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Reise-Tipp: Der Nordwesten Thailands

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Reise-Tipp: Der Nordwesten Thailands

  • Text: Astrid Joosten;  Fotos: Enver Hirsch

Im Nordwesten von Thailand gibt es keine Strände, dafür viel Ruhe, Wildnis und Menschen, die so nett sind, dass man gern das Badezimmer mit ihnen teilt. Und sie mit uns.

Wenn man auf einer Holzbank in der Sauna sitzt, von Dampf eingehüllt, sollte man eigentlich entspannen. Die Hitze spüren, den feuchten Film auf der Haut, während sämtliche Gedanken im Nichts verschwinden. Die Sauna, in der ich gerade hocke, ist aber eine «Hütte» aus rohem Beton. Die Bank ein schmales, gerade mal knöchelhohes Brett. Draussen kräht ein Hahn, keckert ein Vogel, zerkleinert der Saunameister mit einer Machete Holz, um auf dem Lagerfeuer noch mehr Dampf zu machen. Ich rutsche auf dem Brett hin und her, strecke die Beine auf dem Boden aus, ziehe sie wieder an. Knote meinen Sarong fester um die Brust, schaue auf Pa Leng, die still und stumm neben mir sitzt. Herb und süss riecht der Dampf, nach Kräutern. Ich atme langsam ein und aus, ein und aus, bis die Zeit im Dämmerlicht endlich zu zerfliessen beginnt.

«Good?», krächzt Lung An San fragend, als wir uns vor der Hütte wieder abkühlen. Ich nicke etwas benommen, während die Abendbrise in mein Gesicht fährt. Der alte Mann stochert im Feuer, das unter einem Fass brennt, über eine Rohrleitung verbunden mit der Sauna. Hinter seinem Rücken Palmen, deren Wedel sich wie Fächer über den Pfahlhäusern ausbreiten. Wäsche flattert an einer Bambusstange. Lung An San reicht uns einen Becher Tee. Ich trinke, sehe, wie der Staub in den Strahlen der Abendsonne flirrt, folge mit den Augen einem Gecko auf einem Avocadobaum. Trinke und fühle mich so weit weg wie lange nicht mehr.

Nicht viele Touristen verirren sich nach Mae Lana

Zweimal im Monat geht Pa Leng in die Dorfsauna, um, wie es ihrer Tradition entspricht, den Körper zu entgiften. Mae Lana heisst ihr Dorf, verschlafen liegt es in einem Tal in den Bergen. Am Ende einer Landstrasse im Nordwesten Thailands, zwanzig Kilometer von der burmesischen Grenze entfernt. Nicht sehr viele Touristen verirren sich in diese Gegend. Die, die es tun, übernachten gern bei Pa Leng. Sie führt zusammen mit ihrem Mann Pi Nan Run ein Homestay, eine private Unterkunft im eigenen Haus und mitten in der Familie. Eine Weile bin ich Teil ihres Alltags als Bauern und des Lebens im Dorf, dessen Rhythmus sich dem Licht von Sonne und Mond anpasst und mir vorkommt wie ein stetiger Strom. Ein Strom in Slow Motion, der die Last der europäischen Ruhelosigkeit wegschwemmt und Zeit dafür schafft, im Augenblick zu leben.

Am Dorfrand von Mae Lana steht das Haus meiner Familie. Aus Teakholz gebaut, lehnt es am Hang, gleich neben den Reisfeldern, die sich wie ein ockerfarbenes Oval durchs Tal ziehen. Hinter den Feldern die Berge, bedeckt von undurchdringlichem Dschungel. Als grüne Wand heben sie sich vom Himmel ab. Auf der Veranda des Hauses, im Wohnzimmer, in der Küche – überall blicken wir auf die Kulisse, wie gemacht für einen Breitwandfilm. Vorm Fernseher, mit einer Rüschendecke verhängt, rollen Pi Nan Run und ich eine Bastmatte aus, unseren Essplatz. Dreimal am Tag wird unsere kleine Gemeinschaft hier sitzen. Pi Nan Run (52), der mit seinem gutmütigen Gesicht und der breiten Brust wie ein Teddybär aussieht. Die schmale, ernste, vier Jahre jüngere Pa Leng. Und ich, die Besucherin aus Europa, die ihre Gastgeber wie ein Leuchtturm überragt. Wir werden essen und uns dabei betrachten, weil unser Gegenüber so anders ist als wir selbst. Wir werden lachen und erzählen, zum Glück gehört zum Reiseprogramm ein Dolmetscher, da ich kein Thai und meine Familie kaum Englisch spricht. Wir werden zusammen die Arbeit verrichten: den Reis mit einem Holzhammer dreschen, die Schweine füttern, auf dem Lagerfeuer Bambus rösten. Wir werden uns die Plastikschlappen fürs Badezimmer teilen und die Zahnbürsten nebeneinander in die Mauerspalten stecken. Und nachts, durch die dünnen Wände, das Geschnarche der anderen hören. Abenteuer Alltag in einem abgelegenen Winkel der Erde.

