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«Werbewoche»-Interview mit annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli

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«Werbewoche»-Interview mit annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli

  • Interview: Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin Werbewoche

Nachgefragt: Die Werbewoche sprach mit Annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli über die Hintergründe der ­neuen Kampagne und ihren Glauben an Print.

Werbewoche: Silvia Binggeli, Sie sind am 1. Juli 2015 zwei Jahre Chefredaktorin der Annabelle. Haben Sie die Kampagne auf dieses Datum getimt?
Silvia Binggeli: Das war nicht so geplant, passt aber dennoch gut. Es brauchte einfach ein wenig Zeit, alles aufzugleisen. Im vergangenen Jahr haben wir eine Leserschaftsstudie gemacht, die uns wichtige Erkenntnisse über unsere Leserinnen verschafft hat. Wir kombinieren Hintergrundberichte, gesellschaftspolitische Themen mit Lifestyle, das ist im deutschsprachigen Raum unter den Frauenzeitschriften mittlerweile einzigartig. Dazu gehört zum Beispiel eine Reportage über eine Gerichtszeichnerin in Guantánamo, eine Reportage über junge Frauen, die in den Jihad ziehen, ein Bericht zum Lehrplan 21 oder zur Mindestlohninitiative. Daneben wünschen unsere Leserinnen aber auch alltagsnahe Themen wie: Liebe, Familie, Job, Mode, Schönheit. Die Herausforderung ist aber, solch klassische Themen spannend umzusetzen; vor banalen Themen darf man keine Berührungsangst haben, man darf sie nur nicht banal umsetzen.

Wie ist denn die Entwicklung der Leserzahlen bei der Annabelle?
Die sind gerade herausgekommen und leider nicht erfreulich – wie überall. 2013 hatten wir einen kleinen Aufschwung, wir konnten rund 2% Leser gewinnen. Leider keine dauerhafte Tendenz. Aber auch dieses Jahr haben wir weiter Leser verloren – von 242 000 auf 222 000 – das ist nicht schön. Aber bei unseren Wettbewerbern war der Rückgang teilweise noch stärker, sodass man diesen Verlust relativieren muss. Das ist eine strukturelle Entwicklung. Es liegt nicht am Produkt. Dennoch müssen wir den Leserverlust analysieren und ihm entgegenwirken.

Mit einer neuen Kampagne?
Die neue Kampagne gehört natürlich auch zu den Massnahmen, mit denen wir Leserinnen binden und neue gewinnen wollen.

Die Sujets der neuen Kampagne zeigen alle Frauen, zum Teil mit ihren Söhnen. Erwachsene Männer zeigen Sie nicht – obwohl ja bekannt ist, dass die Annabelle auch männliche Leser hat. Warum?
Wir haben sogar ziemlich viele männliche Leser, immerhin 18%. Wir haben kürzlich sogar ein Männer-Special herausgegeben, ein ganzes Heft nur für den Mann. Ich bin total dafür, dass wir auch Kampagnensujets mit Männern haben – denn wir mögen Männer, wir brauchen sie, um gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, beispielsweise bessere Rahmen­bedingungen für berufstätige Mütter zu schaffen. Unbedingt. Wir haben über diesen Aspekt diskutiert, letztlich aber entschieden, dass wir in der ersten Welle nur Frauen zeigen. Die Männer kommen aber noch.

Die Frauen auf den Kampagnensujets sind alle gut gestylt. Gibt es auch die verschlafene Annabelle-Leserin mit verstrubbelten Haaren, ungeschminkt und vielleicht ein wenig schlecht gelaunt? Und wäre die nicht besser geeignet, um Nähe zu Ihren Leserinnen herzustellen?
Klar gibt es die, wir sind ja alle so: Morgens verschlafen und manchmal schlecht gelaunt. Nur soll man das inszenieren? Ich denke nicht. Unsere Kampagne soll ja Lust auf die Annabelle machen und Freude vermitteln. Anders ist es im Heft selber, bei den Geschichten und Reportagen. Dort kommt die schlecht gelaunte, vielleicht verzweifelte, aber auch die engagierte, kritische Leserin selbstverständlich vor. Natürlich wäre es auch ein Ansatz für unsere Kampagne gewesen, ungestylte Frauen in ihrem Lieblingsrückzugswinkel zu zeigen. So wird die Annabelle oft konsumiert, das zeigen die Rückmeldungen, die wir bekommen. Aber unsere Leserinnen wollen hin und wieder auch eine schöne Welt sehen, inspiriert und zum Träumen angeregt werden. Thematisch dagegen holen wir sie in ihrer realen Welt ab. In meinen Editorials werde ich deshalb oft persönlich, erzähle von meiner Welt, wenn ich gerade erwacht und noch verstrubbelt bin.

