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Oh Mann, Oman: Eine eindrückliche Reise in die arabische Welt

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Oh Mann, Oman: Eine eindrückliche Reise in die arabische Welt

  • Text: Helene Aecherli; Fotos: Flurina Rothenberger

Oman macht vor allem Schlagzeilen als eine der prachtvollsten und sichersten Reisedestinationen der arabischen Welt. Dabei verbirgt sich hinter dem Schleier des Landes viel mehr – zum Beispiel ein frauenfreundlicher Sultan.

Wärend der ersten Stunden in Oman ist es, als starre man durch eine Glasscheibe auf eine Welt, die so betörend, ja beinahe surreal erscheint, dass sie einen mit Unruhe erfüllt. Offenbart sich einem hier eine Collage aus Film-, Theater- und Märchenbildern oder die Realität? Fischerboote liegen wie ein Fächer nebeneinander im Meer vertäut. Kreuzungen sind mit gigantischen Teetassen oder Wasserkrügen verziert. Toyota-Leuchtreklamen konkurrieren mit Moscheen. Städte, Dörfer und Buchten werden von schroff gezackten Hügeln umringt, um sich in der Dämmerung gegen den Himmel abzuheben wie Drachenrücken.

Das Gefühl, durch eine Glasscheibe zu blicken, ist ein gutes Gefühl, so irritierend es erst auch sein mag. Denn es formuliert jene Fragen, die einen durch die Reise lotsen werden: Wo bin ich hier? Wie funktioniert die Gesellschaft unter der Oberfläche, die sich mir präsentiert? Gerade das Sultanat mit seinen gut drei Millionen Einwohnern, das eingebettet liegt zwischen den Emiraten, Saudiarabien und dem Jemen, ist so still, so unbekannt, dass man fast vergisst, dass es existiert.

Der arabische Frühling

Wohl hatte es im Zug des arabischen Frühlings auch hier Demonstrationen gegeben; waren einige Tausend Jugendliche gegen Arbeitslosigkeit, mangelnde Aufstiegschancen und Korruption auf die Strasse gegangen, die Proteste hatten ein Todesopfer gefordert. Dem Aufruhr wurde jedoch innert kürzester Zeit ein Ende gesetzt. Zwölf Minister mussten zurücktreten, die Regierung erhöhte die Pensionsgelder für Staatsangestellte, lancierte ein Investitionsprogramm für eine Milliarde Rial, gut 2.3 Milliarden Franken. Es war nicht mehr als eine Randnotiz.

Erster Stop: Die Corniche in Muttrah

Um dem Land und seinen Menschen auf die Spur zu kommen, begeben wir uns als Erstes an die Corniche in Muttrah, einem der ältesten Quartiere in Muscat, der Hauptstadt des Sultanats. Hier befindet sich auch der Suk, der von den Omanern stolz als der schönste des Orients bezeichnet wird. Hunderte von Läden reihen sich unter antiken Dachbalken im Labyrinth der Gassen aneinander, die immer enger werden, je weiter man ihnen zu folgen wagt.

Abends, wenn die Lichter eine heitere Stimmung verbreiten, kommen Scharen von Familien zum Flanieren und Einkaufen hierher. Die Männer nippen an ihrem Masala-Tee, Babys auf dem Arm, die Frauen schwatzen, es riecht nach Weihrauch und Parfum. Am Strassenrand parkieren unzählige Autos, jedes parallel zum anderen und blitzsauber. Später erfahren wir, dass das Fahren eines schmutzigen Wagens mit einer Busse von zehn Rial geahndet werden kann.

Hier, an der Corniche, mit einem Hauch von Salz auf der Haut, kann man nicht anders als sich vorzustellen, wie die Omaner einst aufgebrochen waren, um die Küsten des Iran und Pakistans zu erobern, Sansibar zu ihrer Kolonie zu machen und mit Indien Handel zu treiben. Ein grosser Teil der gut zwanzig Prozent Ausländer stammt denn auch aus den ehemaligen Untertanengebieten.

Omanization — Jobquoten für Omaner

Im Gegenzug sprechen nicht wenige Omaner nebst Arabisch und Englisch auch Urdu, Farsi oder Hindi. Die meisten Schneider, Kindermädchen oder Bauarbeiter sind Expats, ebenso Ärzte, Ingenieure oder IT-Spezialisten. Das Land öffnete sich erst vor gut vierzig Jahren mit der Machtübernahme von Sultan Qabus der Moderne und ist zur Ankurbelung der Wirtschaft auf fremde Arbeitskräfte angewiesen.

