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Exklusiv: Interview mit Tennis-King Roger Federer

Leben

Exklusiv: Interview mit Tennis-King Roger Federer

  • Interview: Frank Heer Gemälde: Pascal Möhlmann

Er kommt ohne Hofstaat, hat keine Allüren, macht mit einem Selfie einen Fan glücklich – und uns mit einem langen Gespräch über Tattoos, Träume und Tennis.

Prolog
Warten auf den König. An einem Februarmorgen in Valbella. Leichter Schneefall, kurz nach 9.30 Uhr. Wir vermuten einen dunklen SUV, eine mittlere Staatskarosse, mindestens aber einen schneidigen Flitzer, gelb oder rot, dem er entsteigt, Bodyguard im Schlepptau. Fehlalarm. RF kommt zu Fuss zum Hotel Valbella Inn. Man erkennt ihn schon von weitem. An diesem Gang ohne Eile, den Blick gesenkt, die Arme locker baumelnd. Ein Mann in Gedanken und ohne Begleitung. In Winterstiefeln, dunkler Trainingshose, dunkelblauem Pullover. Keine Mütze, keine Sonnenbrille. Ein ungeschütztes Gesicht mit dem Wiedererkennungswert eines Brad Pitt. Ein Mann mit staatsmännischem Händedruck. «Hallo, ich bin Roger.» Der König lächelt.

ANNABELLE: Männer schaffen es selten auf das Cover von annabelle. In unserer 76-jährigen Geschichte ist das nur ganz wenigen gelungen, etwa 1980 dem grossen italienischen Regisseur Federico Fellini. Und jetzt Ihnen. Nicht schlecht, oder?
ROGER FEDERER: Ich fühle mich geehrt.

Wir uns auch, schliesslich geben Sie nur noch selten längere Interviews.
Früher habe ich das öfter gemacht, heute bin ich zurückhaltender, vor allem aus Zeitgründen. Ich bin ja schon präsent genug. Aber ich freue mich auf dieses Gespräch, auch weil es für einmal nicht nur um Tennis gehen soll.

Sie sind nicht nur ein sehr erfolgreicher Athlet, sondern auch ein sehr berühmter Mensch. Man kennt Ihr Gesicht auf der ganzen Welt.
Das überrascht mich selbst immer wieder, gerade an Orten, wo Tennis nicht den gleichen Stellenwert hat wie etwa in Europa oder den USA. Kürzlich war ich in Äthiopien, wo ich für meine Foundation ein Hilfsprojekt betreue. Ich wurde im Bus und auf der Strasse angesprochen. Auf meiner Südamerika-Tour warteten vor einem Hotel 150 Fans. Das ist schon verrückt.

Wann wurde Ihnen klar, mehr als ein Spitzensportler zu sein, nämlich eine Celebrity?
Ich wurde ja nicht von heute auf morgen berühmt, wie zum Beispiel Boris Becker, der mit 17 plötzlich ein Star war. Ich fühle mich auch nicht als Celebrity. Das sind Leute, die berühmt dafür sind, sich überall ins Rampenlicht zu stellen. Ich sehe mich zuallererst als Tennisspieler. Mein Image sollte nicht grösser sein als mein Erfolg. Aber wenn ich einen Moment nennen müsste, an dem sich das Blatt für mich wendete, dann war das wohl 2003, als ich Wimbledon gewonnen hatte. Danach begannen die Leute, sich nach mir umzudrehen.

Fühlt man sich geschmeichelt? Oder ist es auch irritierend?
Beides. Manchmal trifft man Leute, die total nervös und aus dem Häuschen sind, wenn sie mich sehen. Dann versuche ich, gelassen zu sein, Ruhe auszustrahlen. Bis zu einem gewissen Grad habe ich mich an die verschiedenen Aspekte des Berühmtseins gewöhnt, doch es gibt Momente, wo das auch zu viel wird. Da versuche ich, die Öffentlichkeit zu meiden.

Wie?
Manchmal nimmt man den Hinterausgang oder verlässt das Hotel gar nicht erst. Oder ich erkläre den Fans, dass es für mich gerade kein guter Moment sei, Autogramme zu geben oder für Fotos zu posieren. Das verstehen die meisten. Die wissen, dass sie mich auf dem Tennisplatz finden. Dort kann man mit mir reden, gebe ich gern Autogramme, lasse mich fotografieren. Dafür respektieren die Fans meine Privatsphäre. Wenn ich die Möglichkeit habe, mich zurückzuziehen, kann ich es auch geniessen, zwischendurch wieder im Mittelpunkt zu stehen.

