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Ich denke, also Beanie

Leben

Ich denke, also Beanie

  • Text: Thomas Wernli; Illustration: Ping Zhu

annabelle-Produktionsleiter Thomas Wernli über Toleranz für Trainerhosen, sexy Männerbeine und andere süsse Modesünden.

«Häsch chalt?» Ein Arbeitskollege steht neben meinem Pult, schaut mich provozierend an. Bitte? «Häsch chalt?» Wovon spricht er bloss? Er zeigt auf meinen Kopf. Ach so, mein Beanie! Nein, ich friere nicht. Der Wetterbericht aus unserem Grossraumbüro ist wie jeden Tag: schlechte Luft bei zirka 25 Grad. Muss ich jetzt wirklich meinem Kollegen erklären, warum ich eine Mütze trage? In einem geschlossenen Raum! Als Mann im fortgeschrittenen Alter! Der weder zur Skateboard- noch zur Hip-Hop-Szene gehört (hat)! Am helllichten Tag!

Ich könnte jetzt sagen, dass ich einen Bad Hair Day habe. Dass sie mir symbolisch als Schutz in struben Zeiten dient. Oder dass sie mir einfach gefällt, so auf meinem Kopf. Schliesslich hat mich kürzlich auf der Strasse eine junge Frau spontan beim Vorbeigehen mit «Hey, geile Mütze!» angesprochen. Oder dass Beanies gerade angesagt sind und unsere Modeabteilung schon vor Jahren die Alles-geht-Parole herausgegeben hat.

Es gibt also tausend Gründe. Aber ich habe keine Lust, mich zu rechtfertigen. Weder für Beanies noch für Sneakers oder meine geliebten Hoodies. Sollen sich die sogenannten Stilberater ruhig weiter empören: Ich werde meinen «viel zu jugendlichen Look» auch noch im Altersheim tragen. Strickjäckchen in gedeckten Farben, Jackett mit Ärmelschonern, Mokassins? Nein danke. Und was soll ich mir als Fastfünfziger sonst noch nicht mehr gönnen? Popcornkino? Popmusik? Fastfood?

In den letzten zwei Jahren schickte praktisch jeder Designer Models in Trainerhosen über den Laufsteg. Frauen und Männer. Es gibt sogar den internationalen Tag der Jogginghose (20. Januar). Inzwischen ist der Athleisure-Trend (athletic = sportlich, leisure = Freizeit) längst auf der Strasse angekommen. Die Träger signalisieren damit: Ich bin sportlich und lebe gesund. Oder wahlweise: I don’t give a f***. Das Tragen der Trainerhose ausserhalb ihres natürlichen Lebensraums (Gym, zuhause, Flugzeug) heizt die Diskussion in den Internetforen an. Pfui, sagen viele. In einigen Bars hat sie bereits Lokalverbot, und bestimmte Lehrer wettern wie damals, als die Jeans aufkamen. Auch wenn sich viele Promis darin zeigen, bekommt die Hose des Anstosses ihr Assi-Gammel-Secondo-Image nicht los.

«Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren», hat Karl Lagerfeld gesagt. Allerdings soll er auch gesagt haben: «Ich ziehe niemals Jogginghosen an. Die Dinger sind gefährlich, weil sie einen Gummizug haben. Der gibt nach, und dann merken Sie nicht, wenn Sie zugenommen haben.» Aha! Man erinnert sich, dass der Modezar mal vierzig Kilo mehr mit sich herumgetragen hat.

Ich freue mich auf den Sommer und die vielen knackigen, trainierten Männerbeine in kurzen Sporthosen, seitlich hoch geschnitten. So wie Franz Beckenbauer in den Siebzigern über den Rasen flitzte. Wird bestimmt das nächste grosse Ding. Und ich freue mich auf das mediale Sommertheater: uuuuh, hässliche Beine, auch noch behaart! Oder noch schlimmer: rasiert!

Ich fordere modische Freiheit und Toleranz für alles. Alles? Na ja, Hochwasserhosen sehen an jedem Mann bescheuert aus. Und über die Pyjamahosen, die mein Kollege zur Arbeit trägt, müssen wir wohl auch mal reden.

Thomas Wernli hat während des Schreibens dieses Textes eine Trainerhose getragen – allerdings zuhause. Er ist Produktionsleiter bei annabelle und schreibt abwechselnd mit Sven Broder und Frank Heer übers Mannsein bei einer Frauenzeitschrift und andere Extremsituationen

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