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Liebe Sarah Kuttner

Leben

Liebe Sarah Kuttner

  • Text: Kerstin Hasse; Foto: Marcus Höhn/Seidenstücker Management

Ist es okay, wenn ich Du sage? Ich fände es komisch, dich zu siezen. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dich zu kennen. Also so ein bisschen mehr als andere deutsche Moderatorinnen oder Autorinnen. Ich würde hier zum Beispiel Maybrit Illner nicht duzen. Und ich denke, das liegt daran, dass ich so praktisch gar nichts weiss über Frau Illner. Dich und deine Arbeit verfolge ich aber schon seit Jahren. Und dank deinem Twitter- und deinem Instagram-Account bekomme ich ein wenig mit, was in deinem Leben passiert. Ob nun dein Hündchen festlich zu Weihnachten eine Fliege trägt oder du dir den halben Finger abschneidest (und den Verband hübsch lackierst) – deine Follower, und damit auch ich, sind hautnah (entschuldige das platte Wortspiel) dabei. Aber nicht nur wegen der Social Media glaube ich, dich zu kennen. Es liegt auch an deinem Auftreten in TV-Shows, an deinen Antworten in Interviews – und an deinen Büchern. Überall steckt ein wenig Sarah drin. Wenn du irgendwo auftrittst, ziehst du dir – so scheint es – keine Maske über. Wenn du sprichst, bist du Sarah. Sarah Kuttner. Unplugged.

Früher, zu Viva-Zeiten, wurde diese Eigenschaft als frech bezeichnet. Das freche Mädchen, das den Mund nicht halten kann, hiess es. Viva, der Musiksender, bei dem du deine Karriere begonnen hattest, wird nun eingestellt. Nachtrauern wird ihm wohl niemand, dafür müsste ihn ja noch jemand einschalten. Aber damals, damals war Viva gross. Und Frauen wie du waren die Vorbilder meiner Generation. Sarah, ich glaube, du bist mit ein Grund, warum ich heute das mache, was ich mache. Danke dafür.

Als ich durchs Internet geschwirrt bin, um mehr über deine Karriere bei Viva zu erfahren, bin ich auf ein Video gestossen. Du warst damals zu Gast bei Stefan Raab in «TV Total». Ich schaute mir den 10-minütigen Clip an und dachte: Verdammt, waren das noch andere Zeiten! Stefan Raab ist ein riesen sexistisches Arschloch – und alle klatschen. Du hattest damals ein paar Fotos für den «Playboy» gemacht. Huch, eine nackte Frau! Kein grosses Ding, könnte man meinen. Aber Raab, der ewig pubertierende Grinskasper, ist so eklig-erquickt über die ganze Sache («Der Bundespräsident war letzte Woche bei Viva, wie fand der die Fotos?»). In seiner gönnerhaften Chauvi-Art gratuliert er dir gefühlt 100 Mal zur Ästhetik und Hochwertigkeit der Bilder. Es ist grauenhaft, wie lustig er sich dabei selbst findet.

Dass du immer deine Meinung sagst, ganz egal, ob um die Ecke schon der nächste Shitstorm wartet, mag ich. Und ich bewundere deine Stärke, eben mit diesen Sturmböen an Beleidigungen und Kritik umzugehen. Vielleicht ist dieses Raab-Video der Schlüssel, um zu verstehen, wie du mit all dem Hass und der Häme im Netz umgehst, die über dich hereinbrechen, wenn du mal wieder den Mund nicht gehalten hast. Du bist echt in anderen Zeiten in dieser Medienbubble gross geworden. Zeiten, in denen über junge Frauen in dieser Branche noch ganz anders berichtet wurde, der Ton noch viel rauer war. In Zeiten, in denen einem bei einer sexistischen Kritik nicht gleich eine ganze Twitter-Community den Rücken stärkte. Ich glaube, damals brauchte es noch viel mehr Mut, Viva-frech zu sein.

Liebe Sarah, ich weiss nicht, ob wir uns im echten Leben, also so richtig live, verstehen würden. Nicht, weil es uns an Gemeinsamkeiten fehlen würde. Vor allem in Fernsehsachen sind wir uns nämlich ziemlich einig. Ich weiss, dass auch du alle (!) Folgen von «Grey’s Anatomy» nochmal (!!) angeschaut hast, dass auch du ein «Gilmore Girl» bist, dass du ebenso nerdig über die Logikfehler bei «Friends» referieren kannst und dass du ohne Scham beim Gärtnern neben dir den Laptop hinstellst und beim Umtopfen Serien guckst. Du würdest wohl auch im Hochsommer ein Glässchen Eierlikör mit mir trinken, und dabei könnten wir darüber reden, was Hunde doch für knorke Tiere sind.

Aber ich denke, dass du mit einer gesunden Distanz zu deinen Mitmenschen durchs Leben gehst. Einer Distanz, die es dir erlaubt, in der Öffentlichkeit Sarah Kuttner unplugged zu sein und gleichzeitig du selbst zu bleiben. Den Abstand zu wahren zu dieser verrückten Medienwelt, in der auch ich manchmal fast meinen Kopf verliere. Du kümmerst dich nicht darum, was andere von dir halten. Und deshalb würdest du mich nicht einfach mögen, weil ich dich mag. Du wärst deswegen nicht mal besonders nett zu mir. Und das find ich total okay.

Ich wollte dir einfach mal sagen, jetzt, wo Viva für immer abgeschaltet wird, dass ich toll finde, was du früher gemacht hast. Und dass ich bewundere, wer du heute bist.

Deine Kerstin