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«Ich bin die Chefin»

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«Ich bin die Chefin»

  • Interview und Foto: Kerstin Hasse  

Auf einen Drink mit Sheila Lopardo. Als Barchefin im «Acid» an der Zürcher Langstrasse steht sie abends hinter dem Tresen. Wir haben mit ihr über Sturheit und Sexismus gesprochen und nach dem Rezept für einen sommerlichen Tom Collins gefragt.   

annabelle.ch: Sheila Lopardo, bis zu Ihrem 23. Lebensjahr stand für Sie das Tanzen im Zentrum. Heute sind Sie mit 30 Jahren die Mitinhaberin und Geschäftsführerin von zwei Bars in Zürich: Der «Sport Bar» und dem «Acid». Kann man die Arbeit in einer Bar mit einem Auftritt auf der Bühne vergleichen?
Sheila Lopardo: Ich denke schon – vor allem, wenn man in einem kleinen Betrieb arbeitet. In dem Moment, in dem du hinter dem Tresen stehst, bist du die Bar. Man muss selbstbewusst sein und im Mittelpunkt stehen können. Man bekommt ein direktes Feedback, das finde ich toll. Ich weiss, dass ich in meinem Leben immer eine Leidenschaft brauche, und die habe ich in der Gastronomie gefunden – diese Arbeit hat mir das Tanzen ersetzt.

Wie sind Sie in der Gastronomie gelandet?
Durch grosse Umwege. Ich hätte nie gedacht, dass ich in dieser Branche eine Zukunft habe – ich meine auf eine seriöse Art, nicht einfach als Nebenjob. Ich habe zuvor mein ganzes Leben mit dem Tanzen verbracht, ich habe professionell Ballett, Modern, Contemporary und Jazz getanzt. Ich habe fünf Jahre in New York gelebt und konnte mein Leben mit dem Tanz finanzieren. Ich stand für diverse Produktionen auf der Bühne, habe unterrichtet und Choreografien für Shows und den Laufsteg konzipiert. Mit 23 fand ich: Okay, ich muss noch was anderes sehen im Leben. Ich habe dann in einer Werbeagentur gearbeitet, aber der Job erfüllte mich nicht. Nach zwei Jahren schaute ich mich nach etwas anderem um und landete in der «Sport Bar». Die Stelle war perfekt: Ich wohne nur zwei Minuten entfernt, konnte also jeden Abend zur Arbeit spazieren. Den Tag über hatte ich frei – keine Kunden, die etwas von einem wollten. Keine Verpflichtungen, das fand ich toll. Da ich aber ein Mensch bin, dem schnell langweilig wird, hielt diese Phase nicht lang an. Ich wollte mehr Verantwortung.

Und die erhielten Sie.
Ja. Ich habe viel Zeit in die «Sport Bar» investiert, Cocktails waren damals gerade im Kommen, und diesen Trend wollte ich aufnehmen. Das hat auch funktioniert. Ich habe natürlich bedeutend weniger verdient als vorher in der Agentur, aber das war mir egal. Ich habe mich so wohl und frei gefühlt wie noch nie. Kurz darauf war ich zusammen mit Kaspar Fenkart in der Geschäftsführung, und noch ein bisschen später wurde ich Mitinhaberin.

Sie hatten also schon eine eigene Bar, warum auch noch das «Acid»?
Ich hatte schon länger im Hinterkopf, etwas Eigenes zu machen. Wir hatten die «Sport Bar» vor zwei Jahren komplett umgebaut. Das war ein neues Kapitel für die Bar, das wir gestalten durften. Dann wurde die Lokalität an der Langstrasse frei, und ich war sofort interessiert. Es ist kleines Lokal. Das finde ich gut, denn einem kleinen Betrieb kann man eine grosse Seele geben. Ich wusste, dass ich etwas von Grund auf schaffen will. Den Prozess des Aufbaus erleben, Blut schwitzen, auf den Ämtern die Bewilligungen einholen – alles lernen, was dazugehört.

Und wie viel Blut schwitzten Sie?
Ich bin ein sehr positiver Mensch, aber es gab Situationen, die waren so haarsträubend und schwierig, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ich bin immer wieder an meine Grenzen gestossen. Leider gab es Missverständnisse mit dem Vermieter und wir konnten erst zwei Monate später eröffnen, alles verzögerte sich, und da musste ich das Team zusammenhalten. Ich bin ein Mensch, der nicht aufgibt. Einerseits lässt das mein Stolz nicht zu, andererseits meine Sturheit und meine Verbundenheit zu allem, was ich anfange.