Das Abenteuer Alltag beginnt

«Joe», ruft mich Pa Leng am Morgen. Joe, weil kein Mensch in Thailand meinen Namen aussprechen kann. Wir sollen noch vor dem Frühstück mit Pa Leng aus dem Haus, weil ein Baby geboren wurde. Wir eilen den von Bambus gesäumten Weg entlang ins Dorf. Vor einem der Pfahlhäuser ein Haufen Schuhe. Pa Leng lotst mich die Aussentreppe hinauf und hinein. Ein Singsang aus Stimmen schlägt uns entgegen, als wir ins Haus tapsen. Überall hocken Menschen, in einer Ecke hebt Lung An San zur Begrüssung den Daumen. In der Mitte des grossen Raumes ein Bündel Stoff, das Baby. Vor den gekreuzten Beinen seiner Mutter liegt es auf dem Boden, mit merkwürdig verschnürten Handgelenken. Pa Leng bedeutet mir, wie alle Besucher einen Geldschein aufzurollen und der kleinen Fha um die Hand zu binden. Jahrhundertealt ist das Khwan-Ritual, mit dem Buddhisten die Seele der Kinder begrüssen und sie in die Gemeinschaft aufnehmen. Überrascht und berührt, dass ich Teil der Zeremonie sein darf, murmle ich ein paar Segenswünsche. Ein Priester fängt an, in Sanskrit zu beten. Alle senken das Gesicht. Die alten Männer mit Tattoos in Form von Kringeln auf Stirn und Armen, die sie vor dem Bösen schützen sollen. Die Frauen mit Turbanen gegen die Morgenkälte. Als der Priester verstummt, drängen immer mehr Leute ins Haus. Schüsseln mit Nudelsuppe werden von Hand zu Hand gereicht. Es ist eng, es ist fremd, es ist irreal schön.

Zurück im Teakholzhaus, schichtet Pi Nan Run einige Scheite Holz auf und zündet sie an. Pa Leng kocht auf dem Feuer vor der Küchentür Tee. Ruhig ist es, so ruhig, als wäre die Wirklichkeit eingewickelt in ein weiches Tuch, das sämtlichen Lärm erstickt. Ein stilles Glück liegt über meinem thailändischen Zuhause. Liegt es an der Geduld, mit der meine Familie ihr Leben angeht? Pa Leng zupft welke Blätter von den Blumen, zupft hier und zupft da und zupft dort, bis die Topfpflanzen auf der Veranda wieder wie gemalt aussehen. Pi Nan Run rührt mit langsamen Bewegungen Mörtel an, nur schwer bewegt sich der Stock durch die zähe Masse. Es ist Trockenzeit und auf den Reisfeldern nichts zu tun, deshalb will er im Haus ein paar Platten verlegen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, kommt er zu mir herüber, giesst sich einen Tee ein und schlägt die Beine in der weiten Hose wie ein Yogi übereinander. «Weisst du», sagt er schlürfend, «ich bin sehr zufrieden mit unserem Leben in Mae Lana. Wir haben ein Haus, wir haben genug zu essen. Und wir haben unsere Kinder.» Die Tochter ist Lehrerin. Der jüngste Sohn studiert Medizin, der älteste arbeitet mit seiner Frau in einer Keramikfabrik nahe Bangkok. Ihre Tochter Kim, acht Jahre alt, wächst bei Pa Leng und Pi Nan Run auf – an einem überschaubaren Platz.

«Der Fluss, der durch die Reisfelder fliesst», heisst Mae Lana. Tatsächlich gibt es einen Fluss, der die Felder nährt und durch den Ort strömt. 165 Häuser zählt das Bauerndorf. Auf der Strasse steht eine ausgebüxte Kuh und frisst an einer Gartenhecke aus Tomatenranken. Im grössten Lebensmittelshop, zwischen Säcken mit Kartoffelchips und getrockneten Mangoscheiben, läuft der Fernseher und zeigt ein Fussballspiel aus England. Gegenüber der Dorftempel, ein Gewirr aus kunstvollen Dächern und Giebeln. Über 200 Jahre alt ist der Wat Mae Lana. Hinter dem Tempel, am Ende eines Sandwegs, grasen Wasserbüffel.

