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Starke Frauenstimmen vom Balkan

Leben

Starke Frauenstimmen vom Balkan

  • Text: Aleksandra Hiltmann; Fotos: Instagram (3), Youtube (1)

Auf ihren Busreisen durch den Balkan hörte Reportagepraktikantin Aleksandra Hiltmann viele Stunden Turbobeats und Folklore aus scheppernden Lautsprechern. Doch das musikalische Universum des Balkans hat mehr zu bieten – fünf spannende Frauen mit starken Stimmen.

Andrra, Elina Duni, Amira Medunjanin, Esma Redžepova, Jadranka Stojaković – sie alle bauen mit ihrer Musik Brücken, lösen Grenzen zwischen Kulturen, Menschen und Zeiten auf. Sie zeigen, dass Musik eine universelle Sprache spricht, in der alte Texte bis heute berühren.

Meine erste Begegnung mit Musik aus dem Balkan war zugleich auch eine der prägendsten. 2012 reiste ich für ein Freiwilligenprojekt erstmals nach Kosovo. Spät Abends erreichten wir die Romasiedlung des Dorfs Plemetina. Unter den Gastgebern und Teilnehmenden waren Roma, Serben und Albaner. Roma werden im Balkan bis heute stark diskriminiert und sind während des Kriegs zwischen Serben und Albanern in Kosovo immer wieder zwischen die Fronten geraten. Doch all das existierte an diesem Abend nicht. Alle sassen im Garten, tranken, musizierten, sangen und tanzten.

Während meiner Reise war es oft die Musik, die Grenzen aufzulösen vermochte. Jung und Alt, ob durch eine gemeinsame Sprache oder Geschichte verbunden oder getrennt – gesungen wurde gemeinsam, und wer den Text nicht kannte, fand ihn im Internet. Musik verbindet, und für mich macht das niemand deutlicher, als die fünf Sängerinnen, die ich Ihnen in der Bildergalerie vorstellen möchte.

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1.

Elina Duni kam mit zwölf Jahren aus Albanien in die Schweiz. Nun bringt sie die Poesie alter, beinahe vergessener Lieder dorthin zurück. Mit ihrem neusten Album «Dallëndyshe» (Vogel) konzentriert sich Duni auf albanische Lieder. Auf vorherigen Alben singt sie in verschiedenen Sprachen und Dialekten des Balkans. Nationalismus und Propaganda bleiben dabei entschieden draussen. Stattdessen schafft sie – solo oder mit Formation – neue Klangwelten zwischen Tradition und zeitgenössischem Jazz, die Musik dabei aufs Nötigste reduziert. Die Mischung aus Melancholie, Leichtfüssigkeit und Virtuosität ist betörend. Sie wurde dieses Jahr mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet.

2.

Wenn Amira Medunjanin singt, wiegt sich das Publikum still hin und her, summt mit, weint, lächelt. Die alten bosnischen Lieder, die Sevdalinkas, hat sie als Kind von ihrer Mutter gelernt. Sevdah ist, ähnlich wie der portugiesische Fado, schwer in ein anderes Wort zu fassen. Sehnsucht kommt ihm am nächsten. Amira Medunjanin singt traditionelle Lieder neu, ohne dass sie ihren Kern verlieren – aber durchaus so, dass sie einem modernen Rollenbild der Frau gerechter werden. Amira Medunjanin möchte der Welt zeigen, dass Bosnien und der Balkan mehr zu bieten haben als eine dunkle Vergangenheit.

3.

Im Alter von neun Jahren schrieb Esma «Čaje šukarije» (Schönes Mädchen). Das Lied wurde später ihr erster grosser Hit. Als junge Frau entschied sich Esma gegen das Heiraten. Sie wollte singen. In den 50er-Jahren brachte sie als Erste die bis dahin verpönte Musik der Roma ins jugoslawische Radio, Fernsehen und auf grosse Bühnen. Bald tourte sie weit über den Balkan hinaus und wurde zur Botschafterin der Roma in der Welt. Die «Queen of the Gypsies» starb 2016. Ihr musikalisches Erbe in sämtlichen Sprachen des Balkans bleibt unvergessen, allen voran ihre Interpretation der Roma-Hymne «Djelem, djelem» (Ich bin gereist, ich bin gereist). Und es vergeht keine Balkanparty in Zürich, auf der nicht eines von Esmas Liedern geschmettert wird – am besten live, von einer zehnköpfigen Balkanbrassband.

4.

Jadranka Stojaković beherrschte die Mundharmonika, die akustische, elektrische und traditionelle bosnische Gitarre Saz. Sie komponierte von jugoslawischen Kulthits, Lieder für Kinder-TV-Sendungen bis hin zum Olympiasong für die Winterspiele in Sarajevo 1984. Lange Jahre lebte Jadranka Stojaković in Japan, wo sie berühmt war für das Singen von Haikus, kurzen japanischen Gedichten. Sang sie japanische Lieder über das Meer, spürte sie sogleich die Wogen der Adria um sich. Geteilte Emotionen waren ihre universelle Sprache. Die von ihr komponierten Lieder «Što te nema» (Wieso bist du nicht hier?) oder «Sve smo mogli mi» (Wir hätten alles tun können) sind bis heute sehr beliebt. Jadranka Stojaković starb 2016 in Bosnien.