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«Ich wollte über Trauer nachdenken»

Leben

«Ich wollte über Trauer nachdenken»

  • Interview: Kerstin Hasse; Foto: Katharina Hinze

Sarah Kuttner bringt mit «Kurt» ihren vierten Roman heraus. Wir haben mit ihr über die Familientragödie, die sie erzählt, über Trauerverarbeitung und über das Schreiben frei von Druck geredet. 

annabelle: Sarah Kuttner, Ihr neues Buch «Kurt» handelt von einer schlimmen Familientragödie. Ein kleines Kind stirbt, und die Hinterbliebenen kämpfen mit der grossen Trauer, die sich über ihr Leben und ihre Beziehungen legt. Warum dieses Thema?
Sarah Kuttner: So einen richtig nachvollziehbaren Weg zu dieser Geschichte gibt es nicht. Ich hatte Lust, eine Familiengeschichte zu erzählen von einer modernen Familie, in der das Kind nicht notgedrungen bei seinen beiden leiblichen Eltern wohnt. Das war mir aber so als Geschichte irgendwie nicht genug, weil ich mich damit auch nicht so auskenne. Also wollte ich das Thema Trauer und wie diese Trauer eine Beziehung verändern kann, mit einbeziehen.

Weil Sie sich damit besser auskennen?
Ich habe mit der Verarbeitung von Trauer und dem Sterben in den letzten Jahren relativ viel Erfahrung gemacht, weil ich in dem Alter bin, in dem Menschen anfangen zu sterben – wenn auch vielleicht nicht eines natürlichen Todes, aber an Krankheiten wie Krebs. Es war ein Thema, an dem ich weiterdenken wollte, und das mache ich gern in meinen Büchern. Ich nehme ein Thema und denk da drauf rum und schreib es auf.

Liest man die ersten Kommentare auf Ihren Social Media Kanälen, merkt man: Die Tatsache, dass darin ein Kind stirbt, das macht einigen Leuten Angst. Haben Sie das erwartet?
So weit habe ich gar nicht gedacht beim Schreiben. Oder – vielleicht habe ich auch so weit gedacht, aber da kann ich dann halt auch keine Rücksicht nehmen. Ich kann das aber nachvollziehen. Das sind ja vor allem Frauen und Männer, die Kinder haben, die Angst haben, das zu lesen. Ich kann ja auch nicht gut Serien sehen, in denen es Hunden nicht gut geht. Ich verstehe das und habe Respekt davor. Man muss mein Buch ja auch nicht lesen. Ich glaube aber, dass man es trotz der Angst lesen kann, weil ich den Tod des kleinen Kurt still und respektvoll und leise geschehen lasse.

Ohne zu viel verraten: Man blättert um, und dann ist der kleine Kurt nicht mehr da. Ich war froh, dass das so still und ohne Blutvergiessen passiert ist …
Ja, es gibt keine Explosion, keine Schuldigen – das war mir schon wichtig. Auch damit keine Sensationslust entsteht, das passiert ja ganz natürlich, und ich will das auch gar nicht verteufeln. Das passiert auch mir, wenn ich einen Text lese. Man kriegt schon kurz spitze Ohren, wenn es aufregend wird. Für mich hatte das etwas mit Respekt vor dem kleinen Kurt, diesem Kind, das ja eigentlich gar nicht existiert, zu tun. Wenn das schon passieren muss, dann sollte es ganz leise passieren und niemanden aus Versehen befriedigen können. Es darf nicht zu gross werden, es muss ganz schnell zur Seite gelegt werden. Das ist auch wichtig für die Geschichte, es geht ja darum, was danach passiert und wie diese Beziehung unter dieser Trauer zu scheitern droht.

Der kleine Kurt ist der Sohn des grossen Kurt. Dessen Freundin Lena reflektiert sehr viel darüber, wie sie Kurt als Trauernden behandelt – wie aber auch sie selbst von ihrem Umfeld behandelt wird. Das ist eines der zentralen Themen des Buchs.
Es überfordert ja die meisten Menschen, jemanden zu treffen, dem etwas so Schlimmes passiert ist. Man hat Angst, es noch schlimmer zu machen, weil man sich gar nicht vorstellen kann, wie das wohl ist und man will nichts Falsches machen. Und aus dem Bedürfnis, nichts falsch machen zu wollen, entsteht oft der falsche Umgang – aus Versehen.

Nämlich?
Das ist nicht böse gemeint. Man sagt sich dann: Wenn ich sonst nichts machen kann, kann ich zumindest so ne Kondolenzkarte kaufen, was ich zum Beispiel furchtbar finde. Es gibt vielleicht Menschen, die finden es wertvoll, wenn sie eine Kondolenzkarte kriegen, aber ich kenne niemanden, dem das so geht. Die Karten stehen einfach unpersönlich und anklagend irgendwo rum, der Text ist vom Kartenhersteller vorgegeben, und man schreibt noch dazu: Viel Kraft, liebe Grüsse deine Juliane. Das ist ja auch nur eine Form, um mit der Situation umzugehen und das Gefühl zu haben: Ich muss irgendwie sagen, dass es mir leid tut. Aber es zeugt von einer Überforderung. Das ist schade.