Kardamom, Koriander und Chillis

Leben in Mae Lana heisst auch essen, bis die Haut nach Kokos, nach Thaibasilikum, nach Kardamom riecht. In der Küche, wo sich die Reissäcke mit der letzten Ernte bis unter die Decke stapeln, steht Pa Leng stundenlang, um uns köstliche Speisen zu bereiten. Pflückt im grossen Garten Koriander und Lemongrass. Gräbt nach Süsskartoffeln. Wässert Passionsfruchtblätter, hackt Chilis und Auberginen. Und bringt mir bei, wie man eine Gewürzpaste für Fleischbällchen herstellt. Mit einem Stössel zerdrücke ich Knoblauch und Ingwer, Erdnüsse, getrocknete kleine Fische und Guetsli aus Sojabohnen, bis sich eine feine Paste über den Boden des Mörsers zieht.

Was bedeutet es, Shan zu sein?

Meine Familie gehört zum Bergvolk der Shan, so wie die Nachbarn, so wie alle im Dorf. Über die Jahrhunderte sind sie aus Tibet und China eingewandert. Viele Verwandte meiner Gastgeber leben auf der anderen Seite der Grenze, in Burma. «Am Wochenende gehen wir manchmal zu Fuss hinüber», erzählt Pi Nan Run, durch die Berge und ohne Kontrolle. Was bedeutet es, Shan zu sein? «Wir sprechen neben Thai unsere eigene Sprache. Und wir heiraten untereinander.» Pa Leng schaut mich an und lächelt: «Es ist üblich, dass der Mann nach der Hochzeit zur Frau zieht» – und manchmal auf ihr Land. Sie hat sämtliche Reisfelder mit in die Ehe gebracht, dafür hat Pi Nan Run sich ausführlich gebildet. Acht Jahre lang hat er als Mönch in einem Kloster Geschichte und Philosophie, Naturwissenschaften und Technik gebüffelt, in Sanskrit, der Sprache der religiösen Gelehrten.

Ein Knattern, ein Quietschen. Ein Moped hält vor unserem Haus. Jai, ein Freund der Familie, kommt zur Tür herein. Genauer in Pa Lengs kleinen Shop, den hat sie in einer Ecke des Wohnzimmers untergebracht, seit nur noch ein Enkelkind im Haus ist. Eine Dose Red Bull steckt Jai in die Tasche seiner Jacke und saust wieder los. Er arbeitet als Führer in den Höhlen oben in den Hügeln. An die 200 soll es davon geben. Wie kommt man dahin? Einfach der Strasse vor unserem Haus folgen. Steil geht es bergan, als ich wenig später den Weg hinauftrekke. Schon nach einer halben Stunde taucht ein Schild auf:

Caves Mae Lana

Zwei Männer liegen auf Bambusmatten und rauchen, Jai springt auf, als er mich erkennt, und wir gehen zusammen weiter.
Der Wald wird immer dichter. «Sei vorsichtig, fass die Blätter nicht an», rät mein Führer. Es gibt hier giftige Bäume, deren Saft die Haut verätzt. Gibbons und Bären, Hirsche und Wildschweine leben im Dschungel. Wir entdecken die abgelegte Haut einer Schlange, eine beinahe durchsichtige Hülle. Orchideen krallen sich an die Äste von Bäumen. Mahagoni-Riesen ragen in den Himmel. Und hinter einem Gebüsch ein Loch, der Einstieg zur Korallenhöhle. Jai gibt mir eine Taschenlampe, mit geducktem Kopf klettern wir in die Unterwelt. Auf einmal öffnet sich der Fels zu einer gigantischen Kathedrale, Stalaktiten und Stalagmiten bilden die Bögen und Säulen. Ich klopfe auf einen Stein, der sich in Falten gelegt hat, er gibt dunkle und helle Töne ab, als würde ich auf einem Xylofon spielen. Manche schimmern wie Edelsteine, von Mineralien überzogen. Und immer wieder Brocken, die so filigran zerfurcht sind, dass sie wie Korallen aussehen. Erst nach einer halben Stunde kommen wir ans Ende der Höhle. «Wahnsinn», sage ich. Gut 20 Minuten mit dem Motorrad entfernt gebe es eine der grössten Höhlen der Erde, erzählt Jai. «Fast 13 Kilometer lang. Willst du hin?» Nein, ich bleibe in meiner kleinen Welt im Dschungel.

