Werbung
«Ich kratzte mich am Hintern und fluchte laut»

Leben

«Ich kratzte mich am Hintern und fluchte laut»

  • Redaktion: Kerstin Hasse; Text: Bibi Vaplan; Foto: Bo Slatzky 

Frauen sind auf Festivalbühnen untervertreten, auch in der Schweiz. Auf annabelle.ch geben wir Schweizer Musikerinnen eine Bühne und lassen sie über das schreiben, was sie gerade beschäftigt. Der fünfte Beitrag stammt von Bibi Vaplan. 

Am 18. Januar habe ich mich am Kopf gekratzt. Ein paar Mal, sogar richtig fest. Dann auch am Hintern. Ich tigerte ziellos durch meine Wohnung. Ich fluchte laut. Etwas, das ich sonst nie mache. Was passiert war? Ich wurde mit der Genderfrage im Musikbusiness konfrontiert.

Was in meinem Kopf nachhallte, war: Ich meine, ja verdammt, es ist wirklich hart, das Leben als rätoromanische Musikerin: Absagen, Veranstalter, die keine Gage zahlen wollen, Leute, die täglich gratis meine mit viel Herzblut gemachte Arbeit konsumieren, keine Sicherheit usw. Doch jetzt drängt sich ein weiteres Thema hartnäckig in mein Bewusstsein: die Gendergerechtigkeit in der Branche.

Gut – ich habe dann annabelle ein Statement abgegeben, bin brav am SMA-Forum «Hat die Schweizer Musikbranche ein Frauenproblem?» aufgetaucht und habe angefangen, mir ernsthaft Gedanken darüber zu machen. Während des Forums im «Kosmos» wäre ich am liebsten auf die Bühne gestürzt, hätte alle mal kräftig durchgeschüttelt und meinen Hula-Hula-Tanz gemacht. Als Herr Rosa dann davon redete, dass es keine Frauen in der Schweiz gebe, die kommerzielle Musik machen, die im Radio gespielt wird, wollte ich losschreien: «Hey, Signor Rosa, meine Lieder laufen bei allen Radiostationen! Bitte drehen Sie sich mal um, das Plakat meiner Plattentaufe hängt gross und pompös hinter Ihnen!»

Gut, könnte man sagen, Bibi Vaplan, die singt auf Rätoromanisch, das ist zu unkommerziell. Und Bibi ist ja auch nicht mehr süsse 23 Jahre alt. Aber WTF!, seid doch alle froh, biete ich euch ein bisschen Abwechslung zu den immer gleich tönenden Vocals und Silben des Englischen. Und WTF!: Ich bin zwar keine 23 Jahre mehr, aber immer noch knackig und habe etwas zu sagen! Lest mal meine Texte auf Deutsch nach.

Zurück zu meinem Kopf- und Hinternkratzen. Ich bin noch ein Weilchen rumgetiegert und habe weitergekratzt. Manchmal sogar an der Vagina – denn um die geht es ja bei der Sache. Das Geschlecht ist das Hauptthema der Genderfrage. Was mich dann zu meiner Vergangenheit führte:

Mit 12 habe ich mich total ins Windsurfen verliebt. Ich durfte zwar mit der Jungs-Clique mitgehen, aber ja nicht zu viel sagen und nicht über ihre Witze lachen (die ich sowieso nicht verstanden habe). Die Mädchen am Strand waren heiss. Ich hingegen, in meinem Neoprenanzug, habe von den coolen Jungs nur abschätzige Blicke geerntet, als ich an ihnen vorbeigeflitzt bin. Gleich ging es weiter, als ich mit 16 eine Band gründete, und noch ein bisschen später, als ich durch den Skatepark kurvte. Als ich dann als Bassistin mit den The Clowns auf Tour war – dito, nur etwas schlimmer: Der Hauptclown sagte zu mir, er müsse mich als asexuell betrachten, damit er mit mir Musik machen könne! Was für eine Ansage … Trotzdem. Ich wollte mit ihnen die Bühne rocken, das allein zählte für mich!

Nie habe ich irgendwo richtig dazugehört, weder zu den süssen Mädchen noch zu den coolen Jungs. Und immer noch: Ich gehöre weder zu den Frauen mit dem Kinderwagen auf dem Spielplatz noch zu den coolen Cracks in der Musikszene.

Ich kratze mich mittlerweile nicht mehr so oft. Auch nicht nach 250 Konzertabsagen, 67 Radioabsagen und nachdem mir schon 1345 Leute gesagt haben, es sei so schade, dass ich auf Rätoromanisch singe. Aufgeben? Auf keinen Fall. Ich weiss nämlich, es gibt immer einen Weg. Meinen Weg. Irgendwann halte auch ich einen Swiss Music Award in den Händen, irgendwann schreibe ich meinen ersten Roman «Baby, kauf mir eine Autowaschanlage!» zu Ende, und irgendwann spiele ich eine wunderbare Europatour mit BookerIn und TourmanagerIn (Heyho, wo versteckt ihr euch denn?). Denn es gibt da etwas, was mich mehr als alles andere erfüllt: Musik zu sein mit der ganzen Kraft meines Herzens. Zu erschaffen, was im Innersten meines Wesens schlummert. Zu inspirieren und in den Tönen blühen zu lassen.

Frauen, macht einfach euer Ding und scheisst drauf, was irgendwer sagt. Und Männer: Packt euer Machogehabe ein und macht etwas Platz. Wir nehmen euch nichts weg, es ist nämlich genug für alle da.

In Liebe,

Eure Bibi Vaplan

 

Die rätoromanische Musikerin und Sängerin Bibi Vaplan wurde einem grösseren Publikum mit Songs wie «Lascha a Mai» oder «60 minuts» bekannt. Vor wenigen Monaten hat die Bündnerin mit «Cler Cler» ein weiteres Album herausgebracht, bereits die erste Single «Milli bells guottins» wird in den Rotationen von Schweizer Radiosendern gespielt. Vaplan macht poetischen Pop in Rätoromanisch und hebt sich damit in der Schweizer Musikszene von vielen Künstlerinnen ab. Weitere Infos finden Sie hier

 

Bühne frei für alle

Meist sind es noch immer Männer oder Männerbands, die an grossen Festivals auf den Hauptbühnen stehen – obwohl es sowohl in der Schweiz als auch international viele interessante und talentierte Künstlerinnen gäbe. Wir bitten diesen Sommer fünf Schweizer Musikerinnen auf unsere Bühne und lassen sie mit einer Carte Blanche laut über das nachdenken, was sie gerade in ihrem Leben als Kreative in der Schweiz beschäftigt. Dies ist der zweite Beitrag der Reihe, alle weiteren finden Sie hier.