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Diese Bücher sollten Sie im September lesen

Literatur & Musik

Diese Bücher sollten Sie im September lesen

  • Redaktion: Frank Heer, Claudia Senn; Text: Barbara Achermann (Favorit), Verena Lugert (Roman), Dietrich Roeschmann (Bildband); Fotos: Pexels.com

Jeden Monat stellt die annabelle-Kulturredaktion die besten Bücher und Bildbände für Sie zusammen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ressort Kultur präsentieren Ihnen jeden Monat die besten literarischen Neuerscheinungen. Mit dabei: ein Buch über eine Einladung zu einer Kreuzfahrt, ein trauriger Roman über eine Nanny, in deren gebrochener Seele gefährliche Abgründe lauern und eine Monografie über das Werk von Not Vital.

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1.

Die weisse Festung, schön gelegen an Ghanas Küste: Oben wohnen die Weissen, der Pfarrer, die Soldaten und der Gouverneur. Doch unten, im Kerker, vegetieren die Schwarzen, die Sklaven, die auf ihre Verschiffung nach Amerika warten. «Tag und Nacht war es dunkel. Manchmal wurden so viele Frauen in das Verlies gedrängt, dass sie sich bäuchlings auf den Boden legen mussten, sodass andere Frauen auf sie gelegt werden konnten.» Esi ist eine dieser Frauen, kaum 15. Oben lebt Effia, sie ist die Frau des Gouverneurs – und Esis Schwester, beide kennen sich jedoch nicht. Von dieser Festung aus entspinnen sich Fäden der Lebenswege der beiden Ghanaerinnen und ihrer Kinder und Kindeskinder, von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart. Eine seelische Wunde, so tief und verstörend wie das Trauma der Sklaverei, schreibe sich fort in der DNA und vererbe sich über die Generationen hinweg, sagt Yaa Gyasi, in den USA aufgewachsene Ghanaerin, die Autorin dieses grandiosen Romans, dem es bestimmt ist, ein Klassiker zu werden. Und den man lesen muss. Genau jetzt, in diesen Zeiten.

– Yaa Gyasi: Heimkehren. Du-Mont-Verlag, Köln 2017, 416 Seiten, ca. 32 Franken

2.

Mit Afghanistan verbindet den US-Fotografen Steve McCurry mehr als nur eine Leidenschaft. In den Siebzigerjahren startete er hier seine Karriere und schmuggelte erschütternde Re- portagen über die sowjetische Besatzung ausser Landes. Später porträtierte er in einem Flüchtlingslager an der pakistanischen Grenze ein 12-jähriges Mädchen, das mit seinen grünen Augen weltweit als Afghan Girl zur Ikone wurde. Heute ist Steve McCurry 67 Jahre alt und seine Neugier ungebrochen. Erstmals versammelt ein Bildband nun eine Auswahl seiner eindringlichsten und schönsten Fotografien aus Afghanistan.

– Steve McCurry: Afghanistan. Taschen-Verlag, Berlin 2017, 256 Seiten, ca. 75 Franken

3.

In Frankreich wird der Präsident gewählt: Der Spitzenkandidat ist weltgewandt, charismatisch und arabischer Herkunft. Am Abend vor der Wahl wird er Opfer eines Attentats. Ins Visier der Ermittler gerät nicht die neue Rechte, sondern die algerische Grossfamilie Nerrouche. Band eins der Thrillertrilogie ist einPageturner über die zerrissene Psyche der Grande Nation.

– Sabri Louatah: Die Wilden. Eine französische Hochzeit. Heyne-Verlag, München 2016, 704 S., ca. 27 Fr.

4.

«Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt», stand im E-Mail, das Grossschriftsteller und Deutscher-Buchpreis-Träger Bodo Kirchhoff letztes Jahr erhielt. Man lud ihn ein zu einer Luxuskreuzfahrt, alles gratis, alles wohlfeil, in die Karibik sollt es gehn. Nur ein paarmal aus seinen Werken lesen sollte er an Bord, schrieb ihm die Kulturbeauftragte der Reederei, und ansonsten: den zahlenden Gästen ein verbindliches Wesen zeigen. Gästen, vor denen der Schriftsteller die grösste Abscheu hat: «Der Kreuzfahrer bezahlt für die ozeanische Ambition; all sein Kleines und Gemeines soll in der Weite des Meers verschwinden, und das Bangen, weil ihm sein Leben davonläuft, soll die karibische Sonne wegbrennen.» Ein misanthropisches Mäandern ist der fiktive Antwortbrief von Kirchhoffs Alter Ego. Ein angstlustvolles Ausmalen der Schrecken, die das In-den-Whirlpool-mit-vier-Tätowierten-zu-steigen-Haben mit sich brächten. Der Brief ist eine schrullige Suada, die mit jeder Seite kafkaesker wird. Und einen hell auflachen lässt ob all der wohlgepflegten Eigentümlichkeiten des Autors. Der diese Reise dann doch nicht angetreten hat – im echten Leben.

– Bodo Kirchhoff: Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2017, 128
S., ca. 22 Franken

5.

Ein Roman, den man nicht aus der Hand legt, den man mit namenlosem Schrecken liest. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, in 32 Ländern verkauft, geschrieben von einer Journalistin, einer Mutter: Ein junges Pariser Paar stellt eine Nanny ein, weil beide ihrem Beruf nachgehen wollen, er ein mittelerfolgreicher Produzent und sie eine Juristin, der daheim bei den beiden kleinen Kindern die Decke auf den Kopf gefallen ist, sie wurde schliesslich depressiv. Das Paar lebt wieder auf, die Nanny ist ein Engel, eine zarte kleine Fee, die kochen kann und mit den Kindern zaubert, spielt und bastelt. Doch in ihrer gebrochenen Seele lauern Abgründe. Dicht, grandios und schrecklich traurig ist das Buch, das die Frage aufwirft, wie eine Mutter jemals den richtigen Weg finden kann zwischen Fürsorge und Selbstaufgabe.

– Leïla Slimani: Dann schlaf auch du. Luchterhand-Verlag, München 2017, 224 S., ca. 29 Franken

6.

Wenn Not Vital nicht gerade in einem seiner Ateliers in Rio de Janeiro oder Peking arbeitet, betreut er an den entlegensten Orten den Bau neuer Aussichtspunkte seines weltumspannenden Projekts «House to Watch the Sunset». Immer wieder gern kehrt der Bildhauer-Nomade auch dorthin zurück, von wo er Mitte der Siebziger zu seiner internationalen Karriere aufbrach: ins enge, wilde Unterengadin. Zur grossen Retrospektive des 69-Jährigen in Chur erscheint jetzt eine opulente Monografie über das wunderbar poetische, zugängliche Werk dieses Wanderers zwischen den Kulturen.

– Not Vital: Univers privat. Scheidegger & Spiess, Zürich 2017, 200 S., ca. 52 Franken

7.

Am Eingang döste ein Alligator, drin gabs Jazz, Cola für 50 Rappen und viel Zigarettenrauch. So erinnert sich ein Basler ans Atlantis der frühen Fünfziger. Der Club war einst das schillerndste Musiklokal der Schweiz. In den letzten Jahren wurde es ruhig ums «-tis», doch das Buch zum 70-Jahr-Jubiläum lässt die alten Zeiten gebührend aufleben.

Der Favorit von Redaktorin Barbara Achermann

– Marc Krebs, Christian Platz: Atlantis Basel. Christoph-Merian-Verlag, Basel 2017, 244 S., 54 Franken