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Ein Oscar für Chancengleichheit

Leben

Ein Oscar für Chancengleichheit

  • Text: Jennifer Bosshard; Foto: Getty Images

Weil dieses Jahr alle Oscaranwärter weiss sind, hält sich die Rassismusdebatte derzeit hartnäckig in den Medien. Was ist dran an den Vorwürfen? annabelle-Praktikantin Jennifer Bosshard hat sich Gedanken gemacht.

Die diesjährige Bekanntgabe der Oscarnominationen sorgte für Aufruhr. Grund dafür ist die Tatsache, dass alle 20 Nominierten für die beste Filmrolle weiss sind. Nicht ein einziger afroamerikanischer Schauspieler wurde nominiert. In den sozialen Medien hagelt es Kritik an der Academy, und diverse Promis kündigen derzeit den Boykott der Preisverleihung Ende Februar an. Jada Pinkett Smith (siehe Video), Spike Lee, George Clooney und Michael Moore sind nur einige der vielen Berühmtheiten, die seit der Bekanntgabe öffentlich Stellung bezogen. Und da ist es wieder in aller Munde, dieses abscheuliche Wort, dessen Existenz ein trauriges Zeugnis menschlicher Grausamkeit ist: Rassismus.

We must stand in our power!

We must stand in our power.

Posted by Jada Pinkett Smith on Montag, 18. Januar 2016

 

Aber kann man der Academy, deren Präsidentin Cheryl Boone Isaacs afroamerikanischer Herkunft ist, tatsächlich Rassismus vorwerfen? Wurden die Kreativen of colour absichtlich nicht beachtet aufgrund ihrer Hautfarbe? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man im 21. Jahrhundert als öffentliche Organisation und als Veranstalter der grössten und wichtigsten Preisverleihung Hollywoods tatsächlich noch so rückständig sein und die Leistung eines Menschen aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht wertschätzen kann. Gleichzeitig begebe ich mich mit dieser Behauptung in die Höhle des Löwen.

Das grosse Kino handelt von weissen Menschen

Die fehlende Nomination von Idris Elba etwa, gab zu reden. Er überzeugte mit einer hervorragenden schauspielerischen Leistung im Kriegsfilm «Beasts of No Nation». Auch Spike Lees satirisches Filmdrama «Chi-Raq» blieb unbeachtet. Der Grund dafür liegt aber, wie ich vermute, nicht in der Tatsache, dass die beiden Künstler dunkelhäutig sind, sondern dass beide Produktionen in alternativen Formaten erschienen sind. «Beasts of No Nation» ist eine Netflix-Produktion und «Chi-Raq» eine Produktion der Amazon Studios, die nur in ausgewählten Kinos gezeigt wurde. Es sind keine Mainstream-Kinofilme, und damit wären wir beim eigentlichen Problem. Im Gegensatz zu der schnelllebigen TV-Branche, in der Minderheiten gut vertreten sind, bleibt die Filmindustrie tendenziell konservativ und passt sich nur schleppend den modernen Umständen an. Das führt auf vielen Ebenen zu Widerstand. Zudem handeln die meisten grossen und guten Filmproduktionen, die von der Academy Beachtung finden, von weissen Menschen. Die Filmbranche mindert in zweierlei Hinsicht die Chancen für Minderheiten, in der Industrie Fuss zu fassen: einerseits mit einem Mangel an Rollen in grossen Kinoproduktionen und im Zuge dessen andererseits auch mit der fehlenden Wertschätzung von Nischenproduktionen. Genau hier muss sich etwas ändern, nur dann öffnen sich die Türen für Vielfalt. Der Vorwurf an die Academy of Motion Picture Arts sollte also nicht lauten, rassistisch zu handeln, sondern vielmehr, extrem unangepasst an soziale und technologische Entwicklungen zu sein.

Die Academy ergreift Massnahmen

Die Academy-Präsidentin erklärte kürzlich in einem offiziellen Statement, dass die Academy bis 2020 die Zahl der Frauen und Angehörigen von Minderheiten unter ihren Mitgliedern verdoppeln will, um zukünftig ein breiteres Interessenfeld abzudecken und Vielfalt zu generieren. Dieser Entschluss wirkt auf den ersten Blick durchaus sinnvoll, allerdings wirft er auch die Frage auf, wie das konkret aussehen soll. Werden Mitglieder nun gewählt, weil sie einer bestimmten Minderheit angehören? Zugehörigkeit vor Qualifikation? Dies wäre wiederum diskriminierend. Das Auftreten als geschlossene Gruppe, als Minderheit ist doch im Endeffekt genau das, was andere dazu bewegt, jemanden darauf zu reduzieren. Eine eher kontraproduktive Entwicklung also, die wohl vielmehr zu Abgrenzung als zu Integration führen wird. Es sollte bei den Oscars schliesslich nicht darum gehen, Künstler aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu berücksichtigen, sondern darum, eine überragende individuelle Leistung entsprechend zu würdigen. Ich bin überzeugt, dies ist auch im Sinn aller Künstlerinnen und Künstler. Die aktuell nominierten Schauspielerinnen und Schauspieler haben ihre Nomination allesamt verdient. Ihre Konkurrenz wäre aber sicherlich einiges stärker gewesen, wenn in der Filmbranche endlich Chancengleichheit für alle herrschen würde.