieser Frauenfigur zu passen. Aber das ist es ja, was ich spannend finde an meinem Beruf: Ich muss die Rollen, die ich spiele, nicht immer mit meiner Persönlichkeit abgleichen. Ich mag es, mich mit einer gewissen Überraschungsbereitschaft einer Rolle auszuliefern, die mir unvorhersehbar scheint.

Das Drehbuch zu «Tiere» ist ziemlich abgefahren. Als Schauspieler weiss man beim Dreh vermutlich nicht, ob das auf der Leinwand auch funktioniert, oder?
Ja, am Set verliert man schnell den Überblick. Beim Schnitt passiert dann auch noch mal extrem viel. Bei der Premiere an der Berlinale ist er dann aber sehr gut angekommen, vielleicht auch wegen diesem Schwarzhumorigen, Schrägen. Darüber war ich sehr glücklich.

«Tiere» ist ein Beispiel dafür, wie sich Filme in den Zuschauer einschleichen können und ihn für eine Weile nicht mehr loslassen. Mir ist es so ergangen.
Schön! Die Verführungskraft des Kino kann gewaltig sein.

Das wünscht sich das Theater natürlich auch, oder?
Klar wünscht man sich diese Sogwirkung auch im Theater. Aber es gelingt nicht mit jedem Stück, so wenig, wie es mit jedem Film gelingt. Der Film verfügt über Mittel, die dem Theater fehlen. Er ist ein Kunstprodukt. Die Schauspieler wiederholen ihre Szenen, bis sie sitzen, man schneidet rum, arbeitet mit Gross- und Nahaufnahmen. Das alles geht auf der Bühne nicht. Doch Theater hat den Vorteil des Augenblicks. Jede Vorstellung ist einzigartig. Man ist als Zuschauer viel näher dran. Das ist ein Erlebnis für sich.

Hat der Theaterschauspieler mit dem Filmschauspieler so viel gemein wie der Apfel mit der Birne?
Ja. Früher dachte ich, och, ist doch alles Schauspielerei, aber das stimmt nicht. Im Theater muss ich 1400 Leute bei Laune halten. Das braucht eine ganz andere Intimität und energetische Anstrengung, als eine Szene am Filmset zu spielen, die ich so lang wiederholen kann, bis sie passt. Ich habe früher stark darunter gelitten, dass es im Film immer nur darum geht, die nächste Szene im Kasten zu haben. Abends bin ich im Bett gelegen und hab mir gedacht, Scheisse, das habe ich vollkommen falsch gespielt. Das hat mich fast zwangsneurotisch besetzt, wie ein Dämon. Heute mache ich beides sehr gern, Filme und Theater.

Sie sind freischaffend am Wiener Burgtheater, Münchner Residenztheater, an der Berliner Volksbühne und am Hamburger Schauspielhaus tätig. Wo leben Sie eigentlich?
In Wien. Ich lande immer wieder hier und muss auch immer wieder flüchten vor dieser Kleinkariertheit, Dörflichkeit, Provinzialität. Mal sehen, wie lang ich es diesmal aushalten werde, bevor ich keine Luft mehr bekomme. Fluchtgedanken sind schon wieder da. Vielleicht ist das eine Wiener Krankheit.

Dafür stimmen die Mehlspeisen versöhnlich.
Oh ja, das können wir Österreicher richtig gut. Bei uns zuhause gabs schon zum Frühstück ein Stück Torte. Schwarzwälder Kirsch, Kardinalschnitten, Malakovtorte vom Vortag. Andere Kinder bekamen Marmeladebrote, wir Torte und Multivitaminsaft.

 

Ab 5. 10.: «Tiere» von Greg Zglinski. Mit Birgit Minichmayr, Philipp Hochmair, Mona Petri. Nach einem Drehbuch von Jörg Kalt

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«Ich mag es, mich einer Rolle auszuliefern, die mir unvorhersehbar scheint»