Die Fans mit dem Roger-Federer-Tattoo am Oberarm, die gibt es auch, oder?
Ja klar, nicht nur am Oberarm. Grad kürzlich, am Davis Cup in Serbien, hat mir jemand stolz sein RF-Tattoo auf der Wade gezeigt. In Buenos Aires hatte mal ein Typ sein Leibchen hinaufgezogen, wo mein Gesicht riesig auf die Brust tätowiert war. Das ist dann schon sehr, ähm – speziell.

Der Schriftsteller David Foster Wallace nannte Ihren Stil «eine religiöse Erfahrung». Kann es auch ein Stressfaktor sein, diese ständige Überhöhung Ihrer Person?
Natürlich. Vor allem weiss ich, dass das nur anhält, solange ich auf den Platz komme und gewinne. Auch mein Glanz wird eines Tages verblassen.

Beunruhigt Sie der Gedanke?
Nein. Seit Januar arbeite ich mit Stefan Edberg zusammen. Der sechsfache Grand-Slam-Sieger und frühere Weltranglisten-Erste war mein Jugendidol, heute ist er mein Coach. Er gibt kaum Interviews, macht keine Werbung mehr, sein Leben hat sich massiv beruhigt. Für mich ist das ein angenehmer Gedanke. Das könnte ich mir auch so vorstellen.

Sie sind vorhin zu Fuss zum Interview gekommen, leger ohne Sonnenbrille, man erkannte Sie schon auf hundert Meter Distanz.
Das kann ich nur in der Schweiz. Hier sind die Leute diskret und höflich. Ich kann mich frei bewegen und ignoriere einfach den Umstand, dass mich 99 Prozent aller Schweizer kennen.

Das geht?
Ich versuche zumindest, mir meines Bekanntheitsgrads nicht ständig bewusst zu sein. Es gab mal eine Phase, in der es mir Mühe machte, dauernd beobachtet zu werden. Da ging ich dann mit Sonnenbrille und Schal und tief sitzendem Käppi in den Supermarkt. Fast wie im Film! Das war mir dann schnell zu blöd. Das Ausweichen in die Defensive liegt mir nicht.

Von wem war der junge Roger Federer Fan?
Stefan Edberg, Boris Becker, Pete Sampras, Michael Jordan. Von Shaquille O’Neal hatte ich ein lebensgrosses Poster im Zimmer.

Kennen Sie Sophie Hunger? Die Schweizer Musikerin und Sängerin?
Nein.

Der «Zeit» gestand sie: «Ich bin ein grosser Fan von Roger Federer … zeitweise sehr intensiv. Ich fühle mich emotional wahnsinnig verbunden mit ihm. Gedanken an seine Siege, seine Niederlagen, seinen Trainingszustand begleiten und belasten mich das ganze Jahr über.»
Ui (lacht).

Können Sie nachvollziehen, dass es gewisse Menschen zutiefst aufwühlt, wenn Sie Ihnen beim Tennisspielen zusehen? Das wird schon fast existenziell!
Ja, das kann ich gut, mir geht es ähnlich, wenn ich einen Match des FC Basel sehe oder das Spiel Wawrinka gegen Djokovic in Melbourne mitverfolge. Da fall ich auf die Knie, renn im Zimmer herum, springe auf und ab, setz mich wieder hin … Ich halte das kaum aus! Das Zusehen ist für mich die grössere Tortur, als auf dem Platz zu stehen, wo ich den Schläger selbst in der Hand halte. Da fühle ich mich weniger ausgeliefert. Deshalb haben ja auch viele Leute Flugangst: weil sie keinen Einfluss nehmen können. Aber es gibt auch nervenaufreibende Momente, bei denen ich heilfroh bin, vor dem Fernseher sitzen zu dürfen und nicht spielen zu müssen.

