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Diverse Musikplattform: «Transphobie ist in der Szene die traurige Realität»

LGBTQIA+

Diverse Musikplattform: «Transphobie ist in der Szene die traurige Realität»

Auf der neuen Plattform Music Directory von Helvetiarockt können sich Frauen, inter, nonbinäre und trans Menschen aus der Schweizer Musikwelt registrieren. Das Ziel: Die Plattform soll die Sichtbarkeit fördern und einen Ort schaffen, an dem sich Profis und Laien vernetzen können. Warum braucht es eine solche Plattform? Und was treibt die Personen um, die sich angemeldet haben? Wir haben mit zwei Musikschaffenden gesprochen.

Die Schweizer Musikwelt ist vielfältig und divers: Die neue Plattform Music Directory von Helvetiarockt soll Frauen, inter, nonbinäre und trans Menschen aus der Musikwelt miteinander vernetzen und sichtbarer machen. Die Plattform richtet sich dabei an Laien und Profis gleichermassen und ist ausser für Menschen auf der Bühne auch für Personen vor und hinter der Bühne, in der Tontechnik oder im Booking gedacht.

Der Zürcher Reggae- und Dancehall-Künstler Msoke hofft, mithilfe der Plattform andere Musiker und Musikerinnen zu finden, die wie er selbst trans sind. Im Gespräch mit annabelle erklärt er, inwiefern sein Outing als trans Mann seine Karriere beeinflusste – und was ihm Hoffnung gibt.

Msoke, Reggae- und Dancehall-Künstler:

«Ich bin ein trans Mann und kenne in der Schweiz leider keinen anderen trans Künstler. Music Directory wurde bisher vor allem als Plattform für Frauen vermarktet. Ich hoffe, dass sich durch diese Plattform auch Musikschaffende, die nonbinary, inter oder transgender sind, vernetzen können und sichtbarer werden. Deshalb habe ich mich angemeldet: Ich wollte andere trans Musiker und Musikerinnen finden – auch aus anderen Kulturen.

Neben meiner trans Identität habe ich zusätzlich noch ein kulturelles Problem in der Gesellschaft und kämpfe gegen Rassismus. Das ist ein Zusatzaspekt, mit dem ich im Alltag umgehen muss. Ich engagiere mich deshalb gern für Leute aus anderen Kulturen, wo es ein Problem ist, homosexuell oder transgender zu sein. In vielen Kulturen dürfen sich Menschen aus familiären oder religiösen Gründen nicht outen. Das tut mir sehr weh.

Ich lebe zum Teil von der Musik und bin sonst mit meiner eigenen Textilreinigung selbstständig. Ich glaube, dass ich dadurch eine gewisse Freiheit habe, um über diese Themen zu sprechen. Ich habe das Gefühl, dass das viele nicht können. Aus diesem Grund wollen auch viele nicht mit mir Musik machen. Die Reggae-Szene ist klein – viele können es sich nicht erlauben, mit einer trans Person zu kollaborieren.

Mein Coming-out hat meine musikalische Karriere und mein Privatleben negativ verändert. Ich bin zwar froh, dass ich in der Gesellschaft als Mann gelesen werde, aber einige Menschen haben sich von mir abgewendet. Als Frau hatte ich mich als lesbisch geoutet. Das wurde in der Szene nicht gern gesehen, wurde aber eher belächelt. Als ich mich als trans outete, wurde es echt ernst – und auch gefährlich. Da merkte ich, wie mir nicht nur Männer, sondern auch Frauen den Rücken kehrten und mir Böses wünschten. Das überraschte und verletzte mich sehr.

Ein Beispiel: Ich wollte immer auf einer Reggae-Compilation mit anderen Künstlern sein. Ein Produzent, der meinen Sound mochte, kontaktierte mich und fragte, ob ich bei seinem Compilation-Projekt mitmachen möchte. Ich freute mich sehr darüber – aber ich sagte ihm, dass er für seine eigene Sicherheit den anderen Künstlern mitteilen soll, dass ich auf dem Album dabei bin. Er verstand nicht, warum, und war ungläubig, hörte aber auf mich. Ein paar Wochen später rief er mich an und sagte mir mit einem Kloss im Hals, dass er mich doch nicht aufs Album einladen kann. Der Grund: Wenn ich dabei wäre, würden die anderen Künstler abspringen. Das sitzt immer noch sehr tief. Reggea ist eigentlich eine warme Musik, aber Transphobie ist in der Szene die traurige Realität. Deshalb bin ich weiterhin präsent und setze mich für das Thema ein.

Ich bin ein Workaholic und versuche mich voll in die Arbeit zu stürzen, um den Schmerz zu verdrängen. Manchmal denke ich, mit dem Alter wird es besser – aber eigentlich lernt man einfach, besser damit umzugehen. Ich habe akzeptiert, was ich bin und was ich nicht bin, und trotzdem ist es manchmal eine Belastung. Das macht mich traurig. Ich will mich aber nicht hängen lassen. Was mir Mut gibt, sind die nächsten Generationen.

