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Miss Missgunst

Leben

Miss Missgunst

  • Text: Yvonne Eisenring; Illustration: Gracia Lam

Eigentlich wollte unsere Autorin den Neid ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Ihn totschreiben. Bis sie feststellen musste: Sie ist ja selber neidisch. Deshalb schreibt sie jetzt Briefe.

Ich finde, ich bin okay. Ich will nicht anders sein, und ich will kein anderes Leben.

Trotzdem.

Ich bin neidisch. Immer mal wieder. Also nicht dass ich ein überdurchschnittlich neidischer Mensch wäre – glaube ich jedenfalls. Messen kann ich das nicht. Doch auch wenn es kein dominantes Gefühl ist, es ist ein unangenehmes. Ein Gefühl, für das ich mich schäme. Neid ist peinlich. Uncool. Und – was, du bist manchmal neidisch? – so zynisch! Dir geht es doch so gut!

Neid ist ein Tabuthema. Darüber redet man nicht. Und tut man es doch, spricht man von «den anderen». Auch ich wollte ursprünglich über Neid schreiben, als wäre er ein Phänomen, das mich trifft, aber nicht betrifft. Ich wollte schreiben, dass man aufhören soll, auf einander neidisch zu sein. Dass man Neid bekämpfen muss. Ausrotten. Denn wer Neid kennen gelernt hat, fürchtet ihn. Als ich einen Buchvertrag angeboten bekam, sagten gleich mehrere Leute, ich solle so wenig wie möglich darüber reden. Du willst doch keinen Neid schüren?! Ich war überrumpelt. Und überfordert. Was sollte ich denn sagen, wenn das Buch erscheint?

Ich versuchte eine andere Strategie: Meinte ich, den Neid in meinem Nacken zu spüren – ehrlich sagen würde das ja niemand –, versuchte ich ihn im Keim zu ersticken. Ich spielte den Erfolg herunter und verwies auf die Niederlagen. Nur, die Krux ist: Erfolgreich wollte ich ja sein. Wie wir alle. Aber der Erfolg hat den Neid im Schlepptau. Er nimmt ihn mit. Der Neid ist der kleine Bruder, der, weil er nicht allein zuhause sein kann, auch an die Party mitgeht. Und dann steht er in der Ecke, trinkt stumm einen Whiskey Sour, und wenn Leute an ihm vorbeigehen, stellt er ihnen ein Bein. Weil er sich nicht willkommen fühlt. Was er ja auch nicht ist.

Nur aus der Ferne betrachtet, ist Neid interessant. Immer wieder werden Studien dazu verfasst. Eine tauchte in fast jedem Text auf, den ich in den letzten Wochen zum Thema gelesen habe: Es geht um gut aussehende Frauen, die bei der Jobsuche benachteiligt sind. Der Grund sei Neid. Weil vor allem Frauen in den Personalabteilungen arbeiten und sie nicht von attraktiven Frauen umgeben sein wollen, laden sie hauptsächlich Männer zum Vorstellungsgespräch ein. Ich halte wenig von dieser Erklärung. Es könnte ja auch sein, dass man Frauen grundsätzlich für weniger kompetent oder stressresistent hält. Und dann wäre nicht Neid, sondern Sexismus das Problem.

Ich glaube nicht, dass Neid ein Frauenproblem ist. Neidisch sind alle. Bestätigen auch Psychologen und Mediziner. Neidgefühle können im Gehirn verortet werden. Sie sitzen im ventromedialen präfrontalen Kortex, der sich links hinter der Stirn befindet. Neid ist gefährlich, wenn er zu Missgunst wird und erst besänftigt ist, wenn das beneidete Leben nicht mehr ist. Positiver ist es, wenn das Neidgefühl einen anspornt: Man vergleicht sein eigenes Leben mit dem beneideten Leben und strengt sich an, um aufzuschliessen.

Wie sich der Neid offenbart, ist bei jeder Person verschieden. Einige werden abschätzig, andere ziehen sich zurück. Halt macht der Neid vor nichts. Er ignoriert Freundschaften und setzt sich an den Familientisch. Manchmal taucht er auf, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Das sind die besonders giftigen Pfeile, wenn sie die Menschen treffen, die man liebt, denen man doch alles Glück dieser Welt gönnt. Eigentlich. Der grosse Bruder, der für weniger Arbeit mehr Geld verdient. Die beste Freundin, die Mutter wird, während man selber seit Jahren vergeblich versucht, schwanger zu werden. Die junge hübsche Tochter, die es so viel einfacher hat im Leben, als man es selber gehabt hat.

