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Liebe Tina Turner

Leben

Liebe Tina Turner

  • Text: Kerstin Hasse; Foto: GettyImages 

Ich muss Ihnen gestehen, ich habe Ihre Musik erst sehr spät entdeckt. Ich kannte natürlich Ihre Hits wie «What’s Love Got to Do with It» oder den Bond-Soundtrack «Golden Eye». Aber erst als ich als Teenagerin eine Dokumentation über sie sah, begann ich, mich mit Ihnen und Ihrer Kunst auseinanderzusetzen.

Warum ich Ihr Talent erst so spät entdeckte? Das lag daran, dass früher, als ich noch ein Kind war und einer Ihrer Songs im Radio lief, meine Mutter immer sofort die Lautstärke ganz runter drehte. «Die schreit immer so, das ist doch nicht schön!», sagte sie dann und verzog verärgert das Gesicht. Meine Mutter ist kein Mensch, der sich oft ärgert. Also nahmen meine Geschwister und mein Vater Rücksicht, und wir alle wurden Teil der Tina-Turner-Ton-aus-Technik.

Ich glaube, Sie würden über das Urteil meiner Mama lachen können. Immerhin sagten Sie neulich in einem Interview mit der «Zeit»: «Ich kann tief singen, ich kann hoch singen, ich kann alles singen – halt nicht schön. Schön ist nicht mein Stil. Nicht im Singen. Und auch sonst irgendwie nicht.»

Es ist diese Einstellung, die mich an Ihnen beeindruckt. Sie haben gewiss nicht nur schöne Sachen in Ihrem Leben erlebt. Ganz im Gegenteil. Das Leben hat sich Ihnen in seinen dunkelsten, hässlichsten Facetten gezeigt: Sie wurden wegen Ihrer Hautfarbe beleidigt und wegen Ihres Geschlechts unterschätzt. Sie wurden von Ihrem Mann und Musikpartner Ike Turner misshandelt. Sie mussten so viele Schicksalsschläge ertragen – der Suizid  Ihres Sohnes im vergangenen Sommer ist nur einer davon. Und Sie mussten in den letzten Jahren einen gesundheitlichen Rückschlag nach dem anderen bekämpfen: Schlaganfall, Darmkrebs und nun noch eine Nierentransplantation.

Ihre Stimme, diese raue, tiefe Wahnsinnsstimme, haben Sie trotz all dem Schmerz nie verloren. Und dafür verdienen Sie viel Respekt.

Ich könnte jetzt hier einen Simply-the-Best-Spruch fallen lassen, aber das wäre nur eines: platt und langweilig. Das würde Ihnen nicht gerecht werden. Meine Mutter hatte schon recht: Sie haben geschrien. Laut und furchtlos. Und genau so laut und furchtlos, so sind Sie auch heute noch – mit bald achtzig Jahren.

Dafür, liebe Tina Turner, ein grosses Kompliment.

Herzlich,
Kerstin Hasse

P.S: Mittlerweile lasse ich übrigens das Radio an, wenn ein Song von Ihnen gespielt wird. Manchmal dreh ich sogar die Lautstärke auf, aber sagen Sie es meiner Mama nicht.