Welches Sujet spricht Sie selbst am meisten an?
Ich habe die Entstehung der gesamten Kampagne eng begleitet und das Zustandekommen jedes Sujets mit verfolgt. Deshalb hänge ich an jedem einzelnen Motiv. Ich finde toll, dass die Frauen im Mittelpunkt der Kampagne stehen, in ihrer ganzen Vielfalt, mit verschiedenen Altern, Typen, Wünschen, Welt­anschauungen. Frauen haben es verdient, einmal so in all ihrer Vielfalm Zentrum zu stehen. Ich bin sehr stolz auf das Gesamtwerk.

Durch die Persönlichkeiten, die die Kampagne zeigt, spielen Sie mit Rollenbildern: Die schwangere Mutter mit raspelkurzen Haaren, die sich hinter dem Herd am wohlsten fühlt, die Junge mit pink gefärbtem Schopf, die die Weltherrschaft übernehmen will. Nun strebt die Generation Y aber offenbar wieder nach alten Mustern: Sie verwirklicht sich hinterm Herd, er macht Karriere. Wie passt so etwas in Ihre Kampagne?
Wir hatten eine Story im Heft, bei der es darum ging, dass Karrierefrauen wieder an den Herd zurückkehren, weil ihnen die Doppelrolle zwischen Mutterschaft und Karriere zu viel wird und die Infrastruktur einfach nicht stimmt. Oder banal: Weil sie Lust darauf haben. Verrückt ist, dass man sich dafür nun auch wieder rechtfertigen muss. Dabei ist doch das Schöne, dass wir uns freier denn je entscheiden können, was wir machen wollen und was nicht. Und das wollen wir mit der Kampagne bewusst machen und auch zelebrieren. Das Konzept der Kampagne lässt es zu, weitere Sujets zu ergänzen. Doch nun werden erst mal die elf Sujets laufen und wir schauen, wie die Kampagne ankommt.

Wird die Kampagne, die Suche nach mehr Nähe zur Leserin, auch etwas am Magazin verändern?
Inhaltlich haben wir von dieser Nähe schon sehr viel umgesetzt. Wir wollen das aber nun auch noch kommunizieren. Der Brand Annabelle ist ein Riesenwert, jeder in der Schweiz kennt die Annabelle, die Grossmutter und die Mutter hatten die Annabelle schon abonniert, wir haben sehr loyale Leser. Das ist aber auch eine Herausforderung. Denn die Jungen haben einen Brand im Kopf, der Grosi und Mami schon begleitet hat – dann ist er wahrscheinlich etwas altbacken und nichts für mich. Wir müssen also auch jüngere Leserinnen dazu bringen, das Heft aufzuschlagen. Deshalb ist es bei der neuen Kampagne wichtig, dass Leserinnen jeden Alters gezeigt werden.

Junge und Print – glauben Sie daran?
Ja, das wird zwar je länger, desto schwieriger, aber wir sind gar nicht so schlecht dabei: Die Jungen zwischen 18 und 30 machen einen beachtlichen Anteil unserer Leserschaft aus, bei den 30- bis 40-Jährigen können wir noch zulegen und oben sind wir wieder recht stabil. Die Jungen holt man natürlich vor allem über Online und Social Media zur Marke Annabelle. Deshalb überarbeiten wir gerade unser digitales Angebot. Dennoch glaube ich, dass die Vielfalt der Kommunikationsmöglichkeiten, die wir heute haben, dazu führen wird, dass man zur Abwechslung sehr gern wieder ein Heft in die Hand nimmt. Und im Segment Frauenzeitschriften wird Print mit seiner Haptik bedeutend bleiben, bedingt durch die Situationen, in denen man sie liest. Natürlich brauchen wir ein serviceorientiertes Onlineangebot und ein E-Paper. Man darf vor der technologischen Entwicklung nicht die Augen verschliessen. Aber bei Maga­zinen hysterisch den Untergang von Print zu predigen, führt auch zu nichts.

— Dieses Interview erschien ursprünglich in der Werbewoche.