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Bloggerin Mirjam Herms über das Reisen als Frau

Reisen

Bloggerin Mirjam Herms über das Reisen als Frau

  • Text: Miriam Suter
  • Fotos: Mirjam Herms (1), FreeImages/Margarit Ralev (1)

Im Februar wurden zwei junge Frauen, die zusammen durch Südamerika reisten, getötet. Muss man sich als Frau vor Solo-Reisen fürchten? Wir haben mit der digitalen Nomadin Mirjam Herms darüber gesprochen.  

Die beiden argentinischen Freundinnen María Coni (22) und Marina Menegazzo (21) reisten seit Anfang des Jahres zusammen durch Südamerika. Ende Februar fand man ihre Leichen am Strand der ecuadorianischen Partymetropole Montañita (tagesanzeiger.ch berichtete). Den beiden jungen Frauen soll das Geld ausgegangen sein. Daraufhin seien sie bei zwei Männern untergekommen, die ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten hatten. Noch in derselben Nacht wurden Coni und Menegazzo von ihnen getötet.

Nach diesem Vorfall veröffentlichte BBC ein Interview mit dem prominenten argentinischen Psychiater Hugo Marietán, der die Frage aufwarf, weshalb sich die beiden Frauen auf ein solches Risiko einliessen. Er implizierte mit dieser Aussage ein Selbstverschulden der beiden Mordopfer. Die Reaktionen auf Twitter liessen nicht lange auf sich warten. Weltweit begannen Frauen unter #viajosola von ihren Erfahrungen auf Reisen zu berichten und ihr Recht auf selbstbestimmtes Reisen zu verteidigen.

Auch Mirjam Herms reist oft allein. Die 25-Jährige ist Bloggerin und Marketingberaterin. Ende 2015 machte sie sich zu einer Reise ohne bestimmtes Ziel oder festgelegter Dauer auf – allein. Mit uns hat sie darüber gesprochen, wo die Grenzen der Selbstbestimmung beim Reisen liegen.

annabelle.ch: Sie reisen viel allein. Was lösen Nachrichten, wie die der beiden jungen Frauen, bei Ihnen aus?
MIRJAM HERMS:  Ich lese solche Berichte gar nicht mehr. Das ist nur Angst, die künstlich generiert wird. Aber ich kann ja selbst entscheiden, was ich lese. Und wenn wir News nicht so suchtmässig konsumieren würden, bräuchte es solche Clickbait-Geschichten auch nicht. Natürlich beeinflussen uns die Medien. Genau deshalb sollten wir auch nicht so unglaublich viel Müll konsumieren. Wir haben ja gar keine Zeit über alles nachzudenken und uns eine Meinung zu bilden. Und dann lesen wir in einer Headline «Backpacker umgebracht – selber schuld?», lesen den Artikel in zwei Minuten, dann noch eine Minute die Kommentare und dann müssen wir schon eine Meinung zu dem Thema haben. Zuerst ist man entsetzt, dann will man die Opfer nicht beleidigen, dann hat man Mitgefühl, dann denkt man sich «Sind sie vielleicht wirklich selbst schuld?», obwohl man das nicht darf.

Haben Sie sich schon einmal unwohl gefühlt, weil Sie ohne Begleitung unterwegs waren?
Nein. Ich bin generell keine ängstliche Person und liebe es, allein zu reisen. Bisher habe ich keine negativen Erfahrungen gemacht, die sich in meinem Gedächtnis festgesetzt haben.

Können Sie nachvollziehen, wenn Frauen Bedenken haben, allein zu reisen?
Ich habe ein paar Leute in meinem Freundeskreis, die sich nicht trauen, allein zu reisen. Das sind aber Männer und Frauen. Ich denke, dass es hauptsächlich daran liegt, dass man nicht mit sich selbst allein sein möchte. Diese Tatsache wird dann mit der «Angst vor einem fremden Land» gerechtfertigt. Diese Angst würde jedoch nicht bestehen, wenn man tatsächlich mal allein reisen würde. Sie entsteht wohl meist aus Horrorgeschichten, die man täglich liest. Ich kann Bedenken nachvollziehen. Sie gehören jedoch zum Reisen dazu.

Die beiden Frauen waren ja nicht allein. Sie waren zu zweit. Macht uns das «Ohne Mann sein» zum «Allein sein»?
Ich hatte genau den gleichen Gedanken. Zu zweit reisen ist halt einfach nicht allein. Aber vielleicht sogar gefährlicher, da sich jede Person auf die andere verlässt und man sich eventuell bei dummen Entscheidungen mitreissen lässt. In Ägypten zum Beispiel ist es schon eher ungewöhnlich, wenn man ohne einen Mann reist. Ich bin momentan in Italien und hier ist das überhaupt keine Frage. Aber das ist ja nichts Neues. Für mich sind zwei reisende Freundinnen nicht Alleinreisende.