Um diese aber schrittweise ersetzen zu können, existieren seit 1988 Jobquoten für Omaner, zusammengefasst unter dem Begriff Omanization. Nicht ganz zufällig ist gerade die Verwaltung längst fast vollständig von Omanern besetzt. Sie bietet Arbeitszeiten von 9 bis 13 Uhr, die Ferienregelung ist grosszügig – was in- wie ausländischen Unternehmern zunehmend ein Dorn im Auge ist. Sie kritisieren, dass die angenehmen Bedingungen einer nationalen Lethargie Vorschub leisteten.

Projekte würden verzögert oder versandeten, Bauvorhaben kämen oft nicht über das Betonfundament hinaus. Wenn man Omaner darauf anspricht, antworten sie gelassen: «Wir lassen uns Zeit. Wir rennen nicht, schreien nicht und machen auch keine grossen Sprünge. Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, dass sie sich langsam entwickelt.»

Keine öffentlichen Verkehrsmittel

Wer in Oman herumreist, nimmt das Flugzeug oder fährt Auto. Ausser einigen Bussen gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Zwar ist ein nationales Eisenbahnprojekt in Planung für die Zeit, wenn das Erdöl zur Neige geht, doch noch werden pro Tag über 900 000 Barrel Öl gefördert, kostet der Liter Benzin rund 30 Rappen; noch sind es zwei grosse Strassen, die das Sultanat beherrschen: der Old Highway nach Dubai und der Muscat Express Highway nach Salalah, an der Grenze zum Jemen.

Wir aber bitten den Fahrer, für unsere Reise ins Landesinnere Nebenstrassen zu wählen, um immer wieder innehalten zu können. Um während der Wanderung durch einen Canyon das Gestein anzufassen, das so fein geschichtet ist, dass es aussieht wie Baklavateig. Um in langärmligen T-Shirts und Hosen neben übermütigen Buben ins smaragdgrüne Wasser eines Wadis zu gleiten. Um während eines Picknicks mit einer pakistanischen Familie über Fleischmarinaden aus Peschawar zu diskutieren.

Oder um omanische Dorfbewohner an einem Feiertag frühmorgens zu ihrer Gebetsstätte zu begleiten, die hoch oben auf einem Hügel unter freiem Himmel liegt. Wir platzieren uns in höflcher Distanz hinter den abgestreiften Schuhen, die eine Grenze zwischen uns und die Betetenden ziehen, mischen uns dann aber nur wenige Minuten später schüchtern unter die Frauen und Mädchen des Dorfes. Sie haben sich auf der anderen Seite des Hangs versammelt und hören den Imam über Lautsprecher.

Zur Feier des Tages haben viele ihre schwarze Abaya abgelegt und tragen stattdessen rote, gelbe oder türkisfarbene Mäntel, manche mit Pailletten bestickt, die in der Sonne glitzern. Neben uns kauert eine junge Frau auf einem Felsen und blickt uns an. «Oh, endlich mal zwei fremde Gesichter», sagt sie lächelnd. Nach der Zeremonie bittet sie uns zu sich nachhause ins Rund ihrer Cousinen, Tanten, Nichten, Schwestern. Auf dem Sofa thront ihre Mutter, schenkt Wasser aus, drückt uns Datteln und Trauben in die Hand und einen gnadenlos gefüllten Teller mit Harish, einem traditionellen Weizengericht mit Milch und Zimt.

Omaner sind ein friedliebendes Volk

Fragen wir danach, warum Oman so ruhig ist, dass man ausserhalb seiner Grenzen kaum je etwas von ihm vernimmt, und vor allem, warum sich hier die Fratze des religiösen Extremismus nie gezeigt hat, hören wir immer wieder: Omaner leben gern in Frieden und wollen auch im Frieden sein mit der Scholle, die sie trägt.

In erster Linie aber sind die Stabilität und die Offenheit, die das Land heute auszeichnen, dem Geschick – und der eisernen Regentschaft – von Sultan Qabus zu verdanken, darüber ist man sich einig. Er hat die rivalisierenden Stämme befriedet, die das Land einst beherrschten, hat Spitäler gebaut, die Schulpflicht eingeführt. Die medizinische Versorgung und die öffentlichen Schulen sind gratis, Einheimische brauchen keine Steuern zu zahlen. Die Kombination aus Bildung und individueller Sicherheit hat dem Aufkommen von Extremismus den Boden entzogen.

Allerdings verursachte die staatliche Fürsorge zusehends auch Unbehagen. So wird bemängelt, dass sich aufgrund der «Alles-umsonst»-Mentalität gerade etwa die Qualität des Unterrichts verschlechtert hat, weil sich Lehrer und Schüler weniger bemühen. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder deshalb auf Privatschulen.

