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Geschichten für den Frühling

Leben

Geschichten für den Frühling

  • Redaktion: Silvia Binggeli; Foto: Flavio Leone

annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli über ihre Leidenschaft für Geschichten und wie sie in einem Pariser Innenhof unerwartet eine schöne erfuhr.

Kürzlich, während der Modeschauen in Paris, flanierte ich die Rue du Faubourg Saint-Honoré hinunter, um den Kopf zu lüften. In der Nähe des Élysée-Palasts lud das Schild einer Parfumerie in den Innenhof; da ich schöne Düfte liebe, folgte ich dem Schild und stand kurz darauf vor einem süssen Laden, kaum grösser als eine Stube. Ich studierte die hübschen Flacons in der Auslage, als mich die Verkäuferin in den Laden plauderte, keine Widerrede. Sie erzählte mir eine bezaubernde Geschichte:

Über diesem Laden hatte einst Monsieur Albert einen Coiffeursalon geführt, wo er auch seine spätere Frau Rose kennen lernte. Rose, Tochter aus gutem Hause, war 1940 mit ihrer Mutter nach Paris gekommen. In Kriegszeiten musste sie die Familie miternähren. Um ihre Mutter zu ärgern, suchte sich die 16-Jährige, die Pianistin hatte werden wollen, eine Arbeit, die ihre Hände so beanspruchen würde, dass sie «plus jamais!» Klavier spielen konnte: Shamponeuse im Salon von Monsieur Albert. Er machte ihr später einen Antrag, ohne dass sie jemals aus gewesen waren.

Albert richtete ihr im Sousol eine Boutique für Accessoires und Kosmetik ein. Im Kellerlabor kreierte der ausgebildete Chemiker für seine Rose ein Parfum, das ihren Namen trägt. Sie verkaufte den Duft bis in die Achtzigerjahre erfolgreich.

Vor kurzem beschlossen die Töchter von Rose und Albert, das Parfum neu zu lancieren. Et voilà, hier standen wir nun, im Sousol des geschlossenen Coiffeursalons, wo einst alles begonnen hatte. Die Verkäuferin sprühte mich mit dem Parfum ein und sagte, ich solle mir in Ruhe überlegen, ob ich eins haben möchte. Natürlich wollte ich diese Geschichte im Flacon mitnehmen! Ich gab Grüsse für die Töchter mit und sagte, sie könnten stolz sein, mit ihr eine solch überzeugende Botschafterin im Laden zu haben. Sie drückte mir das Säckli in die Hand, schmunzelte und antwortete: Das richte ich gern aus, in der Tat, jetzt gleich, wissen Sie, ich bin eine der Töchter.

Zufrieden verliess ich den Laden. Zufrieden darüber, dass einem mit Neugier und Glück immer wieder passiert, was mich einst bewogen hat, Journalistin zu werden: Geschichten!

In dieser Ausgabe erzählt Ihnen meine Kollegin Claudia Senn, was sie auf ihrer umstrittenen Reise in den Iran überraschend Schönes erlebte. Foodbloggerin Julia Sherman erzählt, mit welchen Geschichten sie ihr Zuhause füllt. Und unsere Buchexpertin Verena Lugert berichtet, was sie in den Höllenküchen von Spitzenrestaurants so alles erlebt.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Frühling – voller inspirierender Geschichten.