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Postkarte aus Twentynine Palms

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Postkarte aus Twentynine Palms

  • Text: Frank Heer

In der kalifornischen Mojave-Wüste findet man zu sich. Und nach zwei Tagen in Twentynine Palms will man nicht mehr weg.

Gegen Mittag war das Thermometer auf 40 Grad gestiegen. Am Abend, als die Sonne tief stand und die Landschaft milde färbte, kletterte ich in der Wüste auf Felsen aus der Vorvergangenheit und wartete, bis alles zu glühen begann; erst gelbrot, dann blutrot, dann pink. Zurück im Inn. Fledermäuse umschwirren das dicke Palmenpaar. Der Blick streift über den Pool, grünblau, hinein in die Beiz, wo bunte Lämpchen und Fotos von früher hängen. Ich trinke ein rostrotes Ale zu ein paar Takten Countrymusik.

Twentynine Palms heisst der Ort in der kalifornischen Wüste, der mich seit Tagen festhält. Seine Häuser liegen weit verstreut am Ende einer langen Strasse, dem Highway 62. Er führt von Palm Springs über Yucca Valley und Joshua Tree, von dort aus pfeilgerade durch flimmerndes Wildwestgebiet. Wer hier übernachtet, ist Lastwagenchauffeur und steigt in einem der Motels ab. Ufologen fahren weiter nach Landers, Glücksspieler nach Nevada. Bleiben Müssiggänger, Insichkehrer und Besucher des Joshua Tree National Park. Für sie gibt es seit 1928 das 29 Palms Inn, einen Familienbetrieb mit einem Dutzend Bungalows. Das Inn liegt in einer Oase namens Mara, bestückt mit alten Palmen, die sich dicht um einen Teich drängen. Ich habe mich in der Suite über dem Empfangshaus eingemietet. Geschnitzter Bison auf der Kommode. Farbfernseher mit Antenne und schwachem Empfang. Quilt übers Bett geworfen. Kleine Veranda. Nach meiner Ankunft wollte ich gleich wieder weg. Zurück nach L. A. oder Palm Springs. Schon beim Frühstück überlegte ich es mir anders. Noch eine Nacht, sagte ich zur Réceptionistin, «you got it», strahlte sie, am Ende blieb ich fünf. Lesen im Liegestuhl. Schweben in der Hängematte. Wegtreten unter dem Deckenventilator. Flottieren im Pool. Abends auf Felsen sitzen und der Sonne beim Verschwinden zusehen, ein Heer von Joshua-Bäumen im Gegenlicht.

Später auf meiner Veranda. Ich starre in den Mond. Eine Eule hockt auf der höchsten Palme. Sie komme jede Nacht, wird man mir erzählen; ein Schattenspiel vor dunkelblauem Himmel. Im Bett liegend, höre ich den Kojoten zu. Sie jaulen wie Sirenen. Weit geöffnete Fenster. Der Ventilator dreht sich leise surrend. Noch eine Nacht.

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