Was wäre ein besserer Umgang mit der Situation?
Ich glaube, der richtige Umgang wäre – wie so oft im Leben – einfach Offenheit. Zu sagen: Ich weiss gar nicht, ob ich dir helfen kann, und eigentlich überfordert mich das alles. Ich habe Angst etwas falsch zu machen. Aber ich habe dich sehr lieb, und wenn du möchtest, bin ich für dich da. Ich glaube, dass dieser Satz auf einem Notizzettel bedeutend wertvoller ist als eine vorgedruckte Kondolenzkarte mit Engeln drauf und dazu steht mein Beileid. Wer sagt denn heute noch mein Beileid? Man kann sagen: Es tut mir leid, bitte, kann ich dir helfen? Und wenn Trauernde Nein sagen – und das werden Trauernde fast immer sagen – dann fragt man zwei Wochen später noch mal nach. Trauernde wollen niemandem zur Last fallen, und sie tun es irgendwie doch, weil ihr Umfeld nicht mit ihrer Trauer umgehen kann. Das ist der gemeinste Teufelskreis der Welt. Das muss man auffangen, indem man Normalität schafft und sich jemandem gegenüber, der trauert, auch normal verhält. Mit Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und mit Humor.

Sie stellen die wichtige Frage: Wie sehr darf man als nicht Direkt-Betroffene oder -Betroffener mittrauern. Lena tut sich mit genau dieser Frage sehr schwer. Hat Sie diese Thematik aufgrund Ihrer eigenen Erfahrungen bewegt?
Nein, das ist tatsächlich etwas, das ich im Buch erfunden habe, ein Gedankenspiel. Ich finde, Lena geht das eher falsch an, sie stellt ihr eigenes Licht da zu sehr unter den Scheffel. Ich finde, jede und jeder hat das Recht, über alles Mögliche traurig zu sein. Lena läuft da auch nicht Gefahr, dem grossen Kurt seine Trauer wegzunehmen. Das ist kein Ball, den man sich hin und her gibt. Alle Menschen sind zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Intensität traurig. Auch da hat man halt Angst, etwas falsch zu machen.

Ich habe auch schon Menschen verloren, und das tat sehr weh. Trotzdem habe ich das Gefühl, ein Kind zu verlieren, ist ein schlicht unvorstellbarer Schmerz. Wie geht man dieses Mass an Trauer als Autorin an?
Ich weiss es nicht, ich habs einfach gemacht. Das klingt so ein bisschen kokett, aber das ist die Art, wie ich auch im echten Leben mit Schmerz und schlimmen Sachen umgehe. Diese Dinge sind da und müssen gesehen werden, aber das Leben geht weiter, und so ist es eben geschrieben. Es zollt der Sache durchaus Respekt, aber es verliert nicht aus den Augen, dass es halt auch nicht zu ändern ist. Das ist wohl auch meine realistische Art, an Sachen ranzugehen.

Sie wurden im Vorfeld zu diesem Buch immer wieder von Medien gefragt, ob Sie als Frau ohne Kinder denn über dieses Thema überhaupt schreiben könnte. Ich empfinde solche Fragen als störend. Geht Ihnen das auch so?
Nun, J.K. Rowling kann ja auch nicht zaubern und Stephen King kennt vermutlich keine übernatürlichen Monster. Schmerz ist Schmerz und Schmerz kenne ich. Ausreichend und in verschiedensten Intensitäten. Wie ich schon meinte: der Rest ist gesunder Menschenverstand und eventuell eine ganz gut funktionierende Empathie.

Wer Ihnen auf Social Media folgt, erkennt in diesem Buch Themen, die auch in Ihrem Leben eine Rolle spielen: der Garten, Brandenburg, dann kommt noch eine Hundeszene vor… Wie sehr prägt Ihre Umgebung Ihr Schaffen?
Es ist ja nicht so, als wäre mein Leben super aufregend und als würde ich die ganze Zeit durch die Welt jetten. Mein Leben ist recht übersichtlich. Aber die Dinge, die ich kenne, benutze ich. Wenn ich mein Gartenwissen, das ich mir mühevoll ergoogelt habe, nutzen kann, dann tue ich das. Ich mache das sehr regelmässig in meinen Büchern, aber ich sorge auch immer dafür, dass die Hauptgeschichte nicht so viel mit meinem Leben zu tun hat und nur getragen wird von Dingen, von denen ich eine Ahnung habe. Ich denke, das mache ich, damit ich genug Abstand habe von der Geschichte. Ich stelle es mir schwer vor, etwas sehr Autobiografisches zu schreiben, weil dann würde mir die Aussensicht auf die Sache fehlen.

