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«Mann kann sich auch ganz natürlich schminken»

Stil

«Mann kann sich auch ganz natürlich schminken»

  • Text: Verena Edinger, Foto: Thomas Neidhart

Nicht nur Frauen, auch Männer benutzen immer öfter Make-up, um Unreinheiten abzudecken und den Teint frischer wirken zu lassen. Grosse Brands wie Chanel, Givenchy oder Tom Ford reagieren nun mit speziellen Männer-Linien auf dieses Bedürfnis. Was es mit dem Trend auf sich hat, sagt uns Coiffeur und Visagist Thomas Neidhart.

Thomas Neidhart, angefangen haben Sie als Coiffeur, dann kam die Visagisten-Ausbildung dazu. Wann haben Sie sich selber das erste Mal geschminkt, und wie war das?
Thomas Neidhart: Vor etwa sechs Jahren wurde ich zum erste Mal von meinen Schulkollegen geschminkt, eine völlig neue Erfahrung. Im Alltag trage ich Make-up seit etwa zwei Jahren. Der Grund war, dass ich für meinen YouTube-Kanal nicht immer genügend weibliche Models zur Verfügung hatte. Ein Freund riet mir dann ganz pragmatisch, dass ich doch einfach mein eigenes Model sein sollte. Daran hätte ich nie gedacht! Das erste Mal den Pinsel auf meinen eigenen Augenbrauen zu fühlen, das war schon etwas Ungewöhnliches. Heute schminke mich nach Lust und Laune – vor allem wenn ich mich etwas spezieller fühlen will. Aber ich hab auch kein Problem, mal ungeschminkt aus dem Haus zu gehen.

Man merkt kaum, dass Sie geschminkt sind. Ihre Haut sieht einfach sehr ebenmässig und gepflegt aus. Realisiert Ihr Gegenüber normalerweise, dass Sie Make-up tragen? 
Nein, eigentlich fast nie, und wenn, dann sind es fast immer Frauen, da sie wahrscheinlich ein anderes Gespür für Kosmetik haben. Von vielen Menschen bekomme ich einfach Komplimente, zum Beispiel, dass ich sehr frisch aussehe, als hätte ich super gut geschlafen. Dass es aber an Concealer und Foundation liegt, darauf würden vor allem die Männer nie im Leben kommen. Sie haben meistens kein Bewusstsein dafür, dass zum Beispiel auch alle männlichen Models in Werbekampagnen oder Schauspieler in Filmen geschminkt werden.

Sei es über Ihre Social-Media-Kanäle oder auch im echten Leben: Mussten Sie sich je Kritik oder blöde Sprüche anhören?
Ja das kam auch schon vor, aber zum Glück sind das Einzelfälle. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Wandel, die klassischen Grenzen der Geschlechterrollen sind nicht mehr so stark und verschwimmen zunehmend. Befindet man sich zum Beispiel beim britischen Online-Versandhändler Asos auf der Männerseite, werden einem auch hier alle Make-up-Produkte von Lidschatten bis zum Lippenstift vorgeschlagen. Ich denke auch, dass gerade jüngere Männer weniger Vorurteile und Bedenken gegenüber Kosmetik haben und so auch die übernächste Generation hoffentlich nochmals einen normaleren Zugang dank diesen Vorbildern haben wird.

Denken Sie, dass andere Länder geschminkten Männern gegenüber offener sind?
Das kann sein. Als ich in London im Urlaub und an Coiffeur-Seminaren war, hatte ich das Gefühl, dass es viel normaler ist, als Mann Kosmetikprodukte zu kaufen. Aber ich kenne auch durchaus hier in Schweiz Männer, die mit vollem Augen-Make-up durch die Stadt laufen und sich nicht um Konventionen scheren. Aber eben, man kann sich als Mann auch ganz natürlich schminken.

Und wie muss Mann das dann machen?
Das Wichtigste ist eigentlich die Pflege. Zudem empfehle ich eine flüssige, nicht zu stark pigmentierte Foundation zu benutzen, da Männerhaut etwas gröber ist und man ansonsten Falten oder Unebenheiten eher sieht. Gerade wenn man Anfänger ist, tut man sich auch etwas leichter damit als mit einer Full-Coverage-Foundation. Und am besten fragen Sie in der Drogerie oder am Counter nach Probepackungen, um den richtigen Hautton zu erwischen. Denn letztendlich findet man die richtigen Kosmetikprodukte nur durch ausprobieren. Das gilt übrigens auch fürs Auftragen von Kosmetik generell – Übung macht auch hier den Meister.

Welche Produkte benutzen Sie im Alltag oder können Sie Anfängern empfehlen?
Also die Basics sind sicher Concealer, Puder oder Foundation, um Pickel oder Rötungen verschwinden zu lassen. Besonders gut finde ich die Water Blend Foundation von Make Up Forever, da sie sich besonders gut für trockene Männerhaut eignet und sie eine ganz leichte, wässrige Textur hat. Man sieht wirklich auch von nahem nicht, dass man Make-up trägt. Oder sonst auch die Light Wonder von Charlotte Tilbury. Auch diese Foundation deckt nur ganz leicht, bringt aber gleichzeitig die Haut zum Strahlen. Dann eine Lippenpomade, die nicht glänzt, und eventuell noch etwas für die Augenbrauen, ein leichtes Fluid oder ein Stift in der passenden Farbe. Und immer, immer Feuchtigkeitscrème!

Es gibt ja schon einiges Richtung Gesichtspflege oder Haarstyling-Produkte speziell für Männer, aber nur wenig im Kosmetikbereich. Gibt es Nachholbedarf, was Männerkosmetik betrifft?
Ja, auf jeden Fall. Ich persönlich benutze keine speziellen Männerprodukte, weil die Auswahl zum Teil zu klein ist, und ich wechsle auch gern die Produkte. Aber ein neutrales Verpackungsdesign oder auch nur schon ein «for men»-Label kann sicher bei einigen Männern die Hemmschwelle senken, solche Kosmetikprodukte zu kaufen.

Welches Kosmetikprodukt würden Sie sich persönlich noch wünschen?
Etwas für die Wimpern – eine leichte, nicht allzu voluminöse braune Tusche. Zurzeit benutze ich Produkte, die eigentlich für Augenbrauen sind.

Ist es Ihnen peinlich, Make-up zu kaufen? Oder verstehen Sie, dass sich manche Männer dabei unwohl fühlen?
Also ich persönlich habe kein Problem damit. Aber das liegt sicher auch daran, dass ich als Visagist einen ganz anderen Zugang habe, es ist ja mein Job. Kosmetikneulinge fühlen sich vielleicht wohler, wenn sie eine Frau zum Produkteshoppen mitnehmen, das kann die Partnerin oder auch die beste Freundin sein. Viele Produkte kann man auch online bestellen, allerdings ist es hier wiederum schwerer, den richtigen Farbton zu erwischen.

Thomas Neidhart arbeitet bei Kuna Hair & Color Factory in Richterswil ZH als Coiffeur und selbstständiger Visagist. Auf seinem Youtube-Kanal by.ThomART zeigt er, wie Mann und auch Frau sich richtig schminken.

 

In der neuen annabelle-Ausgabe, die in dieser Woche erscheint, lesen Sie mehr über die Geschichte von Männer-Make-up und wie sich dieses verändert hat, denn geschminkte Männer gabs schon immer.

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1.

Thomas Neidhart ohne Make-up.