Werbung
Haare: Das Glück ist Grau

Stil

Haare: Das Glück ist Grau

  • Text: Martina Monti

Ein Plädoyer für graue Haare von Martina Monti, stellvertretende annabelle-Chefredaktorin.

«Bist du sicher?» Im Blick der Coiffeuse meines Vertrauens mischten sich Verwunderung und Besorgnis. Aber ich war mir sicher, hundertprozentig: Mein über lange Jahre herbeigefärbtes Hellblond und ich sollten ab sofort getrennte Wege gehen, für die Zukunft meines Haupthaars sah ich Grau. Mit Mitte dreissig.

Zuvor hatte ich über Monate die rasche Vermehrung der Silberfäden in meinem Ansatz beobachtet, um ihn dann doch wieder mit Gabys Hilfe zu tarnen. Das Ergebnis war immer supertoll, da gab es nix zu meckern. Ich war happy mit dem kühlen Hellblond meines mal längeren, mal kürzeren Pixies, beides stand mir richtig gut, und Gaby hatte Schnitt und Farbton so meisterlich im Griff, dass ich sogar auf der Strasse darauf angesprochen und nach meinem Coiffeur gefragt wurde. Es gab also eigentlich keinen Grund, sich vom Mia-Farrow-Look zu verabschieden. Ausser meiner Neugier.

Die hatte mich immer schon alles Mögliche an Farben und Formen ausprobieren lassen im Lauf meines Frisurenlebens. Ausser einer Sinéad-O’Connor-Glatze (kurz mal sehr in zu meiner Zeit, damals) und Henna (dafür fehlte mir die dazugehörige antipatriarchale Gesinnung. Und ich mochte kein Patchouli). Aber sonst hab ich nix ausgelassen: Farah Fawcett nicht (Stufen in Strähnchenblond und drei Liter Föhnlotion), auch nicht Audrey Hepburns «Sabrina» (um festzustellen, dass mich schwarze Haare mit Ende zwanzig aussehen liessen wie Ende Fahnenstange ) – und alles, was stilistisch dazwischenlag. Irgendwann landete ich dann beim hellblonden Shortcut, den meine Mutter deshalb so liebte, weil ich einst eine kleine Blondine war (Mütter!). Ich wiederum war ein Riesenfan des silberweissen Haars meiner Mutter.

Meine Eltern sind beide frühreif Ergraute, bei meinem ursprünglich hellblonden Vater verlief das Ganze sehr diskret und für die Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar. Nicht so auf dem Haupt meiner Mama; sie ist von Haus aus eher der dunkle Typ. Und als sehr stilbewusste, gern ewig junge Frau empfand sie jedes graue Haar als persönliche Niederlage, als biologische Zumutung. Also liess sie färben. Rigoros. Jahrelang. Dunkelbräunlichrötlich. Meine Mutter wurde älter, nur die Haarfarbe blieb 25. Dabei war ich mir so sicher, dass sie ein schönes Silbergrau hat, das ihr wunderbar stehen würde. Ihre Coiffeuse muss das genauso gesehen haben, denn irgendwann machten sich die beiden dann doch gemeinsam auf ins Abenteuer Weisshaar. Der Ansatz wurde während des Rauswachsens der Deckfarbe immer wieder mit Strähnchen versehen, bis die Haare auf der ganzen Länge grundgrauweiss waren. Eine harte Übergangszeit, in der meine Mutter öfter in den Spiegel sah und an ihrem Vorhaben zweifelte. Aber sie hielt durch. Und war am Ziel rundum happy. Und wunderschön.