Zurück in Mae Lana. Wie eine der Riesenspinnen, die im Bambus auf Beute warten, sitze ich auf meiner Veranda und tue nichts. Ich trachte nach stillen Momenten und nicht nach Action. Frauen balancieren Bündel von Salat auf ihren Köpfen. Zwei Männer, die antiquierten Knarren mit Holzschaft über die Schultern gehängt, gehen in Richtung Wald, um Wildhühner zu jagen. Eine Meute Hunde rast über die rissige rotbraune Erde, weil am Himmel ein Vogel kreist. Über allem das Licht der Tropen, morgens vom Nebel gedimmt, dann so stark und grell, dass die Stoppeln der Felder leuchten.

Einmal werde ich doch etwas kribbelig. «Brauchst du was vom Markt?», frage ich Pa Leng eines Morgens. «Etwas Hühnerfleisch vielleicht», meint sie. Ich leihe mir Pi Nan Runs kleine Honda und fahre auf der Landstrasse die Berge hinunter und in die Ebene von Soppong. Die Nadel des Tachos steht beständig auf null. Der Wind zerrt an den Haaren, obwohl ich eher tuckere. Ein Fluss, eine Brücke, dann tauchen die unscheinbaren Häuser von Soppong auf und öffnen sich zu einem Platz. Ziemlich staubig und gähnend leer, nur ein Mann liegt unter einem Baum auf einer Bambusliege und wartet auf den nächsten Bus. In der Markthalle ein paar Verkäufer, die sich langweilen, weil ich heute anscheinend die Einzige bin, die etwas zu essen braucht. Ich erstehe ein Kilo Huhn für fünfzig Rappen und trinke noch einen Tee im Café. Er schmeckt nicht annähernd so gut wie Pa Lengs Ernte aus dem eigenen Garten. Nach einer halben Stunde mache ich mich wieder auf den Weg nachhause.

Kindertag in Thailand

An meinem vorletzten Tag dreht das beschauliche Mae Lana plötzlich auf. Es ist Samstag und Kindertag in ganz Thailand. Vorm Tempel, vorm Shop, vor der Schule parkieren überall Pick-ups und Motorräder. Auf dem Sportplatz der Schule steigt das Fest, ein unglaubliches Spektakel. Hunderte von Kindern aus Mae Lana und Umgebung haben sich mit Glitzerstoffen, Tüll und Spitze, mit Pailletten, Federn und Fransen ausstaffiert. Klasse für Klasse führen sie Tänze vor, wippen mit den Hüften, drehen sich synchron zur Musik. Die Mütter der Kinder stehen auf dem Rasen und klatschen, viele haben traditionelle Kleidung an, lange schwarze Mäntel mit bunten Borten, von Silberbroschen zusammengehalten. Ich weiss gar nicht, wen ich zuerst angucken soll: die Kinder, die Mütter oder die Lehrer, die Teufelshörner und Mickey-Mouse-Ohren in den Haaren tragen. Immer wieder halten Lokalpolitiker Reden, steigen Luftballons in den Himmel. Ein Paraglider, von einem Motor angetrieben, dreht waghalsige Runden. Krachend brennt ein Feuerwerk ab. Showtime auf dem Land.

Im Teakholzhaus ist alles ruhig. Pa Leng und Pi Nan Run sind daheimgeblieben. «Die Welt um dich herum ist nicht das, was du bist», meint Pi Nan Run, der ehemalige Mönch. «Es ist gut, wenn du bei dir selbst bleibst.» Er kann das am besten, wenn er auf dem Feld arbeitet oder am Haus. Gerade füttert er die Hühner. Pa Leng pflückt Tabak im Garten, um ihn im Shop zu verkaufen. Auf dem Tisch draussen vor der Küche liegen frisch geschnittene Bambusrohre. Ich packe eine Machete und schneide, wie ich es gelernt habe, die Stangen zurecht, damit wir sie später mit Kokosreis füllen. Dann nehme ich den Kessel vom Lagerfeuer, brühe eine Kanne Tee auf und setze mich auf die Veranda. Der Bambus zittert in der flirrenden Mittagsluft. Die Netze der Spinnen glitzern in der Sonne. Ein Schmetterling gaukelt vorbei. Ich sitze ganz still. Fast wäre er auf meiner Hand gelandet.

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