Sie führen das «Acid» als Hauptinhaberin zusammen mit drei männlichen Partnern. Die Zürcher Gastroszene wird von Männern dominiert – Sie als Frau stechen da heraus.
Es gibt tatsächlich viel weniger Frauen, die auf der Inhaberseite stehen. Wenn Frauen in den Betrieben eine leitende Funktion haben, dann meist in der Geschäftsführung.

Woran könnte das liegen?
Gute Frage. Ich weiss nicht woran das liegt, aber es wäre toll, wenn es sich ändern würde. Ich kenne einige Powerfrauen, die in den Startlöchern stehen und ich hoffe, dass sich in der Szene bald etwas tut. Was die Business-Seite betrifft in der Stadt Zürich, ist es weder ein Vorteil, noch ein Nachteil wenn man eine Frau ist. In der Geschäftswelt werde ich vielleicht auf meine Rolle angesprochen, blöde Sprüche muss ich mir aber nicht anhören. Bei der Kundschaft ist das anders, dort wird viel eher mal eine Bemerkung fallen gelassen.

Zum Beispiel?
Es gibt ein Problem mit einem Gast, und ich versuche, das zu klären. Dann sagt der Gast zu mir: Hol mal deinen Chef! Dass er auch mit mir reden kann, will er nicht hören. Also erkläre ich ihm: Hör zu, ich bin die Chefin, red mit mir. Es gibt tatsächlich Leute, die glauben einem das einfach nicht. Oder es gibt Gäste, die denken, du hast nichts auf dem Kasten. Das liegt aber nicht nur an Sexismus, sondern auch daran, dass in der Schweiz viele Leute in der Gastronomie arbeiten, die tatsächlich wenig Ahnung von der Materie haben. Viele Studenten sind in der Gastronomie tätig – das ist okay, aber viele von ihnen werden nicht geschult, und darunter leidet die Ernsthaftigkeit der Branche.

Gehört Sexismus zum Alltag hinter der Bar?
Anzüglichkeiten und Sexismus sind leider immer wieder Teil meines Jobs. Je später der Abend, desto mehr Alkohol fliesst, und dann fallen manchmal Sprüche, die etwas unangebracht sind. Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich sage dann: Hey, wenn du mir auf der Strasse begegnest wärst, hättest du das Gleiche gesagt? Zum Glück sind solche Gäste im «Acid» und in der «Sport Bar» selten.

Müssen Sie sich hinter der Bar mehr beweisen als Ihre männlichen Kollegen?
Das glaube ich nicht. Was mich aber nervt: Wenn ich hinter dem Tresen stehe, umgeben von Männern an der Bar, und zum Beispiel ein Zapfen in der Flasche feststeckt, will mir immer gleich jemand helfen. Das nervt mich total. Ich zeig nicht gern Schwäche, das war schon immer so.

Mussten Sie sich eine dicke Haut zulegen für die Langstrasse?
Nein, die dicke Haut hatte ich schon – zum Glück. Wenn ich die nicht hätte, wäre ich wohl heute nicht da, wo ich bin. Man muss klar sagen, was Sache ist. Für mich gilt: Wenn mir jemand auf der persönlichen Ebene zu nahe tritt, dann darf er von mir auch keine Zuneigung erwarten. Dann stelle ich die Person raus, da habe ich keine Skrupel.

Wie haben Sie sich Ihr Wissen über Cocktails angeeignet?
Das habe ich mir selbst beigebracht. In der «Sport Bar» hat diese Leidenschaft begonnen, zuerst habe ich nur für mich selbst gemixt, dann gab ich mal einen Drink einem Kollegen, und so hat sich das weiterentwickelt. Der Grand Classico Smash war der erste Cocktail, der auf der Karte landete, den ich von A bis Z konzipierte. Und er ist bis heute einer der beliebtesten Drinks der «Sport Bar». Ich lese viel, bilde mich weiter. Ich interessiere mich auch für Wein und Bier und nehme immer wieder an Degustationen oder an Seminaren teil.

