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Top Secret in Cork: Reise zum Schweizer Geheimdienst in Irland

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Top Secret in Cork: Reise zum Schweizer Geheimdienst in Irland

  • Text: Frank Heer, Fotos: Fabian Unternährer

Liss Ard — oder wie ich Irland lieben lernte: Eine Reportage zur einst luxuriösen Aussenstelle des Schweizer Geheimdiensts in West Cork.

Irland war nie my Cup of Tea. Dass ich kürzlich trotzdem nach West Cork reiste, hat mit Ex-Geheimdienstchef Albert Bachmann zu tun. Der wiederum kann nichts dafür, dass ich sechs Tage später so was wie Heimweh verspürte, als ich im Flugzeug zurück nach Zürich sass. Heimweh nach Irland. Doch der Reihe nach.

Vor einigen Monaten stiess ich auf die Website von Liss Ard House & Estate. Der alte Herrensitz stammt aus dem 19. Jahrhundert und liegt in der Nähe von Skibbereen, einem freundlichen Städtchen im Süden Irlands. Seit einigen Jahren führt der Zürcher Roman Stern in den viktorianischen Gebäuden einen Hotelbetrieb mit Restaurant. Zum Grundstück von achtzig Hektaren gesellen sich ein moorschwarzer See, ein Labyrinth von Spazierwegen, klare Bäche und stille Teiche, ausgedehnte Wald- und Weideflächen. Auf diesem schönen Flecken Land liess der Lichtkünstler James Turrell einen begehbaren Krater aufschütten, der den Himmel auf die Erde holt. Und die Rocksängerin Patti Smith fand hier den Grabstein für ihren verstorbenen Freund, den Fotografen Robert Mapplethorpe.

Albert Bachmann: Chef des Schweizer Geheimdiensts

Hellhörig machte mich ein weiterer, nicht minder schillernder Name: Albert Bachmann, ehemals Generalstabsoberst und Chef des Schweizer Geheimdiensts, geboren 1929 in Zürich, gestorben 2011 in Cork, Irland. Er hatte sich das Anwesen zu Beginn der Siebzigerjahre für einen Pappenstil gekauft. Das Hauptgebäude rüstete er zu einer Luxusherberge um. Allerdings nur als Tarnung, denn der Oberst akquirierte Liss Ard nicht als Hotelier,sondern in seiner Funktion als oberster Geheimdienstler. Vor dem Szenario eines atomaren Angriffs der Russen schien ihm dieses Stück abgelegene Erde das perfekte Versteck für den Ernstfall. Die Schweizer Regierungsspitze hätte hier nach Bachmanns Visionen ein sicheres Refugium vor der roten Gefahr gefunden. Der Plan war so geheim, dass nicht einmal der Bundesrat davon wusste.

Nieselregen bei der Landung in Cork. Wir wählen die Küstenstrasse, um nach Skibbereen zu gelangen. Schwaden von Nebel lassen ganze Dörfer, Landstriche, Schafherden verschwinden. Überraschend mild ist es, als wir vor einer Bucht bei Kinsale den Mietwagen stehen lassen. Böen reissen Löcher ins Wolkengebräu, der Atlantik peitscht Gischt die Sandbänke hinauf. Tollkühne Surfer ringen mit der Brandung. Es riecht nach Meer, Torf und nassem Gras. Weiterfahrt nach Skibbereen, jetzt mit Abendsonne im Gesicht. Wiesen dampfen, der Himmel ist pink, Wolken wie aus Zuckerwatte: ein Spektakel.

Liss Ard finden wir nicht auf Anhieb. Endlich, scharf rechts, das Eingangstor im Halbdunkel. Die winzige Tafel am Strassenrand scheint nicht angebracht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Der Wald verschluckt die Resten eines Abendhimmels. Schon bei der Anfahrt erahnen wir die Grandezza des Anwesens. Dann eine Lichtung, ein Haus in der Dämmerung, herrschaftlich, mit weiss gestrichenen Mauern, die Fenster leuchten gelb. Die Réceptionistin zeigt uns die Zimmer. Im Salon flackert ein Cheminéefeuer vor dicken Sesseln, es läuft Musik von den Tindersticks. Die Bibliothek ist gut bestückt, ebenso die Bar. Whiskey please!