Die neuste Neidform ist der Social-Media-Neid. Früher konnte man allenfalls noch den Nachbarn beneiden, heute die ganze Welt. Auf Instagram und Facebook haben «alle» das aufregendere Leben. Das schürt Neid. Und freut die Werber und Politiker. Letztere nutzen den Neid zu ihren Gunsten, indem sie aufzeigen, dass einige haben, was andere nicht haben, aber haben sollten oder haben könnten. Die Werbung arbeitet mit einer ähnlichen Methode: Weil wir viele Produkte nicht mehr wirklich brauchen, werden unsere Bedürfnisse über Neidkomplexe manipuliert.

Ich denke immer, es müssen Masochisten sein, die sagen: «Neid ist die höchste Form der Anerkennung.» Denn diese Form der Anerkennung tritt immer als Abneigung, Aggression oder Zurückweisung auf. Der Neid wird versteckt oder getarnt – ist ja schliesslich eine Todsünde. Bei einer Umfrage konnten sich Männer wie Frauen an keine Situation erinnern, in der sie neidisch waren. Wurde die Frage umformuliert und wollte man von ihnen wissen, ob sie sich an eine Situation erinnern konnten, wo jemand besser war und sie sich danach schlecht gefühlt hatten, fiel allen etwas ein. Es ist das Wörtchen Neid, das sie schweigen lässt.

Das ist der Haken an der Sache. Könnte man offen sagen, wenn man neidisch ist, müsste man keine komischen Alternativhandlungen machen. Man müsste nicht abschätzig oder abweisend werden. Wäre der Neid entblösst, müsste er nicht mehr als Hass oder Wut getarnt auftreten. Er ist deshalb so heimtückisch, weil er immer im Dunkeln bleibt. Weil wir nicht auf etwas reagieren können, was wir nicht fassen können. Neid ist kein Symptom, sondern der Virus. Und weil er in uns allen steckt, kann man nicht einfach dazu aufrufen, dass er wegsoll. Würden wir aber alle etwas offener über unseren persönlichen Neid sprechen, ich bin sicher, er verlöre seine Macht. Man müsste ihn weniger fürchten.

Deshalb werde ich das nun tun. Ich werde über meinen Schatten springen und den Menschen, die ich beneide oder beneidet habe, schreiben. Ich werde gestehen, dass und warum ich neidisch bin. Ich bin nicht stolz auf meinen Neid und nicht stolz, ihn zuzugeben. Weil er eine Schwäche ist. Eine Schwäche, die nicht irgendwie auch noch cool oder herzig oder sonst irgendwie liebenswert ist. Es ist purer Neid. Nicht weniger – aber eben auch nicht mehr. Und in dieser Form vielleicht tatsächlich die höchste Anerkennung.

Dear Emma Stone

You are an amazing actress. You look absolutely beautiful. You can sing and dance. You won the Oscar. And you danced with Ryan Gosling.
Pure envy.
Regards, Yvonne

Liebe Andrea

Ich schöpfe mir einmal, du schöpfst dir zweimal. Ich esse ein Reiheli Schoggi, du eine halbe Tafel. Ich gehe fast täglich joggen, du machst keinen Sport. Nie. Du hasst Sport. Findest du einfach blöd. Anstrengend. Dieses Schwitzen! Und doch trägst du XS. Du bist zierlich. Die Kleider flattern um deine Hüften, nie ist etwas eng, höchstens anliegend.
Ich bin nicht unzufrieden mit meinem Körper. Ich finde ihn sehr okay. Aber es gibt Kleider, die sind einfach unvorteilhaft. Und nach Weihnachten muss ich meine Lieblingsjeans eine Weile im Schrank lassen und doppelt so lang joggen gehen. Ich jogge gern, das ist nicht das Problem, aber würde ich nicht gern joggen, dann wär das schon ein Problem. Weil ich dann nicht mehr zufrieden wäre mit meiner Figur.
Und darum bin ich neidisch auf dich. Weil du nicht joggen musst, wenn du nicht willst.
Weil du nicht darauf achtgeben musst, dass eine Hose deiner Figur schmeichelt und nicht deine breiteste Stelle betont – weil du einfach keine breiteste Stelle hast.
Ich bin neidisch, weil für dich ganz andere Regeln gelten als für mich. Oder besser gesagt, weil es da keine Regeln gibt. Weil du essen und machen oder eben nicht machen kannst, was du willst, und dennoch so schlank bist.
Ich weiss, du sagst, dass du halt gute Gene hast und dass deine Mutter und deine Grossmutter auch so sind. Das ist ja okay. Ich gönne dir das ja. Ich hätte einfach auch gern diese Gene.
Liebe Grüsse, Yvonne

