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Sex-Casting und Geldverbrennung im Interview mit Philipp Meier

Leben

Sex-Casting und Geldverbrennung im Interview mit Philipp Meier

  • Interview: Dietrich Roeschmann

Die spektakulärsten Aktionen gabs im Dada-Haus während der Ära von Philipp Meier. 

Der 48-Jährige war Landschaftsgärtner, Clubbetreiber und von 2004 bis 2012 Direktor des Cabaret Voltaire. Sein Konzept, Dada mit den Methoden der Kommunikationsguerilla in die Gegenwart zu katapultieren, bescherte dem Haus viel Aufmerksamkeit und noch mehr Ärger. 2012 musste er seinen Posten räumen.

annabelle: Philipp Meier, vom Sex-Casting bis zur öffentlichen Geldverbrennung haben Sie nur wenig ausgelassen, um für Empörung zu sorgen. Was hatte das mit Dada zu tun? 
Philipp Meier: Die Dadaisten haben provoziert, Tabus gebrochen, gegen die Moral und das Denken ihrer Zeit opponiert. Ich habe versucht, diese Haltung in die Gegenwart zu übersetzen. Mit unseren Aktionen und Performances haben wir gezielt Grenzen überschritten, um diese sichtbar zu machen. So effektvoll, dass Sie 2008 beinahe ein Opfer Ihres eigenen Erfolgs geworden wären. Die Existenz des Cabaret Voltaire stand auf dem Spiel.

Was war geschehen?
Nach einem Workshop von Londoner Street-Art-Künstlern, der bei uns stattgefunden hatte, tauchten plötzlich überall in der Stadt frische Graffiti auf – auf Google Maps sauber dokumentiert für die Sprayerszene. Am Tag darauf forderten FDP und SVP, uns die Subventionen zu streichen, weil wir angeblich zur Sachbeschädigung aufgerufen hatten. Später mussten die Zürcher sogar über die Zukunft des Cabaret Voltaire abstimmen. Das war eine Zäsur – aber auch die einmalige Chance, Dada in die Haushalte zu bringen. 65 Prozent stimmten für das Cabaret Voltaire.

Trotzdem: Hatten Sie nie Angst, die Kontrolle zu verlieren?
Natürlich war es ein Spiel mit dem Feuer. Dada-Aktionen funktionieren wie virales Marketing. Welche Wellen sie schlagen, lässt sich unmöglich genau voraussagen.

Welche Aktion war besonders gelungen?
2007 verwanzte die Mediengruppe Bitnik das Zürcher Opernhaus. Über einen Server im Cabaret Voltaire wurden die Aufführungen dann Abend für Abend live an 120 Telefonkunden in der Stadt übertragen, die per Zufallsgenerator angewählt wurden.

Acht Jahre lang galten Sie als der Agent provocateur des Cabaret Voltaire. Dann mussten Sie gehen, und es wurde ruhiger an der Spiegelgasse. Ist Dada heute ein Fall fürs Museum?
Nein, im Gegenteil. Es gibt die Wirtschaftskrise, die Flüchtlingskrise, Kriege in der ganzen Welt – und die Schweiz ruht erneut im Auge des Orkans und bleibt von all dem weitgehend verschont. Darin liegt doch jede Menge Stoff für neue Aktionen.