Ihre Beobachtungen sind sehr genau. Von der Konsistenz einer Eiscreme über die Geräuschkulisse in den Brandenburger Vorgärten, bis hin zur Art und Weise, wie sich ein Gewicht eines anderen Körpers auf einem anfühlt. Schreiben Sie sich solche Beobachtungen auf?
Nein, ich habe kein geheimes poetisches Notizbuch. Aber ich weiss natürlich wie es sich anfühlt, wenn ein schwerer Körper auf einem liegt. Und ich weiss, was ich daran mag, und das fliesst dann in das Buch ein. Einige Teile des Buchs habe ich tatsächlich in meinem Häuschen in Brandenburg geschrieben. Ich bin ziemlich sicher, dass ich – während ich über die Kreissägegeräusche geschrieben habe –  in meinem Garten sass, diese Geräusch hörte und dachte: Oh, wie schön! So passiert das eher.

Sie hatten Ihr erstes Buch «Wachstumsschmerzen» in wenigen Monaten geschrieben und – erneut von Social Media – weiss ich, dass auch dieses Buch in kurzer Zeit fertig gestellt war. Als Autorin komme ich nicht umhin zu fragen: Schreibblockade, sich selbst im Weg zu stehen – das kennen Sie nicht?
Doch, doch, das kenne ich auch. Ich sorge einfach dafür, dass der Druck so gering wie möglich ist.

Und wie schaffen Sie das?
Indem ich keine Vorschüsse nehme, bevor das Buch fertig ist. Ich mache keinerlei Verträge, und ich schulde niemandem etwas. Und es gibt dann Momente, in denen ich sage: Ich möchte mich jetzt an einem Buch versuchen, und dann mache ich das. Dann rede ich mit dem Verlag über einen möglichen, passenden Veröffentlichungstermin, um zu gucken, ob ich den schaffe oder nicht. Wenn ich ihn nicht schaffe, dann nehme ich ihn nicht an. Ich stehe mir dann ausserdem manchmal eher im Weg, weil ich eben grad so wenig Druck habe. Dann bin ich auf Facebook, mach was im Garten und komme nicht zu Potte, weil ich nicht so ein krass ehrgeiziger Mensch bin. Das Buch hat jetzt nur so fünf oder sechs Monate gebraucht. Länger will ich da aber auch nicht dransitzen, weil ich dann mit der Geschichte durch bin. Es flutscht immer recht gut, und wenn ich weiss, was ich erzählen will, macht mir das Schreiben auch grossen Spass, sodass ich einfach schnell damit vorankomme.

Sie schreiben Bücher, haben einen schönen Garten, ein Häusschen in Brandenburg, zwei Hunde und reden auf Social Media offen darüber, dass Sie eigentlich recht faul sind und gerne lange ausschlafen. Ich gebe zu: Ich hätte manchmal gern Ihr Leben. Es sieht sehr schön aus. Sie wurden vor Kurzem 40, bringen Ihr viertes Buch raus: Was denken Sie, wenn Sie so auf Ihr Leben zurückblicken?
So bin ich nicht. Ich denke nicht zurück, vor allem nicht auf 40 Jahre, davon hat man ja einen Grossteil gar nicht aktiv mitbekommen. Aber es war ein aufregendes Leben bis jetzt. Es war gut und auch genau das, was Sie von Social Media mitnehmen: es war gemütlich und nicht zu viel. Es war gut. Ich würde behaupten, ich habe Glück gehabt, aber gleichzeitig weiss ich auch, dass ich mir meinen Erfolg auch erarbeitet habe und das alles ohne Talent oder erarbeitetem Handwerk nicht geklappt hätte. Ich habe also nicht das Gefühl, dass einfach ein Goldregen auf mich heruntergerieselt ist. Aber ich kann mein Leben gut leiden. Ich geniesse einen gewissen Luxus was Zeit angeht, weil ich mir einfach für viele Sachen Zeit lassen kann. Und man verdient einfach mehr Geld, wenn man in der Öffentlichkeit steht, als wenn man nicht in der Öffentlichkeit steht. Unter anderem eben genau, weil man sich in dieser Öffentlichkeit bewegt und man dauernd von Menschen bewertet werden kann und ein bisschen Allgemeingut ist. Aber ich mag das Mass, mit dem mir das passiert ist. Ich brauche nicht mehr davon. Ich könnte auch mit weniger davon leben. Ich bin zufrieden.
 

Eine Familientragödie 
Lena ist mit Kurt zusammen und Kurt hat einen Sohn, der wie sein Vater heisst. Lena, der grosse und der kleine Kurt versuchen, das Patchworkfamilienleben gerade in ihrem neuen Haus in Brandenburg zu etablieren, als etwas Furchtbares passiert. Der kleine Kurt stirbt und hinterlässt eine Trauer, an der die Hinterbliebenen – und ihre Beziehungen – zu zerbrechen drohen. Sarah Kuttner erzählt einfühlsam über das, was Trauer mit Menschen macht. Mit ihrem authentischen Schreibstil schafft sie es, auch diesem schwierigen Thema eine liebevolle Leichtigkeit  zu verleihen. «Kurt», ca. 240 Seiten, S. Fischer Verlag, ab ca. 21.90 bei Orell Füssli

– Sarah Kuttner liest am 5. Mai im Kaufleuten in Zürich 

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«Kurt» heisst das neue Werk von Sarah Kuttner, sie erzählt darin eine brandenbugerische Familientragödie