Liebe Gülsha

Ich bin manchmal neidisch auf dich.
Ich war neidisch auf deine Sendung «Gülsha folgt dir». Ich habe fast exakt das gleiche Format bei dem Sender, bei dem ich arbeitete, vorgeschlagen. Es kam nicht durch. Und irgendwann sah ich, dass du diese spannenden Menschen begleiten darfst. Da war ich neidisch. Die Sendung fand ich super. Dich darin auch. Aber das tut nichts zur Sache.
Ich war auch neidisch, als du angefangen hast zu schreiben. Jetzt schreibt sie auch noch, dachte ich. Plötzlich warst du in den gleichen Magazinen wie ich. Hattest Kolumnen und Meinungsseiten. Ich fand sie immer gut. Richtig gut geschrieben. Das half natürlich nicht.
Ich bin manchmal auch neidisch, wenn ich deine «Story» auf Instagram anschaue. Weil dein Leben so easy und unbekümmert ausschaut. Weil ich das Gefühl habe, dass dir alles so leicht von der Hand geht. Alles ist immer ein grosser Spass. Und ich chnorze manchmal rum. Kriege Absagen und solche Sachen. In meiner Vorstellung passiert dir das nie.
Okay, und jetzt kommt mein grösstes Dilemma: Du bist auch noch nett! Ich konnte dich nie blöd finden. Ich freute mich immer, wenn ich dich an einem Anlass oder sonst irgendwo sah. Ich finde dich lustig. Und oft mutig. Und dann denke ich, verdammt, so lustig und mutig bin ich nicht.
Deshalb hoffe ich, wir sehen uns bald!
Yvonne

Liebe Silvia

Wenn die Leute sagen, dass ich schöne Locken habe, schieben sie immer hinterher, dass ich bestimmt lieber gerade Haare hätte. Nur: Das stimmt nicht. Ich hätte gern deine Haare. Locken, die immer Locken sind. Die, wie ich überzeugt bin, schon am Morgen früh mit einmal Schütteln in die perfekte Form springen und nicht platt gedrückt an der Backe kleben. Ich stehe manchmal auf, rechts lockig, links stäckegrad und oben ein Turm. Das passiert dir bestimmt nie. Und deshalb bin ich ein bisschen neidisch auf dich.
Herzlich, Yvonne

Liebe Vanessa

Es ist schon lange her. Du erinnerst dich vielleicht nicht einmal mehr an mich. Wir waren zusammen in der Schule. Vierte bis sechste Klasse. Im Fondli in Dietikon. Irgendwann im Frühling, es war unser letztes Jahr in der Primarschule, sassen wir im Kreis auf dem Pausenplatz. Nur zu viert. Du, Tom, Mario und ich, die anderen waren schon gegangen. Wir spielten «Wer steht auf wen?», was eigentlich gar kein Spiel ist. Wir erzählten uns einfach, wen wir gut fanden. Ich weiss nicht mehr, was ich sagte. (Ich war in Mario verliebt, sagte es aber nie jemandem.) Ich weiss auch nicht mehr, was du sagtest. Aber beide, Tom und Mario, sagten, dass sie in dich verliebt waren. Beide! Die zwei coolsten Jungs der Klasse! Und einer davon war «mein» Mario!
Klar, du warst cooler als wir anderen Mädchen. Du hattest Miss-Sixty-Jeans und als Erste ein Handy. Du durftest geschminkt in die Schule kommen, und zur Lehrerin warst du frech. Ich war immer mal wieder ein bisschen neidisch und wünschte mir zu jedem Geburtstag ebenfalls Miss-Sixty-Jeans (die ich nie bekam).
Aber an diesem Nachmittag auf dem Pausenplatz, nach dem «Wer steht auf wen?»-Spiel, da war ich so unglaublich neidisch auf dich.
Das wollte ich dir nur kurz sagen.
Ich hoffe, es geht dir gut.
Liebe Grüsse, Yvonne

Liebe Nicole

Erinnerst du dich ans Vorsingen bei Stoll?
4. bis 6. Gymi. Immer in Zweierteams. Einmal pro Semester. Lehrer Stoll sass am Flügel, wir standen davor, zuerst sangst du, dann ich. An die Lieder kann ich mich nur vage erinnern. Ich glaube, wir sangen immer «Summertime», was aber natürlich nicht stimmen kann.
Was ich aber noch genau weiss: Nachdem wir beide vorgesungen hatten, hat Stoll sein Notenheft hervorgeholt, die Noten eingetragen und uns diese auch gleich gesagt: «Nicole, 6. Yvonne, 5–6.» Das war jedes Mal so. Du hattest immer eine 6, ich 5–6. Wir dankten, gingen vor die Tür, da warteten die anderen und gratulierten uns. Sind ja auch beides super Noten. Aber – ich war neidisch auf dich. Weil du jedes Mal besser warst. Weil ich doch diejenige war, die Gesangsstunden nahm. Ich war doch diejenige, die mehr Übung hatte! Du hattest einfach die bessere Stimme. Ich hörte das ja auch.
Das wollte ich dir nun einmal sagen. Ehrlichkeit und so.
Kusskuss, Yvonne

Hinweis: annabelle-Autorin Yvonne Eisenring (30) ist Print- und TV-Journalistin. Letztes Jahr ist ihr erstes Buch «Ein Jahr für die Liebe» erschienen.