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Kerry Kennedy: «Der Aktivismus meines Vaters hat auf mich abgefärbt»

Leben

Kerry Kennedy: «Der Aktivismus meines Vaters hat auf mich abgefärbt»

  • Interview: Helene Aecherli; Foto: Robert F. Kennedy Human Rights Stiftung

Kerry Kennedy, Tochter von Robert F. Kennedy, will Kinder und Jugendliche für Menschenrechte sensibilisieren - auch in der Schweiz.

annabelle: Kerry Kennedy, Sie standen an der Spitze von Menschenrechtsdelegationen in El Salvador, Gaza oder Haiti. Was hat Ihren Aktivismus entfacht?
Kerry Kennedy (lacht): Ich habe sieben Brüder und drei Schwestern und kam als siebtes Kind zur Welt. Mit so vielen Geschwistern lernst du schon sehr früh, Menschenrechte zu schätzen.

Sie wurden also von Ihren Brüdern verprügelt?
Nein, aber sagen wir es so: Es gab viel Raum für Kämpfe. Doch Spass beiseite. Wahrscheinlich hat sich der Aktivismus meines Vaters Robert F. Kennedy auf mich abgefärbt. Als Justizminister hatte er sich für die Bürgerrechtsbewegung engagiert, und dieses Streben nach Gerechtigkeit ging mir in Fleisch und Blut über. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als Dreijährige sogar meine Schuhe gleichgestellt behandelte: Zog ich erst den linken Schuh an, band ich als erstes den rechten oder umgekehrt. (lacht) Später, während meiner College-Zeit, machte ich ein Praktikum bei Amnesty International und dokumentierte, wie Flüchtlinge aus El Salvador von Beamten der US-Einwanderungsbehörde misshandelt wurden. Ich war entsetzt, mit welcher Verachtung man Menschen behandelte, die in unser Land gekommen waren, um ein besseres Leben zu führen und beschloss, etwas dagegen zu tun. Ich wollte einen Nährboden für Veränderungen schaffen.

Was braucht es dafür?
Die Kraft oder den Willen, selbst etwas zu einer gesellschaftlichen Veränderung beizutragen, etwas zu bewegen. Viele herausragende Menschenrechtsaktivisten sind oder waren von diesem Willen beseelt. Greta Thunberg etwa, die Pakistanin Malala oder Nelson Mandela. Mit der Robert F. Kennedy Human Rights Foundation versuchen wir, den Funken für diesen Willen zu entfachen.

Ihre Stiftung vermittelt Menschenrechte an Schulen, auch in der Schweiz. Wie geht sie dabei vor?
Wir stellen allen Bildungseinrichtungen das Buch «Speak Truth To Power» mit Porträts von Menschenrechtsaktivisten, eine Webseite, eine Fotoausstellung und ein Theaterstück zur Verfügung. Wir arbeiten eng mit den Bildungsdirektionen zusammen und orientieren uns an den geltenden Lehrplänen. Ziel ist, dass anhand unserer didaktischen Anregungen soziale und emotionale Kompetenzen trainiert werden.

Soziale und emotionale Kompetenzen trainieren – was heisst das konkret?
In den USA ergänzen wir zum Beispiel den Mathematikunterricht in fünften und sechsten Klassen zum Beispiel mit folgender Aufgabe: 10000 Menschen pflücken während 180 Tagen im Jahr in Florida Tomaten. Jeder erntet täglich eine Tonne Tomaten. Pro Pfund verdienen die Arbeiter 33 Cents. Nun verlangen sie einen Cent mehr pro Pfund, um aus der Armut herauszukommen. Vierzig Prozent dieser Tomaten werden von Fast Food-Unternehmen Burger King gekauft, das zu siebzig Prozent der Firma Goldman Sachs gehört. Wie viel würde diese Lohnerhöhung Goldman Sachs kosten, und in welchem Verhältnis steht sie zu den Boni, die den Top Ten der Goldman Sachs-Angestellten letztes Jahr ausbezahlt wurden?

Das theoretische Bewusstsein für Menschenrechte schärfen, ist das eine. Wie aber werden die Jugendlichen für Situationen in ihrem Alltag sensibilisiert?
Indem wir verschiedene Szenarien üben. Zum Beispiel: Dein Kumpel erzählt einen sexistischen Witz. Wie reagierst du darauf? Lachst du mit oder sagst du: «Ich mag dich sehr, aber ich will bitte keine solchen Witze hören. Aber – sag mal, wie findest du eigentlich meine neue Jacke?» Indem du das Gespräch in andere Bahnen lenkst, hältst du den Dialog aufrecht, machst aber gleichzeitig klar, wofür du einstehst.

Wie offen sind die Lehrpersonen für diese Unterrichtsmethoden?
Es gibt natürlich Lehrerinnen und Lehrer, die sich nicht dafür interessieren. Aber jene, mit denen wir regelmässig zusammenarbeiten, sind enthusiastisch. Sie wollen engagierte Schüler. Das ist auch für mich das Wichtigste. Ich will nicht die Welt verändern, sondern jungen Menschen das Werkzeug geben, sich für gesellschaftliche Veränderungen stark zu machen.

Angesichts der aktuellen Konflikte, der Wirtschaftskriege und des Erstarkens von Diktatoren, werden Menschenrechte verhandelbar. Entmutigt Sie das?
Nein, denn das Wissen um Menschenrechte hat zugenommen. Zwar sind wir in der Tat durch die Regierung von US-Präsident Trump, Chinas Expansionspolitik, die Klimaerwärmung und die Bedrohung durch Terror herausgefordert. Andererseits setzen sich auf der ganzen Welt immer mehr Menschen für Menschenrechte ein und demonstrieren gegen korrupte Regime. Und noch nie waren die Rechte von Frauen so hoch oben auf den Agenden wie heute. Dies ist auch Hillary Clintons Verdienst. An der UNO Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995 erklärte sie: «Human rights are women’s rights and women’s rights are human rights.» Dieser Satz wurde zu ihrem berühmtesten überhaupt.

Wohin führt Sie Ihr nächster Einsatz?
An die US-mexikanische Grenze. 75 Prozent der Internierungsanstalten für illegale Einwanderer werden privat betrieben. Wir arbeiten daran, Geschäftsleute öffentlich zu machen, die in solche Gefängnisse investieren.

Zu guter Letzt: Wie ist Ihre Haltung zu Greta?
Greta ist wie ein Rorschachtest: Jeder sieht in ihr, was er sehen will. Und was er in ihr sieht, sagt viel darüber aus, wie er in der Welt steht.