Das verlassene Dorf

Irgendwann halten wir vor dem Tor zu Misfat al-Abriyeen, einem Dorf in der Nähe der Stadt Nizwa. Es liegt wie ein Vogelnest an einem Berghang, tiefgrüne Terrassen breiten sich unter ihm aus, ab und zu hört man Kinder- und Eselsgeschrei. Misfat al-Abriyeen gehört zu jenen Dörfern Omans, die von ihren Bewohnern verlassen wurden, weil das Leben ohne Strom und Wasser zu beschwerlich geworden war. Eine Familie hat die Initiative ergriffen und ihr einstiges Haus in ein Bed & Breakfast umgebaut. Ein Kleinod zwischen den Ruinen.

In den steilen Gassen Misfat al-Abriyeens stossen wir auf Yacoob, den Mitbesitzer des Bed & Breakfast. Um uns eine Ahnung zu geben, wie das Leben im Dorf einst gewesen war, führt er uns auf das Dach eines Hauses, dessen Räume noch so intakt sind, dass sie pakistanischen Feldarbeitern als Zuhause dienen. Bis Mitte der Neunzigerjahre, erzählt Yacoob, hätten die Menschen hier während der heissesten Monate des Jahres auf den Dächern geschlafen. Alles habe sich auf den Dächern abgespielt, alles. Auf die Frage, wie er sich nun die Zukunft des Landes vorstelle, zuckt er mit den Schultern. Der Sultan habe sein Volk dazu aufgerufen, sich auf die Ressourcen des Landes zu besinnen. Und die wichtigste seien die Omaner selber – allen voran die Frauen.

Zurück in Muscat, machen wir uns auf den Weg zu Sharifa Alyahyai, der ehemaligen Familienministerin und einer der prominentesten Frauenrechtlerinnen des Landes. Sie wohnt am anderen Ende der Stadt, was uns die Gelegenheit gibt, an Shoppingmalls vorbeizuruckeln, die Lulu oder Sultan Center heissen, an Brücken, deren Pfeiler aussehen wie römische Säulen, irgendwann auch am Opernhaus, einem Prestigeobjekt aus Marmor, das vor einem Jahr eröffnet wurde, und wieder ist es da, dieses Gefühl, durch eine Glasscheibe zu blicken.

Omani Women’s Day

Sharifa Alyahyai bittet uns in den Maglis, das Empfangszimmer eines jeden arabischen Hauses. Sie ist eine imposante Frau, trägt einen königsblauen Schleier und Jeans. An den Wänden hängen Dutzende von Bildern, auf einigen ist sie mit dem Sultan persönlich zu sehen. «Das war 2009, am Frauensymposium», sagt sie. «Es war das erste Mal, dass der Sultan mit omanischen Frauen zusammengesessen ist und sich ihre Anliegen angehört hat.» An diesem Symposium sei auch der Omani Women’s Day ins Leben gerufen worden, der seither am 17. Oktober begangen wird und daran erinnern soll, dass Frauen wie Männer gleichermassen am Aufbau des Landes beteiligt sind.

Seit der Machtübernahme, erklärt Sharifa Alyahyai, habe Sultan Qabus die Frauen explizit gefördert. «Wer die Frauen bildet, bildet das Volk», hat er mal in einer Rede gesagt. Heute ist über die Hälfte der Studenten weiblich, nun soll von Frauen für die Zulassung an Universitäten sogar ein höherer Notendurchschnitt verlangt werden als von Männern, um zu verhindern, dass diese ins akademische Hintertreffen geraten.

In den vergangenen Jahren ist den omanischen Frauen fast schubartig eine ganze Reihe von Rechten erteilt worden. 2003: Stimm- und Wahlrecht. 2008: Recht auf Landbesitz. 2010: Königliches Dekret zur freien Partnerwahl. 2011: Recht auf einen eigenen Pass, ohne die Zustimmung des Ehemanns. «Dies sind wichtige Schritte», sagt Sharifa Alyahyai, «doch jetzt beginnt die eigentliche Arbeit: Die Frauen dazu zu bringen, die Gesetze auch zu nutzen. Trotz aller Fortschritte dominiert noch immer das Bild der sich selbst verleugnenden, dienenden Frau. Ich kenne Mädchen, die in der Öffentlichkeit nicht einmal zu essen oder laut zu lachen wagen. Das müssen wir ändern.» Ein solcher Wandel, betont sie, werde Zeit brauchen. Sie rechnet mit vierzig bis fünfzig Jahren.

Oder vielleicht doch weniger lang? Am Strand von Qurum begegnen wir einer 27-jährigen Pharmazeutin und reden ohne Umschweife über Männer. Ihre Ansprüche an den Ehemann? Er muss im Haushalt mithelfen, betont sie. Mit ihrem Gatten habe sie das grosse Los gezogen: «Er liebt es», sagt sie verschmitzt, «das Badezimmer zu putzen.»

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