Es ist sicherlich auch eine Frage der Kultur des Landes, in dem man unterwegs ist.
Genau. Frauen sind in orientalischen Ländern allein wahrscheinlich unsicherer als mit einem Mann an ihrer Seite oder in einer Gruppe. Männer werden in Asien jedoch leichter von Prostituierten ausgeraubt. Und vor 20 Jahren war es bestimmt auch in Italien noch merkwürdig, als Frau allein zu reisen. Die Frage ist natürlich auch, ob man überhaupt in gewisse Ländern reisen muss oder sollte. Und sowieso gilt: Andere Länder, andere Sitten. Wenn wir uns bewusst dafür entscheiden, in ein gewisses Land zu reisen, müssen wir wohl oder übel eine Teilschuld an den möglichen Konsequenzen auf uns nehmen. Schlussendlich sind wir die reichen Schweizer, die ein Abenteuer erleben wollen. Wir als reiche Touristen machen gewissen Ländern nicht immer einen Gefallen mit unseren Ferien. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Also hat die Selbstbestimmung – egal ob für Frauen oder Männer – beim Reisen Grenzen.
Ja, absolut.

Was halten Sie von der #viajosola-Kampagne auf Twitter, bei der Frauen von ihren Erfahrungen vom Solo-Reisen berichten und fordern, gefahrenlos reisen zu können?
Ich finde es schön, dass auf Twitter jetzt Mut gemacht wird für das Alleinreisen. Man muss nicht immer nur Horrorgeschichten teilen. Ich denke jedoch, dass die Medien diese Story der beiden Argentinierinnen ausgeschlachtet haben, um zwei hübsche Frauen als Opfer darzustellen und somit Klicks zu generieren.

Wenn die beiden Opfer Männer gewesen wären, die von zwei Frauen umgebracht worden wären – wäre die Berichterstattung eine andere gewesen?
Ich denke schon. Dann würden wir «Crazy Mafia Bitches» als Titel über dem Artikel lesen. Es wäre schön, wenn Journalistinnen und Journalisten im Jahr 2016 ihre Geschichten, unabhängig vom Geschlecht der Betroffenen, neutral formulieren würden. Aber egal ob Frau oder Mann: Man trägt immer die Verantwortung für die eigenen Handlungen. Und wenn man mit fremden Menschen in Ecuador mit nach Hause fährt, ist man selbst für die Konsequenzen verantwortlich.

Auch für den eigenen Tod?
Es klingt schrecklich, aber ja. Es ist keine Frage der Fairness. Wären sie nicht mitgegangen, wäre das nicht passiert.

Aber es wäre auch nicht passiert, wenn die beiden Männer sie nicht umgebracht hätten.
Ja, aber diese Entscheidung lag nicht ihn der Macht der beiden Frauen. Nur die Entscheidung mitzugehen oder eben nicht.

Wo ist die Grenze zum Victim Blaming?
Wenn man dieses Thema diskutieren möchte, wird automatisch über Schuld gesprochen. Da kommt man einfach nicht drumherum. Wenn ich diese Story lese, dann habe ich Mitgefühl für die Familien und hoffe, dass die Täter eingesperrt werden. Wenn ich aber darüber diskutiere, komme ich nicht umhin, auch den Opfern eine Teilschuld zuzusprechen. Und ich finde, dass wir auch diese Sichtweise brauchen. Wir können nicht einfach die Augen verschliessen und auf bessere Zeiten hoffen. Es ist wichtig, dass man im eigenen Leben die Verantwortung für die eigenen Taten übernimmt. Wer sich an dieser Diskussion beteiligt, schärft somit auch seine Sinne. Und wenn man in einem fremden Land eine fremde Person kennenlernt und sich vielleicht nicht 100 Prozent wohlfühlt, denkt man an diese Diskussion zurück und bleibt noch für eine Nacht im Hotel.

Das Gefühl für Risiko und Gefahr ist sehr subjektiv.
Ich weiss nicht was die beiden jungen Frauen gefühlt und erlebt haben. Die Gefahr ist einfach gross, dass durch solche Aktionen eine sehr gefährliche Lebenseinstellung entsteht. Und zwar: «Ich kann allein reisen, wohin ich will und ich muss nicht aufpassen. Denn die anderen tragen die Schuld, wenn mir etwas passiert». Und ich bin ganz klar gegen diese Meinung.

Die 25-jährige Mirjam Herms reist seit Dezember 2015 durch Europa. Auf ihrem Blog «Little Adventures» berichtet sie von ihren Erlebnissen als digitale Nomadin und gibt Tipps, wie man ein Leben ohne festen Wohnsitz und Arbeitsplatz gestalten kann.