Strömender Regen am nächsten Morgen. Blick durch grosse Fenster hinaus in den Garten. Eine knorrige Monterey-Zypresse, hoch wie ein Kran, streckt tausend Arme in den Himmel. Es gibt Blut- und Leberwurst zum Frühstück (Black & White Pudding), zum Glück aber auch Eier und Speck und weisse Brötchen (Scones) mit Marmelade und salziger Butter, dazu klassische Musik. Melanie Uhkötter setzt sich zu uns. Die Deutsche ist gute Fee und umtriebige Facility-Managerin von Liss Ard. Sie hat für uns ein Treffen mit John O’Mahony arrangiert, dem langjährigen Bauchef von «Colonel» Bachmann. Gewiss hat er uns viel zu erzählen, sagt sie. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: John ist 83 Jahre alt, schwerhörig und ein wortkarger Geselle. Das Interview, das wir in der folgenden Stunde bei Tee und Kuchen und noch mehr Tee zu führen versuchen, lässt sich so zusammenfassen:

Interview und Whiskey

John, Sie haben Colonel Bachmann persönlich gekannt, wie würden Sie ihn beschreiben? He was a very good man, indeed, a very good man. Sie waren sein Polier. Wie haben Sie ihn als Chef erlebt? He was a very good man,indeed, a very good man. Wussten Sie, dass er Chef des Schweizer Geheimdiensts war? No, I didn’t. Er besass auch Pferde und führte einen Reitstall, richtig? Yes, indeed, he was a very good rider. Er lebte in einer Villa in Union Hall. Haben Sie ihn dort auch besucht? Yes. Können Sie das Haus beschreiben? It was a very nice house, indeed. Very nice. (Whiskey please!!!)

Vor dem Haus steht eine Bank, auf die man sich setzen und über eine breite Waldschneise sehen kann. Ein feierlicher Blick über einen sanften Wiesenhang. Hier dürften schon die O’Donovans gesessen sein, die Patriarchen des alten irischen Familienclans, der sich um 1850 auf Liss Ard niederliess. Und natürlich Oberst Bachmann, pfeiferauchend, sein Reich im Tweed überblickend, sich an melancholischen Abenden unter pinkfarbenen Wolken den Tag herbeisehnend, an dem die ersten Staatskarossen mit Schweizer Nummernschildern die Allee heraufkröchen; den Limousinen entstiegen Bundesräte, ausgewählte Parlamentarier und salutierende Offiziere. Der damalige Informationschef des Eidgenössischen Militärdepartements sagte: «Bachmann hat viel Fantasie, und daraus entsteht die Gefahr, dass er übers Ziel hinausschiesst.» Sich selbst beschrieb der Oberst gern als «einzigen Schweizer Generalstabsoffizier mit Schnauz und einer Tätowierung am Oberarm». Er gab sich Decknamen wie Henry Peel oder Schwarze Hand und soll auf Liss Ard einen Bunker für das Gold der Nationalbank gebaut haben.

Zeit, das Gelände auf eigene Faust zu erkunden. In Gummistiefeln und mit einer Packung McVitie’s Milk Chocolate Hob Nobs als Notration in der jägergrünen Öljacke. Wir verschwinden im Dickicht, wandeln auf labyrinthischen Pfaden und geraten auf unverhoffte Lichtungen. Die Wege haben System. Sie folgen einem Kroki, das gefertigt wurde, sich zu verlaufen, ohne verloren zu gehen. Das ist ein wenig, als würde man von einer grünen Wolke verschluckt. Unten am See, dem Lough Abisdealy, wirft eine Frau aus Skibbereen einen Stock ins spiegelglatte Wasser. Ein wollener Knäuel von einem Hund hechtet hinterher und bringt ihn zurück. Auf einer Anhöhe über dem See sitzt die Lake Lodge zwischen Baumkronen; das Gästehaus der O’Donovans kann heute als Dépendance gemiegemietet werden. Am andern Ufer, vom Schilf umgarnt, wölbt sich eine Wiese. Weisse Schafe auf grünem Grund. Plötzlich bricht die Sonne durch: Gemälde mit Regenbogen.

Der Karrierestart auf eigene Faust

Seinen ersten Coup landete Albert Bachmann Ende der Sechzigerjahre. Als Autor des «Zivilverteidigungsbuchs», das in seiner antikommunistischen Paranoia alles Liberale, Linke und Intellektuelle zur potenziellen Staatsgefährdung stilisierte. Bachmann stammte aus einer proletarischen Zürcher Familie. Sein Vater war oft krank und meistens arbeitslos, die Familie zügelte von einer Sozialwohnung in die nächste. Während seiner Lehre als Buchdrucker trat Albert der kommunistischen Freien Jugend bei. Er verschlang marxistische Literatur und druckte im Keller eines Jugendcafés revolutionäre Flugblätter, die er an Hausmauern klebte. Sein damaliger Weggefährte, der spätere Journalist Ulrich Kägi, schreibt in einem «Weltwoche»-Artikel von 1980: «Als im Februar 1948 in der Tschechoslowakei die Kommunisten die Macht ergriffen, sah Albert Bachmann dieses Ereignis als Umkehrung seiner Ideale, die Unterjochung des Kleinstaats durch die bisher verherrlichte Grossmacht.» Bachmann wurde zum kalten Krieger. 1969 konnte er den Bundesrat von der Dringlichkeit seines «Zivilverteidigungsbuchs» überzeugen. Der liess die schmale Fibel drucken und in alle Schweizer Haushalte liefern. Sie wurde mit einer staatlich verordneten Startauflage von 2.6 Millionen zum «Bestseller» und bescherte Albert Bachmann ein kleines Vermögen.

