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Ich, die Moralkeule

Leben

Ich, die Moralkeule

  • Text: Kerstin Hasse

Moral ist wichtig, findet unsere Autorin – auch wenn man damit manchmal den Tischfrieden stört. 

«Das Moralische musst du unterlassen», sagte Kommissar Batic zu seinem Arbeitskollegen Leitmayr in einem «Tatort», der kürzlich ausgestrahlt wurde. Die Kommissare hatten einen Mord aufzuklären, der mit einer Gruppe von «Reichsbürgern» zusammenhing – Menschen, die im bayrischen Hinterland ihr eigenes Reich aufbauen wollten, als Enklave innerhalb der Bundesrepublik, die sie so sehr verabscheuten. Die Kommissare kriegten sich in die Haare, weil Leitmayr es nicht lassen konnte, die Ideologie dieser «Freiländer» infrage zu stellen.

Ich bin schon mein Leben lang der Leitmayr. Mir fällt es schwer, still zu sein, wenn ich etwas höre, das meinen Moralvorstellungen widerspricht. Das weiss mein Umfeld. Deshalb bekomme ich Verhaltensregeln vorgesetzt, bevor ich an einem Tisch Platz nehme. «Ich würde mit ihm nicht über Politik reden», heisst es. Oder: «Fang nicht mit dem Thema Sexismus an.»

Das funktioniert so mittelgut.

Lassen Sie mich ein Beispiel machen. Ich war neulich zu einem köstlichen Abendessen bei Freunden eingeladen. Es gab Melonensalat mit Minze und Feta, Dorade und kühlen Weisswein. Irgendwann kam das Gespräch auf das Thema Heirat. Wir redeten über das Namensgesetz und darüber, ob Frauen den Namen des Partners annehmen sollen oder nicht. Meine Meinung kurz zusammengefasst: Jedes Paar sollte das so machen, wie es das für richtig hält. Ich verstehe das Bedürfnis, als Familie den gleichen Namen tragen zu wollen, aber ich finde es total vermessen zu erwarten, dass die Frau den Namen des Mannes annehmen muss. Einfach, weil sie eine Frau ist.

Das aber war – so ungefähr – die Argumentation eines Anwesenden. Frauen würden ja eh mit dem Wissen aufwachsen, dass sie irgendwann den Namen abgeben müssten, sagte er. Und er sei als Mann eben mit der Gewissheit gross geworden, dass er seinen Namen behalte. Ich hörte ihm zu, versuchte, seine Argumente zu verstehen, und ich konnte sogar nachvollziehen, dass ihn die Tatsache verunsicherte, dass ich sein Lebenskonzept infrage stellte. Aber ich versuchte ihm auch aufzuzeigen, weshalb ich ihm widerspreche – Gleichstellung! Stimmrecht! Ist-so-weil-ist-so-Debakel – ich diskutierte und gestikulierte. Er wollte mir aber nicht zuhören. Irgendwann setzte er sich beleidigt ans andere Ende des Tischs.

Am Abend im Bett sagte mein Freund: Du bist manchmal so moralisierend. Leitmayr-Style halt.

Wie gesagt: Das hörte ich nicht zum ersten Mal. «Lass es doch gut sein», sagen mir Freunde dann, oder «Du kannst die Menschen eh nicht ändern» oder «Was ist denn überhaupt dein Ziel bei der ganzen Diskutiererei?» Ich gebe zu, ich habe gern recht. Aber das ist nicht der Grund, warum ich aufschreie, wenn jemand das Recht auf Ehe für Homosexuelle infrage stellt oder Italiener als Tschingge bezeichnet.

Warum auch sollten wir eine Diskussion im Keim ersticken, nur weil sie unbequem ist? Das Wort denen zu überlassen, die «man halt nicht mehr ändern kann», ist eine demokratische Bankrotterklärung. Es ist doch besser zu versuchen, die Argumente des anderen zu verstehen und gegebenenfalls zu widerlegen, als sie zu ignorieren oder, noch schlimmer, einfach als dumm zu bezeichnen.

Vielleicht finden mich manche Leute deswegen angestrengt oder doof. Damit kann ich besser leben, als stumm dasitzen zu müssen und nett zu lächeln.