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Was Sie über die neue Saison wissen müssen

Stil

Was Sie über die neue Saison wissen müssen

  • Text: Daniella Gurtner & Jacqueline Krause-Blouin

Technologie? Ja – aber bitte mit Inhalt. Die neue Saison vereint Fortschritt und Nostalgie: Eine Einschätzung von unserer Moderedaktion.

«What are we going to do with all this future» – was sollen wir bloss tun mit all der Zukunft? Diese Frage, gestellt von der spanischen Künstlerin Coco Capitán, wohlgemerkt 23 Jahre alt, verzierte die Einladungskarte zur Gucci-Show. Und diese Frage steht symbolisch für die Ratlosigkeit einer gesamten Branche, aber auch für den Hunger und die Lust auf das Unbekannte.

Interessant, dass diese Frage ausgerechnet Guccis Creative Director Alessandro Michele beschäftigt, den Mann, der sich wie kein Zweiter von der Vergangenheit angezogen fühlt. Manche kritisieren seine Arbeit als Mottenkisten-Mottoparty, andere singen Lobeshymnen auf die geniale Verbindung zwischen Brockenhaus-Charme und Avantgarde. Das Neue an Michele ist das Styling-Element. Anders als gern betont wird, geht hier keinesfalls «alles mit allem». Im Gegenteil – Zufälle sucht man vergebens, alles ist virtuos zusammengestellt.

Schon jetzt, nach gerade mal fünf Saisons, wird gelästert, dass er sich wiederhole. Doch ist die Gier nach dem immer Neuen wirklich noch zeitgemäss? Warum sollte ein Designer, gleich einer Madonna bei jedem neuen Album, jede Saison seine künstlerische Identität wechseln? Ist nicht das Modernste überhaupt, seinen Stil gefunden zu haben? Fest steht jedenfalls: Der Designer der Stunde fühlt sich der Vergangenheit verbunden, fragt offen nach der Zukunft und ist deswegen: genau jetzt.

Ja, die Zeiten sind nicht nur in der Weltpolitik unsicher. Auch die Modeindustrie hinterfragt sich derzeit selbst, nutzt die Modeschau sogar, politisch wie lang nicht mehr, für Protestaktionen. Gendergrenzen werden gesprengt, der traditionelle Modeschaukalender infrage gestellt, das Verlangen nach immer mehr, immer schneller kritisiert (und oft trotzdem beibehalten). Mode, was tun mit all der Zukunft?

In Zeiten von Aufräum-Autorin Marie Kondo («Magic Cleaning»), in der Reduktion der einzig wahre Luxus ist, lautet der Tenor der Gegenwart: Wenn man als Designer nichts Neues bieten kann, sollte man es lieber ganz lassen, weil es schon alles gibt, weil nun mal alle satt sind. Jonathan Anderson, der unter anderem das Traditionshaus Loewe wieder relevant gemacht hat, gelingt indes Innovation. Was seine Arbeit ausmacht, ist die Verbindung von Handwerk und Technologie, deswegen wird er als Posterboy der Gegenwart angesehen. Als weitere Stars des Jetzt werden Labels wie Off-white, Simone Rocha, Y/Project und immer noch Vetements gefeiert. Ja, man kann ihnen vorwerfen, dass sie Ideen des Designers Martin Margiela recyceln. Aber Margiela war seiner Zeit eben weit voraus. Auch hier zeigt sich: Der Weg ins Jetzt führt immer über die Vergangenheit. Wir können heute nostalgisches Gucci, morgen gegenwärtiges Vetements sein. Die Kombination aus beidem spiegelt den Zeitgeist, wir leben heute bipolar. Stricken einen Schal und posten dann ein Foto davon auf Instagram.

Zukunft, ein grosses Wort, das auch Karl «den Grossen» Lagerfeld (83) beschäftigt. Bei ihm kam die Zukunftsthematik, nicht sehr subtil, in Form einer riesigen Rakete an der Showlocation zur Geltung. Models wurden in Weltraumdecken gehüllt, als Soundtrack lief «Rocket Man», bezeichnenderweise ein Song aus dem Jahr 1972. Mehr Retro als diese Art von Blockbuster-Futurismus à la «Blade Runner» geht kaum. Auch Labels wie Dolce & Gabbana oder Christopher Kane zeigten Weltraumprints, Maria Grazia Chiuri bei Dior Kleider mit Mondphasendrucken in melancholischem Nachtblau. Gleich vor lauter Ratlosigkeit den Planeten verlassen? Diese Art von Eskapismus interessiert die jüngeren Designer wenig. Sie nennen sich lieber Wissenschafter, tüfteln mit neuen Materialien und Silhouetten oder verschreiben sich der Nachhaltigkeit. Viele von ihnen haben kein Interesse daran, unzählige Kollektionen im Jahr zu designen, und stellen Kreativität und Handwerk wieder in den Vordergrund. «Es ist der Job der Kreativen, das System zu hinterfragen. Und zwar ständig», sagt etwa Vanessa Schindler, 29-jährige Schweizer Modehoffnung, die auch mit neuen Materialien experimentiert.

Wenn wir uns die Frage nach der Zukunft stellen, sagt das sehr viel über unsere Gegenwart aus. Mittlerweile wissen wir, dass Prognosen über die Zukunft oft falsch liegen, wir haben verstanden, dass der ultimative Luxus ist, im Jetzt zu sein. Wege, sich zu erden, gibt es viele: töpfern, regional essen, stricken, meditieren. Selbst vermeintlich veraltete Konzepte wie Steiner-Schulen erleben ein Comeback. Das Label Céline hat mit Starfotograf Juergen Teller eine Kampagne im Goetheanum in Dornach SO geshootet.

Was technisch möglich ist, ist für viele gar nicht mehr so spannend. Muss man denn auf den Mars fliegen, selbst wenn man es könnte? Utopia, diese ideale (Mode-)Welt, liegt nicht auf einem anderen Planeten, ist vielleicht nicht eine Milliarde Jahre entfernt – Utopia ist gleich um die Ecke. Die Technologie, in ihrem Weiterentwicklungswahn, hat nicht mit dem Menschen und seinem Bedürfnis nach Echtheit gerechnet. So suchen wir heute, in unserer digitalisierten Welt, in der scheinbar alles möglich ist, mehr denn je nach Inhalt. Und vielleicht sind die Inhalte eher in der vertrauten Vergangenheit, in der Nostalgie zu finden.

Utopia könnte genau da sein, wo wir unsere technologischen Möglichkeiten mit Inhalt füllen. Und ob ein Kleid nur eine Hülle ist, entscheidet schliesslich immer noch der Mensch darin.

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1.

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