Vor ein paar Wochen habe ich in der «Sport Bar» den Aperol Cooler probiert – ebenfalls ein Cocktail, den Sie konzipiert haben. Ich war begeistert, der Drink schmeckt wie Sommer im Glas.
Ja, diesen Cocktail mag ich auch sehr – obwohl ich kein Fan von Aperol bin. Der Aperol Spritz hat so einen Megahype erlebt vor ein paar Jahren. Ich finde Aperol in Kombination mit Prosecco aber extrem langweilig, der Geschmack von beiden Komponenten fällt in der Mischung zusammen. Ein Gast hat aber immer Aperol Spritz bestellt, und als sie irgendwann fragte, ob ich nicht was anderes machen kann, nahm ich die Herausforderung gern an. Aperol, Zitro, Pfefferminze und Zitronensaft sind im Aperol Cooler – diese Kombination macht den Drink so fruchtig und gibt dem Aperol eine schöne Bühne. Das liebe ich am Kreieren von Cocktails: Man kann mit den Zutaten spielen. Eine Spirituose mag in einer Kombination total langweilig sein und in einer anderer aufblühen.

Was inspiriert Sie beim Konzipieren?
Es kann sein, dass ich eine Spirituose probiere und denke: Das ist ein schöner Geschmack, den möchte ich nutzen und weiterentwickeln. Oder wir brauchen eine neue Limo für den Sommer – dann experimentiere ich bewusst in diese Richtung weiter. Oder wir haben sehr viel Pfefferminze, dann mache ich einen Sirup und aus diesem wiederum einen Drink. Ich will nicht, dass wir verschwenderisch mit Lebensmitteln umgehen.

Was sind zurzeit die Trends in Sachen Spirituosen?
Qualität und Herkunft sind besonders wichtig heute. Die Leute fragen: Was kommt in meinen Drink? Ist der Zitronensaft frisch oder ein Konzentrat aus dem Fläschchen. Macht ihr den Sirup selber? Die Gäste interessieren sich extrem für die Produkte, das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Heute trinken schon junge Leute auf hohem Niveau. Früher hat man sich an der Tankstelle einen Bacardi Breezer geholt und war safe für den Abend. Jetzt bestellen Mittzwanziger einen Espresso und fragen: Habt ihr einen Grappa oder einen Fruchtbrand dazu? Das überrascht mich schon. Aber es macht natürlich auch Freude. Die Leute wollen etwas Gutes konsumieren, das finde ich schön. Was Cocktails betrifft, beobachte ich, dass der Gin wieder kommt. Für ein paar Jahre war er etwas in den Hintergrund gerückt, jetzt trinken die Leute wieder gern einen guten Gin Tonic. Ich glaube, dass all die bunten Drinks aus den 90ern verschwinden werden. Wir kommen weg von all den Sachen, die zu süss sind, zu künstlich. Die Leute stehen auf Drinks, die sehr simpel sind. Wenig Zutaten, drei vier Komponenten. Wie ein Negroni oder ein Tom Collins. Einfach und gut.

Rezept für Tom Collins

«Ein einfacher und frischer Sommercocktail. Die klassische Deko wäre eine Cocktailkirsche – ich finde jedoch, dass die Zitronenzeste den Drink viel spritziger macht und so bleibe ich dem Klassiker nicht zu hundert Prozent treu.»

Zutaten:

5cl Gin

3cl frischer Zitronensaft

2cl Zuckersirup (Rezept dazu unten)

6cl Soda

Zitronenzeste für die Deko

Zubereitung:

Gin, Zitronensaft und Zuckersirup in einem Glas über die Eiswürfel giessen und gut verrühren. Mit Soda auffüllen, mit einer Zitronenzeste abspritzen und garnieren. 

«Wer Gin nicht mag, kann die Grundspirituose durch Wodka ersetzen. Dann entsteht ein Wodka Collins – ebenfalls sehr lecker und frisch.»

 

Rezept für Zuckersirup

«Den Sirup gibt es auch im Supermarkt zu kaufen, ich mische ihn jedoch immer selbst an. Denn so habe ich die Kontrolle über das Verhältnis zwischen Zucker und Wasser, das ich für meine Drinks brauche.»

Zutaten:

1kg Kristallzucker

7dl kochendes Wasser

Zubereitung:

Wasser und Zucker in eine Pfanne geben, aufkochen und anschliessend bei schwacher Hitze köcheln lassen, dabei ständig umrühren, bis der Zucker vollständig aufgelöst ist. Den Sirup abkühlen lassen und mit Hilfe eines Trichters in eine saubere Glasflasche abfüllen. Im Kühlschrank aufbewahren.