Am 2. Juli 2001 sassen Sie nicht vor dem Fernseher, sondern standen auf dem Centre Court in Wimbledon. Nach drei Stunden und 41 Minuten hatten Sie Pete Sampras, eines Ihrer grössten Idole, geschlagen. Da müssen zwiespältige Gefühle aufgekommen sein. Sie hatten einen persönlichen Gott entthront, Ihr Über-Ich!
Stimmt. Lustig war das nicht, trotz des Glücks, das ich natürlich auch empfand. Ich stand zum ersten Mal auf dem Centre Court von Wimbledon und besiegte den Mann, der über Jahre meine grösste Inspiration war! Ich war so verwirrt, dass ich nicht einmal wusste, wie ich Pete die Hand schütteln sollte. Das war schon ein merkwürdiger Moment.

Haben Sie mit ihm später jemals drüber gesprochen?
Nein, obwohl wir heute gut befreundet sind. Bei ihm ging es damals ja um den fünften Wimbledon-Titel in Folge, was zuvor nur Björn Borg geschafft hatte. Der bedankte sich später bei mir, halb im Scherz, weil er durch meinen Sieg seinen Rekord etwas länger halten konnte (lacht).

Sie haben die Karten neu gemischt.
Wobei es für mich dann ja nicht gleich Schlag auf Schlag so weiter ging. Ich musste nochmals eineinhalb Jahre untendurch. Aber es war ein emotionaler Tag, auf jeden Fall, auch weil ich realisierte, dass ich jetzt in der Lage war, die Besten zu schlagen – sogar meine Idole.

Sie wurden als jugendlicher Tennisspieler einmal gefragt, was Sie sich mit Ihrem ersten grossen Preisgeld kaufen würden. In der Zeitung stand: einen Mercedes. Das war ein grosses Missverständnis, richtig?
Ich erinnere mich noch genau an dieses Interview. Meine Mutter war ganz ausser sich, nachdem sie es gelesen hatte. Ich fragte sie, was los sei, und sie meinte: «Wie kommst du darauf, dir mit deinem ersten Geld gleich ein Auto zu kaufen?» Ich sagte ihr, das hätte ich dem Journalisten hundertpro nicht gesagt, worauf sie die Redaktion anrief und darum bat, das Band mit dem Interview noch einmal abzuhören. Tatsächlich sagte ich nicht Mercedes, sondern mehrere CDs. Der Reporter hatte mich falsch verstanden.

Was für Musik hören Sie?
Heute mag ich alles, von Musicals bis Jazz und was so im Radio läuft. Damals kam ich eher aus der Dance-Ecke und war auch ein paar Mal an der Street-Parade. Aber ich hörte auch AC/DC oder Metallica. Mein damaliger Coach, Peter Lundgren, hatte mich auf den Geschmack gebracht. Er hatte lange Haare und stand auf Hardrock.

Spielten Sie dazu Luftgitarre auf dem Racket?
Gut möglich. Das mach ich heute noch. Beim Training wartet man dauernd auf irgendwas. Dein Partner muss noch Stretchen oder den Griff einwickeln … da kann es gut sein, dass ich zum Zeitvertreib ein wenig Racketgitarre spiele. Für eine richtige Gitarre hat es nie gereicht.

Hatten Sie in Ihrer Teenagerzeit Gründe oder ein Bedürfnis, sich gegen etwas aufzulehnen?
Meine rebellische Phase hatte sich eher aufs Tennis bezogen, zum Beispiel in Form eines starken Charakters. Ich wusste immer, was ich wollte, manchmal war ich besserwisserisch und stur. Ich suchte die Perfektion, und wenn mir etwas nicht sofort gelang, reagierte ich impulsiv und gereizt. Natürlich gab es Zeiten, in denen ich blonde und rote und lange Haare hatte, mal mit oder ohne Bart, aber ich hatte Disziplin. Wenn meine Eltern sagten, «um Mitternacht bist du zuhause», war ich um Mitternacht zuhause. Wenn es zehn Minuten später wurde, rief ich an. Wenn man so will, war ich schon damals ein Profi.

Hatten Sie einen Plan B, falls es mit dem Tennis schief gehen sollte?
Nein. Doch da ich ein offener Mensch bin, wäre mir bestimmt eine Alternative eingefallen.

Was hätte Sie interessiert? Etwas Handwerkliches? Eine Karriere im Finanzwesen?
Ich weiss es nicht.