In den Dörfern und Kneipen von West Cork kannte man den umtriebigen Schweizer nicht als Agent «für heikle Sonderaufgaben», sondern als umgänglichen Investor und Pferdenarr. Er führte eine Reitschule und mischte sich gern unters Volk. In der Bucht von Tragumna, zehn Autominuten von Liss Ard entfernt, liess er Ferienhäuser und einen Pub errichten, den «Skibbereen Eagle». Bei unserem Besuch am frühen Abend ist nicht der Bär los. Männer mit Bauch und kräftigen Schultern sitzen am Tresen vor ihren Bieren. Kurze Hälse, rote Gesichter. Die eine Hälfte trinkt Harp, die andere Guinness. Brian O’Conor trinkt Harp. Er ist einer der wenigen Männer im «Eagle», die wissen, wem sie ihre Kneipe verdanken. Er habe den «Colonel» nie getroffen, sagt der pensionierte Mechaniker, aber viel von ihm gehört. «War eine Art Schweizer James Bond, right?» So ungefähr. Wir erzählen Brian von Bachmanns Geheimarmee von 2000 Frauen und Männern, die der Oberst auf den Widerstand im Untergrund vorbereiten liess: schiessen, sprengen, chiffrieren, funken, sabotieren,desinformieren. Nur einer Handvoll Eingeweihten waren die Waffendepots in Schweizer Kellern bekannt, angelegt ohne Kenntnisnahme des Bundesrats. Die Spezialeinheit ging später als P26 in die Geschichte ein und löste eine mittlere Staatskrise aus. Annie, die so stramme wie herzliche Bardame, kennt auch eine Story: «Bevor Bachmann den Pub baute, soll er sich erkundigt haben, ob es in der Nähe einen Friedhof oder eine Kirche gebe.» Stirnrunzeln. «Beerdigungen und Gottesdienste sind gut fürs Geschäft.» Gelächter. Später setzt sich John O’Mahony auf seinen Stammhocker in der Ecke der Bar. Wie jeden Abend um acht. Als Bachmanns Polier hatte er an diesem Pub mitgearbeitet. «He was a very good man», nickt John. Whiskey please!

Auf den ersten Blick ist West Cork nicht mehr als eine reizende und leicht melancholische Kulturlandschaft. Hecken und Wege zerschneiden sie in Fluren, Felder, Schollen, Wiesen. Hier und dort bröckelt ein Gehöft, Wolken jagen sich am Himmel, am Strassenrand steht ein Pferd. Doch die Landschaft strotzt vor Selbstbewusstsein, was man an den Türmen und Zitadellen erkennt, die auf jeder Anhöhe an kriegerische Zeiten erinnern. Es lohnt sich, das Auto so oft wie möglich stehen zu lassen, um über Feldwege und Wiesen zu streunen. Auf Hügel zu wandern, um die Küste mit ihren Inseln und Halbinseln auszuspähen. Hier verschwindet Irland im Meer, hier endet Europa. Es ist ein komplizierter Bruch: Mal reisst er brutale Fjorde ins Land, mal bildet er Buchten mit Stränden aus Sand. Dann wieder tobt das Meer in tiefen Schächten. Der Leuchtturm von Baltimore, eine knappe halbe Autostunde von Skibbereen, ist ein Ort, an dem sich die Küste besonders dramatisch gebärdet. Wir scheinen den richtigen Moment erwischt zu haben: Erst verschleiern Wolken die Sicht, doch derbe Böen zerreissen sie in Fetzen. Was folgt, ist ein Wetterschauspiel in mehreren Akten; mit Lichteffekten, Windmaschinen und einer Bühne aus Klippen, Wasser und immergrünem Gras.