Es gibt mir Kraft, wenn Jüngere zu mir kommen und sagen, dass sie meine Arbeit schätzen. Vergangenes Jahr hielt ich eine Rede an der Pride. Danach kamen drei Teenager zu mir, die mir von ihren eigenen Erfahrungen erzählten. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, ist so wichtig. Ich will die nächste Generation sensibilisieren. Diese Kids sollen nicht das Gleiche durchmachen wie ich.

Früher fiel es mir schwerer, meine Transidentität in meiner Musik zu thematisieren. Ich wollte dazugehören und hatte das Gefühl, dass ich nicht gross darüber sprechen muss. Mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, an dem es mir egal ist. Ich spreche auf meinem kommenden Album deutlicher darüber, bin lauter und direkter. Mit diesem Album habe ich gemerkt: Es ist mir egal, was andere denken. Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft weniger Angst vor Unbekanntem hat und versucht, einen Dialog zu starten. Ich wünsche mir, dass Menschen anderen nicht mit Vorurteilen begegnen. Es kann so viel Schönes passieren, wenn man sich öffnet.»

Der schweizweit aktive Verein Helvetiarockt setzt sich bereits seit 2009 für eine Erhöhung des Frauen*anteils in der Schweizer Musikbranche ein. Die Luzerner Produzentin und Musikerin Anna Murphy hat sich wie Msoke auf Music Directory angemeldet. Sie sprach mit uns über Sexismus in der Branche und erklärte, dass noch immer viele über Frauen als Produzentinnen verwundert sind.

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Anna Murphy, Produzentin, Sound Engineer und Mitglied der Progressive Folk Band Cellar Darling:

«Ich bin eine Eigenbrötlerin. Als Produzentin müsste ich eigentlich konstant neue Kunden akquirieren und junge Bands und Kunstschaffende ansprechen. Ich tue mich recht schwer damit. Hinzu kommt: Networking ist für alle ein bisschen schwieriger geworden – schon vor der Pandemie. Denn die ganze Welt wird immer lauter und intensiver, alle sind gestresst. Ich glaube, dass uns der wahnsinnige Fortschritt überfordert. Das Internet ist gleichzeitig eine grosse Hilfe beim Networking. Besonders jetzt, wo eh keine Konzerte stattfinden, an denen ich mich mit Kunden vernetzen könnte, ist ein digitaler Space wie Music Directory hilfreich.

Ich finde es cool, dass auf dieser Plattform endlich sichtbar wird, wie viele Frauen, nonbinary, inter und trans Menschen es in der Musikszene gibt. Auf mich kamen schon oft Frauen zu, weil sie gezielt eine Frau als Produzentin suchten oder weil sie dachten, ich sei die einzige Produzentin in der Schweiz. So ist es aber nicht. Mit diesem Tool wird viel klarer, wer überhaupt alles verfügbar ist.

Die Pandemie löste bei mir ein lähmendes Gefühl aus. Als das Ganze anfing, war es schlimm. Uns (Cellar Darling, Anm. d. Red.) sind drei Tourneen weggebrochen, das sind rund achtzig Konzerte, die abgesagt wurden. Mein erster Impuls war: Mach das Beste draus. Ich dachte, dass ich mich auf Songwriting und das Kreativsein fokussiere und bis jetzt schon ein ganzes Album geschrieben hätte. Aber ich muss sagen, dass es nicht so romantisch rausgekommen ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Diese Inspiration, die ich mir erhofft habe, ist nicht da – und das frustriert mich. Ich habe Mühe, mich zu konzentrieren. Die ganze Situation macht einfach allen zu schaffen. Das Leben als Musikerin war schon vor der Pandemie extrem schwierig. Jetzt stelle ich mir schon die Frage: Wie geht es weiter?

Ich will aber nicht zu pessimistisch sein. Ich habe immer was zu tun und arbeite, mische gerade zwei Alben von anderen Bands, habe Studiojobs und unterrichte Gesang, Drehleier und Audioproduktion. Das Kreative macht mir Freude und unsere Fan-Base gibt mir Hoffnung. Die Menschen, die uns unterstützen, wissen, wie schwierig es für uns ist, das ist sehr cool. Man fühlt sich nicht ganz allein. Musik, Kunst allgemein, wird man uns nicht wegnehmen können – auch wenn noch ein schlimmerer Virus kommen würde.

Sexismus in der Branche erlebe ich in der Regel nicht. Ich hatte bis anhin immer Glück. Ich bin umgeben von Menschen, die nicht so drauf sind, hatte nie das Gefühl, dass mich jemand nicht als gleichwertig betrachtet. Mir ist durchaus bewusst, dass ich eine Ausnahme darstelle. Sexismus erleben viele Frauen in meinem Business. Es ist schade, dass wir im Jahr 2020 noch immer darüber reden müssen. Wir müssen alle zusammen daran arbeiten, damit sich das ändert. Wir sind noch lang nicht da, wo wir sein sollten.»

Mehr Informationen über Music Directory finden Sie hier.