Nicht den Hauch einer Idee?
Nein. Die Amerikaner sagen: Chase your Dream! Das ist es, was ich getan hatte. Man muss auch träumen dürfen, um einem Ziel näherzukommen. Mein Traum war immer eine Tenniskarriere.

Was für ein Schüler waren Sie?
Kein Spitzenschüler, wohl aber durchschnittlich, die Noten haben immer irgendwie gereicht. Meine Schwäche war die Konzentration, da ich in Gedanken die ganze Zeit auf dem Tennisplatz war. Logisches Denken war auch nicht meine Stärke. Aber letztlich war bei mir immer alles eine Motivationsfrage. Wenn mich etwas packte, konnte ich darin aufgehen.

Sie haben vor zehn Jahren die Roger Federer Foundation gegründet. Bis 2018 wollen Sie einer Million Kinder in Afrika eine Schulbildung ermöglichen. 
Ich würde Ihnen jetzt gern sagen, ich sei eines Morgens aufgewacht und hatte diese Idee … aber natürlich hat sich das Projekt allmählich entwickelt, nach vielen Gesprächen mit Kollegen, die ähnliche humanitäre Hilfsprojekte aufgebaut hatten. Man könnte jetzt sagen: So eine Foundation gehört halt zum guten Ton eines Stars. Für mich ist das eine sehr erfüllende Arbeit, die mich extrem motiviert, weil ich merke, dass wir in der Lage sind, etwas zu bewirken und nachhaltig zu verändern. Deshalb ist mir dieses Projekt enorm wichtig. Und das Schöne ist, dass ich mich damit auch noch nach meinem Rücktritt als Tennisprofi beschäftigen kann. Ich werde dann sogar noch mehr Zeit dafür aufbringen können. Darauf freue ich mich.

Sie leben kaum länger als ein paar Wochen am selben Ort. Wo fühlen Sie sich zuhause?
Bei meiner Familie. Das kann irgendwo sein, aber die Schweiz ist meine Heimat. Wir verbringen viel Zeit in unserem Haus in Valbella. Eine schöne Abwechslung zur Hektik des Unterwegsseins. Aber natürlich fühle ich mich auch als Basler. Von dort komme ich, da kenne ich meine alten Wege, wenn ich mit dem Velo unterwegs bin oder mit dem Tram, dort sind meine alten Kumpels, meine Familie.

Irgendwann werden Ihre Kinder merken, dass ihr Vater kein gewöhnlicher Papa ist. Oder ahnen sie das schon jetzt?
Zumindest wissen sie, dass Tennisspieler ein Beruf ist. Für sie ist es normal, dass ich täglich zum Training gehe und Turniere spiele, sie waren auch schon im Stadion dabei. Warum wir so oft fotografiert werden, verstehen sie noch nicht – da verstecken sie sich dann hinter mir oder ihrer Mutter. Natürlich versuchen wir, unsere Kinder in einem möglichst normalen Umfeld zu erziehen. Ich hatte einmal die erwachsene Tochter des holländischen Stürmers Marco van Basten gefragt, wie es war, einen so berühmten Fussballer zum Vater zu haben. Sie sagte: «Ich dachte, alle Väter wären berühmt.» Das hat mir gefallen. Vermutlich denken meine Töchter im Moment noch das Gleiche.

Epilog
An der Réception des Hotel Valbella Inn. Eine Frau stupft ihren Mann und flüstert: «Schau mal da, der Federer.» Sie zückt ihr Smartphone und rennt dem Star nach, der gerade das Hotel verlässt. Nach einer Minute kehrt die Frau zurück,triumphierend das Handy schwenkend, «ich hab ihn, ich hab ihn». Der Gatte wirft einen Bick auf das Selfie mit strahlender Gattin und lächelndem Federer, schüttelt den Kopf und murmelt: «Armer Kerl, dieser Federer, immer diese Fans.»

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1.

Als es darum ging, Roger Federer für ein Interview zu gewinnen, hatten wir eine einflussreiche Fürsprecherin: seine Mutter. Danke, Frau Federer, sagt unser Reporter Frank Heer an dieser Stelle, der den Champion in Valbella getroffen hat. Und dabei einem Star begegnete, der so war, wie Stars nicht allzu häufig sind: entspannt, freundlich und vollkommen allürenfrei.

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