Melanie Uhkötter kennt jemanden, die jemanden kennt, die die Haushälterin von Albert Bachmann kennt, die ihn bis zu seinem Tod gepflegt haben soll. Ob wir sie anrufen wollen? Nein danke. Stattdessen holen wir zwei Paar Ruder aus Bachmanns altem Pferdestall, denn Melanie kennt auch jemanden, die jemanden kennt, die weiss, dass unten am See ein Geist sein Unwesen treibe. Manchmal zeige sich die blasse Frau in der Dämmerung und verschwinde dann im Wasser. Eine Blitzrecherche im Internet ergibt dann leider keine Treffer. Dafür erfahren wir von einem Riesenwurm, der 1914 eine Gruppe Kirchgänger verschreckte, wie er am Ufer ein Schaf bei lebendigem Leib verschluckte (so ungefähr; nicht bekannt ist, ob die Gruppe auf dem Weg zur Kirche bereits einen Pub besucht hatte). Heute ist der See glatt wie ein Spiegel, unsere Kanus gleiten lautlos dahin.

Gesang in Skibbereen

Skibbereen, Friday Night. William O’Briens Corner Bar ist zum Bersten voll. Abgewetzte Theke, dunkelbraune Wände, schwere Barhocker. O’Briens Singing Cirlce ist seit 13 Jahren eine Institution. Mitmachen darf, wer sich in die Liste einträgt. «Am Anfang», sagt William, «hatten wir ein Problem. Das Interesse war zwar riesig, doch alle wollten ‹40 Shades of Green› und ‹As I Roved Out› vorsingen.» Mit der Zeit habe sich unter den Teilnehmern der Ehrgeiz entwickelt, weitere Lieder zu lernen. Die meisten entstanden zwischen 1600 und 1850. Sie wurden bei Familienfesten, Totenwachen oder Hochzeiten vorgetragen, in gälischer Sprache und ohne Begleitung, dafür mit kunstvoll verzierten Melodiebögen. Als eine pensionierte Lehrerin mit rechtschaffenem Sopran «An Paistin Fionn» anstimmt, wird es feierlich im Raum. Nach gefühlten 22 Strophen und einem erlösenden Applaus wischen auch wir uns eine Träne aus dem Auge. Whiskey please!

Am 19. November 1979 wurde bei St. Pölten in Österreich der Schweizer Betriebsberater Kurt Schilling von der Staatspolizei festgenommen. Er war dabei, ein Manöver des Bundesheers auszuspionieren; mit Feldstecher, Landkarte, Notizblock. «Ich hatte den Auftrag herauszufinden, wie lange Österreich einem Angriff aus dem Osten standhalten kann», erklärte er später den verdutzten österreichischen Behörden. Verdutzt vor allem deshalb, weil zum Manöver militärische Beobachter eingeladen waren, auch Vertreter der Schweiz. Während der Einvernahme gab Schilling seinen Auftraggeber preis: Geheimdienstchef Albert Bachmann. Darauf überschlugen sich die Enthüllungen: Liss Ard, P26, Waffendepots, Akquirierungen aus Steuergeldern – hinter jedem Skandal steckte der gleiche Name: Bachmann. Der Oberst räumte «in gegenseitigem Einvernehmen» seinen Posten, die Schweizer Regierung verkaufte Liss Ard für 600 000 Franken an einen US-Makler.

«He was a very good man»

Bachmann zog sich in seine südirische Wahlheimat zurück, wo er sich in Union Hall eine Villa mit Meerblick bauen liess. Er blieb gern gesehener Gast an Partys und Jagdempfängen, meistens trug er einen grauen Zylinder, Nadelstreifenveston und Reiterhose. Es heisst, dass der umtriebige Oberst auch nach seiner Entlassung wie ein Schatten durch die Gänge internationaler Geheimdienststellen huschte. Als der «Colorful Swiss Spymaster» 2011 nach kurzer Krankheit starb, widmeten ihm internationale Zeitungen halb bewundernde, halb verwunderte Nachrufe. Der damalige Bundesrat Chevallaz sagte: Leute wie Albert Bachmann hätten zu viele Spionageromane gelesen. Sein Baumeister, John O’Mahony, würde hinzufügen: «He was a very good man.»

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1.

«He was a very good man, indeed»: John O’Mahony (83) war der Bauchef von Oberst Bachmann

2.

Schwaden von Nebel lassen ganze Dörfer, Landstriche, Schafherden verschwinden: Leuchtturm an der Küste

3.

Ein Wetterschauspiel in mehreren Akten – mit Lichteffekten, Windmaschinen und einer Bühne aus Klippen, Wasser und immergrünem Gras

4.

Anwesen mit Grandezza: Liss Ard Estate

5.

Melanie Uhkötter ist die gute Fee im Liss Ard Estate

6.

Der «Colonel» liess einen Pub bauen und war ein Pferdenarr.

7.

Stammgäste im «Skibbereen Eagle»

8.

Die letzten Jahrzehnte sich selbst überlassen, hat sich der Garten in einen verwunschenen Märchenwald verwandelt