Ich überschritt den 30er-Rubikon, und es begann in meinem Blond ansatzweise zu glitzern. In etwa zur gleichen Zeit schlich sich bei mir eine latente Blondierungsmüdigkeit ein. Obwohl ich mit dem Look als solchem wie gesagt happy war. Aber bis aus mir und meiner Strassenhundmischung inklusive Schnitt wieder die unbekannte Schwester von Annie Lennox wurde, das dauerte jeweils ein paar Stunden. Und so richtig supertollgesund war das Entfärben und anschliessende Tönen für meine Haare ja irgendwie auch nicht, trotz intensiver Pflege. Nur: Wenn nicht das, was dann? Das allseits bei der ersten Graupanik gern gefärbte Kupferrot mit einem Stich ins Aubergine? Nicht mein Ding. Ein bisschen sehr «Ich bin viele», und Rot bringt fatalerweise meine ansonsten relativ unsichtbare Couperose zum Leuchten. Vielleicht doch noch mal richtig dunkel? Damit hätte ich mich optisch in die Vergreisung gefärbt (weil: je dunkler, desto faltenunterstreichender), ausserdem sahen beide Varianten so dermassen gewollt, so unnatürlich, so nach Kunst-am-Haar aus … Also blieb ich erst mal blond, während die Genetik mich weiter versilberte. Gleichzeitig startete ich meinen x-ten Versuch, mehr wie ein richtiges Mädchen auszusehen – wenn ich schon an der Farbe nichts ändern konnte –, und entschied mich mal wieder für Richtung «längeres Haar». (Kleine Nebenbemerkung: Eine gute Coiffeuse erkennen Sie unter anderem daran, dass sie Ihnen nicht immer alles auszureden versucht. Längere Haare zum Beispiel. Sondern Sie auch einfach mal machen lässt, bis Sie selber einsehen, dass das eine blöde Idee ist, die auch beim 165. Versuch blöd bleibt.) Jedenfalls liess mich die weise Gaby gewähren und meinem Haaransatz mehr Raum, der mittlerweile von einer in vielen Nuancen changierenden Menge grauweisser Haare bevölkert war. And I liked it. Auch wenn ich ja nur die Spitze des Eisbergs sehen konnte. Weshalb ich umso unbedingter rausfinden musste, wie ich ganz in Grau aussehen würde. Und damit hatte ich sie dann auch, die Idee, die Antwort auf die Frage nach der Farbe meiner Zukunft: Raus mit dem Blond, her mit dem Grau, zurück zur Natur. Beim nächsten Coiffeurtermin teilte ich Gaby mit, dass ich kein richtiges Mädchen mehr sein wollte und sie natürlich vollkommen Recht gehabt hatte, Kurz ist nun mal mein Stil, also runter mit den Haaren. Gaby wollte gerade wissend nicken und sich freuen … «Und ich will das Ganze in Grau. Basta färben.»

Kurzes Schweigen.

«Bist du sicher?»

Wie gesagt, ich war sicher und bin sicher.

Ich würde sogar sagen: Ich bin rundum glücklich.

Wenn Sie auf den letzten Satz mit Kopfschütteln, Gelächter, Zweifel an meinem Verstand oder Anruf bei Ihrem Coiffeur für den nächsten Färbetermin reagiert haben – dann grüsse ich Sie herzlich und wünsche Ihnen alles Gute. Sie müssen ab hier nicht mehr weiterlesen.

Sollten Sie aber schon mal darüber nachgedacht haben, ob das mit den grauen Haaren vielleicht doch gar nicht so schlecht kommt, dann sind die folgenden Zeilen für Sie.

So ganz grundsätzlich: Wenn Sie dem Silberschopf eine Chance geben wollen, dann üben Sie sich schon mal im partiellen Weghören. Es wird nämlich in Ihrem Umfeld ziemlich sicher (weibliche) Stimmen geben, die mahnen, warnen, apokalyptische Szenerien weiblicher Unsichtbarkeit und früher optischer Vergreisung beschwören. Sie brauchen eine Fangruppe für das Projekt, die mitzieht, ihre eigenen Ängste nicht auf Sie projiziert, Sie anfeuert – besonders, wenn Ihnen wegen der Haarlänge eine Übergangsphase bevorsteht.

