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Wie ist es eigentlich, im eigenen Bett vergewaltigt zu werden?

Leben

Wie ist es eigentlich, im eigenen Bett vergewaltigt zu werden?

  • Aufgezeichnet von Evelin HartmannBild: SXC

Hannah * (33), Apothekerin, Hannover

Ich habe immer vertraut. Den Menschen in meinem Leben genauso wie meiner Fähigkeit, auf mich aufzupassen und zu erkennen, wann jemand mein Vertrauen nicht verdient. Ich habe gedacht: So etwas Schlimmes passiert anderen, aber nicht mir.

Er sass mir im Zug gegenüber – auf der Fahrt von München nach Hannover. Schwarze Hornbrille, die Beine lässig übereinandergeschlagen, nettes Gesicht. Ob mir das Zugfahren auch schnell langweilig werde, wollte er wissen. Ich lächelte und legte die Zeitschrift zur Seite. Thomas * war Niederländer, 37 und wohnte seit einigen Monaten in Göttingen. Wir lachten viel, während draussen die Welt am Fenster vorbeiflog. Zum Abschied kritzelte er mir seine E-Mail-Adresse auf meine Zeitschrift.

Wir schrieben uns einige Male, bei unserem dritten Telefonat fragte er, ob er mich in Hannover besuchen dürfe. «Gern, warum nicht», sagte ich.

Drei Wochen nach unserer Zugfahrt holte ich ihn am Bahnhof ab, an einem lauen Abend im Mai. Wir assen in meinem Lieblingsrestaurant, anschliessend gingen wir noch einige Cocktails trinken. Er erzählte von seinem neuen Job, von seiner Wohnung, in der sich noch immer die Zügelkisten stapelten, ich von meinem Amsterdam-Wochenende vergangenen Sommer und von meiner Beziehung, die drei Monate zuvor in die Brüche gegangen war. Ich fühlte mich wohl mit ihm, mochte seine Offenheit, die Begeisterung, mit der er über seine Arbeit sprach, und das kleine Grübchen an seinem Kinn.

Als wir aus der Bar auf die Strasse traten, war es spät. Zu spät, um ihn ein Hotelzimmer suchen zu lassen. «Du kannst bei mir schlafen, im Wohnzimmer», sagte ich. Thomas nickte, und auch als ich ihm später einen flüchtigen Gutenachtkuss gab, versuchte er nicht, mich umzustimmen. Eigentlich kennst du ihn gar nicht, dachte ich kurz. Aber soll ich jetzt meine Tür abschliessen? Ich schob den Gedanken zur Seite. Was hätte er davon halten sollen? Ich löschte das Licht. Meine Schlafzimmertür blieb unverschlossen.

Es war das kalte Gefühl an meinem Hals, das mich weckte. Die Messerklinge drückte in meine Haut. Für eine Sekunde war ich völlig orientierungslos, benommen. Das Zimmer war dunkel. Da war eine Gestalt, die sich über mich beugte. «Wenn du schreist, bringe ich dich um.» Ich erkannte Thomas sofort, auch wenn seine Stimme auf einmal fremd klang: hart, verächtlich.

Das Telefon im Flur, unerreichbar. Die Nachbarn hätten mich gehört, aber die Angst nahm mir den Atem. Mein Zittern konnte ich nicht kontrollieren, wie ein Tier, das in der Falle sitzt, ausgeliefert. Ich schloss die Augen, presste die Lider fest zusammen, vielleicht würde es dann aufhören. Aber Thomas hörte nicht auf, überlegte es sich nicht anders. Er zog die Bettdecke zurück. Seine Stösse in mir waren kurz und fest.

Als Erstes rief ich meine beste Freundin an. Thomas war weg. Und doch überall: auf meinem Kissen, meinem Sofa, meiner Haut, meinem Herzen. Meine Eltern und Freunde waren besorgt, aber wirklich verstehen, was in mir vorging, konnten sie nicht. Meine Angst, wenn es abends dunkel wurde, meine Schreckhaftigkeit bei jeder Berührung, den Zwang, vor dem Einschlafen alle Zimmer abzugehen – auch dann noch, als ich in die WG einer Freundin zog. «Er ist in Ihr Innerstes eingedrungen, hat den Ort entweiht, an dem Sie sich immer am sichersten gefühlt haben. Aber Sie trifft daran keine Schuld», erklärte mir die Therapeutin meine Verletzlichkeit.

Drei Monate später kam der Anruf. Sie hatten Thomas verhaftet. Natürlich war alles Lüge gewesen: die Wohnung, der Job. Der entscheidende Hinweis war von einer anderen Frau gekommen. Ich war nicht sein einziges Opfer. Sicher, ich war erleichtert, aber die Verletzlichkeit blieb.

Das ist jetzt zwei Jahre her. Mir geht es besser, nach vielen Tränen, schmerzhaften Gesprächen. Heute kann ich wieder allein wohnen, und wenn ich nachts aufschrecke, weiss ich, dass ich nur schlecht geträumt habe. Ich habe auch wieder einen Mann kennen gelernt. Was ich mir wünsche? Dass ich ihm einmal so vertrauen kann, wie er es verdient.

* Namen der Redaktion bekannt