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Liebe Caster Semenya

Leben

Liebe Caster Semenya

  • Text: Ines Häfliger; Foto: GettyImages 

Ihre Konkurrentinnen waren chancenlos. Den 800-Meter-Sprint der Diamond League in Doha absolvierten Sie am Freitag vor einer Woche in unglaublichen 1:54,98 Minuten, die Zweitplatzierte kam drei Sekunden später ins Ziel. Während des Rennens hatten Sie somit eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern – so schnell bin ich nicht mal mit dem Velo unterwegs. Nur schon diese Leistung wäre ein Kompliment wert. Doch ich schreibe es aus einem anderen Grund.

Trotz des klaren Sieges jubelten Sie nach dem Rennen nicht. Ihr Gesichtsausdruck war leer, ein kurzes Nicken war Ihre einzige Reaktion. Verständlich: Vielleicht war es Ihr letzter 800-Meter-Sprint. Nicht weil Sie nicht mehr wollen, sondern weil Sie nicht mehr dürfen. 2018 hat der Weltleichtathletikverband einen Testosteronhöchstwert eingeführt: Bei Sprinterinnen und Hürdenläuferinnen, die in den Kategorien 400 Meter bis eine Meile starten, darf neu der Testosteronwert 5 Nanomol pro Liter Blut nicht mehr übersteigen. Das männliche Sexualhormon könne den Athletinnen einen Leistungsvorteil verschaffen, so die Begründung. Bei den meisten Frauen liegt der Wert unter 3 Nanomol. Dieser Norm entsprechen Sie nicht – denn Sie sind intersexuell.

Dass Sie eine aussergewöhnliche Frau sind, erahnt man nur schon auf dem TV-Bildschirm. Mit 1.78 Meter sind Sie gross gebaut, die Schulterpartie ist breit, das Gesicht kantig, die Stimme tief. Nachdem Sie sich 2009 in Berlin Ihren ersten Weltmeistertitel im 800-Meter-Lauf holten, brodelte die Gerüchteküche. Der Weltathletikverband führte daraufhin einen umstrittenen Geschlechtstest durch. Die Ergebnisse sickerten an die Öffentlichkeit durch. Offenbar haben Sie zwar eine Vagina, aber weder eine Gebärmutter noch Eierstöcke. Sie haben jedoch versteckte Hoden, die zu einer erhöhten Testosteronproduktion führen. Die Regelung des Weltathletikverbands könnte Ihr Karriereaus bedeuten. Am Internationalen Sportgerichtshof klagten Sie gegen die Testosteronobergrenze. Doch Ihre Beschwerde wurde vergangene Woche abgelehnt. Um weiterhin Kurzdistanzrennen in der Frauenkategorie bestreiten zu dürfen, müssten Sie Medikamente einnehmen, die den Testosteronwert senken.

Für Sie kommt das nicht in Frage. Auf eine medikamentöse Hormonbehandlung angesprochen, sagten Sie gegenüber dem Al Jazeera kurz und knapp: «Hell no.» Der Weltärztebund stützt Sie in Ihrer Haltung: Er bezeichnet die Hormontherapie an gesunden Menschen als unethisch und potenziell gesundheitsschädigend. Für sportliche Fairness nimmt der Weltathletikverband sexuelle Diskriminierung in Kauf. Das Bewertungssystem der Sportwelt ist auf die gesellschaftlichen Geschlechtervorstellungen zugeschnitten. Dass die Grenze zwischen Mann und Frau nicht immer scharf ist, überfordert die Drahtzieher der Leichtathletikszene. Statt das Klassifizierungssystem anzupassen, fordert der Weltleichtathletikverband eine einschneidende Veränderung von Ihnen.

Bislang haben Sie sich – abgesehen von «Hell no» – nicht öffentlich zum Urteil des Sportgerichtshofs geäussert. Auf Instagram aber lassen Sie die Bilder für sich sprechen: «Don’t trade your authenticity for approval», heisst es in einem Ihrer Posts. Sie lassen sich nicht verbiegen – nicht einmal für Ihre grosse Leidenschaft. Für diese Standhaftigkeit und Selbstliebe bewundere ich Sie.

Herzlich,
Ines Häfliger

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