In Momenten des Zweifels: Schauen Sie sich doch mal kritisch um. Da draussen sind so viele Grausamkeiten an Färbungen zu sehen, da lohnt es sich, das Grau auszuprobieren. Zumal die Zeiten von Waschen-Legen längst vorbei sind, in denen unsere Grossmütter mit einem leichten Lila-Stich im Haar den Salon verliessen. Es gibt superlässige Haarschnitte jenseits von Dauerwelle und Dutt. (Wobei ich neulich eine Frau gesehen habe mit einem lässig geschlungenen Chignon in wunderschönem meliertem Grau.) Womit auch gleich gesagt ist: Die Coiffeuse, der Coiffeur des Vertrauens muss richtig gut sein. Und Teil Ihrer Projektfangruppe.

Mein ultimativer Geheimtipp: Früh ausprobieren. Nicht Uriella nacheifern und dem Ableben entgegenfärben. Nicht warten mit dem Coming-out der 50 Shades of Grey, bis man so richtig alt ist, und die grauen Haare neben verschupfter Kleidung in Damengrössen, gedeckten Farben und ungeschminkter Blässe gar nicht weiter auffallen. Sondern sie als Inspiration sehen. Für einen neuen Schnitt, ein neues Styling in Sachen Kleidung, andere Farben, für einen neuen Mut, zu sich selbst zu stehen. Und wenn Sie den erst mal entdeckt haben, dann können Sie Warnungen wie „Aber dann musst du deine ganze Garderobe ändern“ getrost vergessen. Ist nämlich ein Fehlalarm.

Gut möglich, dass Sie einen neuen Spass am Ausprobieren entwickeln und es dadurch einzelnen Klamotten an den Kragen geht. Oder gewisse Farben Sie plötzlich blass wirken lassen. Allerdings sollte man seinen Fundus ja sowieso in gewissen Abständen immer ein wenig updaten mit einem frischen Basic, einem bis zwei neuen Accessoires. Und fast noch wichtiger: die Stil-Leichen entsorgen (Kleiderschrank-Detox – kann ich nur empfehlen, wirkt garantiert, sorgt im Ziel für Endorphin-Flashes und braucht nicht mehr als ein paar Altkleidersäcke!).

Meine ganzheitliche Theorie? Wenn Sie wissen, dass Sie Ihre Grauen wollen, dann wissen Sie auch, was Ihnen steht. Eventuell auch, was Ihnen gut tut. Oder eben nicht mehr. Und dann übernimmt eine innere Gelassenheit Ihre Ausstrahlung, die sich Nicole Richie & Co. nicht herbeifärben können. Und die zeitlos ist und auch Falten überlebt. Nein, ich korrigiere, nicht überlebt, sondern unwichtig macht (siehe Carmen Dell’Orefice, Jamie Lee Curtis, Helen Mirren … ). Jüngere nennen das cool. Ältere authentisch. Ich nenn das «mit sich befreundet sein». (Punktuelle Streitereien inbegriffen.)

Fängt man früher als später damit an, dem Umfärben zu entsagen, dann wirkt man nicht alt, man verjüngt das Grau. Und wird dann gemeinsam älter. Graue Haare sind also auch so etwas wie ein Höhentraining, bevor es dann mit dem K2 ernst wird. Der bleibt trotzdem der schwierigste aller 14 Achttausender. So wie es auch dabei bleibt, dass alt werden nichts für Feiglinge ist. Wie gut oder schlecht beides zu bewältigen ist, bleibt nicht zuletzt eine Frage der richtigen Einstellung. Und die lässt sich mit Grau prima trainieren.

Ob Sie mit Grau so glücklich werden wie ich, kann ich natürlich nicht garantieren. Aber ich kann Ihnen versprechen, der Versuch lohnt sich. Und ansonsten: Farbe drüber.

 

Wir schön Frauen mit weissen Haaren aussehen, zeigt uns das 83-jährige Model Carmen Dell’Orefice: