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«Ich musste lernen, mich zu wehren»

Stil

«Ich musste lernen, mich zu wehren»

  • Text: Stephanie Hess; Foto: Vera Hartmann 

Die Bündnerin hat auf der ganzen Welt gekocht, auch für Rockmusiker Neil Young auf dessen Tournee. Am Herd zu stehen, ist für sie immer auch ein politischer Akt.

annabelle: Sie kochten in einem Sternerestaurant in Kopenhagen, danach folgten Engagements auf der ganzen Welt, ebenso für die Rocklegende Neil Young auf seiner Tournee. Zurück in Zürich führten Sie temporäre Restaurants und Projekte. Diesen Sommer werden Sie auf der Alp verbringen. Können Sie sich vorstellen, jemals sesshaft zu werden und ein eigenes Restaurant zu besitzen?
Margaretha Jüngling: Eigentlich schon. Wenn mir auch gewisse Aspekte der traditionellen Gastronomie zuwider sind. Der Abfall, die Preispolitik. Und dann dieser finanzielle Stress, weil man rentieren muss, um die Mitarbeiterinnen zu bezahlen. Aber in einem eigenen Lokal hätte ich mehr Raum, um neue Ideen und Gerichte zu entwickeln. Mir schwebt ein Ort vor, wo auch Kunst und Konzerte Platz haben.

Sie sagten einmal, sobald Sie kochten, sei das ein politischer Akt. Worin zeigt sich das?
Ich arbeite nur mit Produzenten zusammen, deren Arbeitsweise ich kenne und unterstütze. Ich wähle biologische und nachhaltige Zutaten. Salzwasserfische beispielsweise bereite ich aus ökologischen Gründen nicht mehr zu. Mir gefällt, dass ich meinen Gästen eine Botschaft mitserviere, ohne missionarisch zu sein. Alles soll auf der sinnlichen und genussvollen Ebene bleiben. Und politisch handle ich auch dann, wenn ich ein Team zusammenstelle und Arbeitsstrukturen definiere, wie ich sie richtig finde.

Was heisst das?
Grundsätzlich fehlt es in vielen grossen Küchen an Respekt. Für Mitarbeiter, die langsamer sind oder weniger hart im Nehmen. Und insbesondere für die Frauen. Ich kenne keine Köchin, die die extrem männlich dominierte Welt der Küche nicht selber zu spüren bekommen hat.

Wie äussert sich das?
Sexistische Sprüche fallen schnell, kippen in sexuelle Belästigung. Beispielsweise, als mir ein Kollege bei meinem Abschlussessen ein Video vor die Nase hielt, in dem er mit einer Frau Sex hatte. Wäre das nicht mein letzter Arbeitstag gewesen, hätte ich das beim Chef gemeldet. Ich musste lernen, mich zu wehren, mich durchzuboxen.

Warum haben Sie den Weg trotzdem weiterverfolgt?
Weil mich diese Arbeit auf so vielen Ebenen erfüllt. Es ist fast meditativ, wenn ich stundenlang Kisten mit Gemüse verarbeite oder ein Tier zerlege. Danach bereite ich Essen für achtzig Gäste zu, bin stundenlang unter Druck und tauche ein in diese Welt, in der ich nur noch funktioniere. Da gibt es Momente, in denen ich in einen Flow gerate: Hände und der Kopf machen einfach, und dann entsteht plötzlich eine ungeheure Kreativität. Dieses Existieren für den Moment ist wunderschön.

Margaretha Jüngling (30) wächst im kleinen Dorf Lüen in Graubünden auf. Nach dem Gymnasium studiert sie Szenografie in Zürich, bricht nach einem Jahr ab und beginnt eine Kochlehre in Basel. Bereits nach einem Jahr bewirbt sie sich im Sternerestaurant Relæ in Kopenhagen und bleibt dort für die nächsten drei Jahre. Den Abschluss in der Schweiz holt sie später nach. Es folgen zahlreiche kurze Stages in New York, San Francisco, Thailand, Mexico City, Japan und der Schweiz. In Zürich kochte sie im «Stazione Paradiso», einem umgebauten Berliner Bahnwagen, und im Pop-up-Projekt Zampano.

 

 

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