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Nanny für alle

Leben

Nanny für alle

  • Redaktion: Stephanie Hess; Foto: Daiga Ellaby / Unsplash

Wir teilen heute alles, was für uns alleine zu teuer wäre: Ferienwohnungen, Autos, Parkplätze. Warum also nicht auch die Nanny? Kinderbetreuerin Petra Retelj war bei zwei Familien gleichzeitig tätig. Wie ein einst elitäres Modell für alle möglich wird.

«Wenn sie krank waren, war es am schwierigsten», sagt Nicole Mayr, Mutter von Zwillingen. Drei Tage pro Woche besuchten die damals Zweieinhalbjährigen die Krippe. Waren sie nicht auf dem Damm, ging regelmässig eine Organisationsodyssee für ihre Betreuung zu Hause los. Glücklich waren damit weder Kinder noch Eltern. Ähnlich ging es den Hosslis, einer Nachbarsfamilie, Eltern einer ebenfalls zweieinhalbjährigen Tochter. Zusammen kamen die Familien auf die Idee, die Nicole Mayr heute noch als eine «Wahnsinnserleichterung» bezeichnet: eine geteilte Nanny.

Teilen ist Trend. Wohnungen werden über Airbnb vermietet, Autos über Carsharing-Plattformen wie Mobility oder Sharoo. Restaurants geben übriggebliebenes Essen über Foodsharing-Kanäle weiter. Geteilt wird bei der Kinderbetreuung schon länger: die Tagesmutter, die Krippe – und seit noch nicht sehr langer Zeit auch Nannys. Gisela Ebnet von Nanny Swiss sagt, dass dieses Modell heute zwar vermehrt nachgefragt wird: «Durchgesetzt hat es sich aber noch nicht.» Denn eine geteilte Nanny bedeutet: sehr viel Organisation, Kompromisse. Aber am Ende auch Entkrampfung, Stabilität – und tiefere Kosten, wie Nicole Mayr sagt. «Wir haben es durchgerechnet. Eine Krippe für die Zwillinge drei Tage pro Woche wäre für uns teurer gekommen.» 20 bis 35 Franken erhalten Nannys durchschnittlich pro Stunde. Bei Sharing-Modell kommt bisweilen ein Aufschlag von etwa 20 Prozent dazu. Petra Retelj, 41, Zürcherin, mag den Begriff Nanny eigentlich nicht. «Er klingt für mich nach einer Frau, die die Kinder herumkutschiert und ihnen auf dem Spielplatz von der Parkbank aus zusieht. Ich bin für Erziehung und Entwicklung aber ebenso verantwortlich wie die Eltern.» Ursprünglich ist Petra Retelj wissenschaftliche Illustratorin. Schon kurz nach dem Gestaltungsstudium baute sie die Kinderbetreuung als ihr zweites Standbein auf. In einer Privatschule arbeitete sie beim Mittagstisch, übernahm die Nachschulbetreuung, wurde Kindergartenassistentin, baute eine Gruppe für jüngere Kinder auf.

Montag, Dienstag und Mittwoch betreute Petra Retelj die drei Kinder der beiden Familien. Elf Stunden täglich. Am Morgen holte sie jeweils das Mädchen der Nachbarsfamilie ab und brachte es zu den Mayrs. Alle drei Kinder waren zu Beginn um die 2,5 Jahre alt. «Das war streng, wie Bälle jonglieren», sagt Petra Retelj und lacht. Eigentlich, so heisst es in den Empfehlungen fürs Sharing-Modell, sollten nicht mehr als zwei Kinder in der Betreuung unter drei Jahre alt sein. Es waren in diesem Fall dann bald vier: Ein Dreivierteljahr später erhielt die Nachbarsfamilie der Mayrs nochmals Nachwuchs. Zu Beginn betreute Petra Retelj die drei Kinder vor allem bei den Mayrs zu Hause, danach teilten sie die Tage über beiden Haushalten auf. War mal ein Kind krank, war das kein Problem mehr, Petra Retelj war ja da. Und wenn sie selber krank im Bett lag? «Dann musste einer von vier Elternteilen einspringen», sagt sie.

Zentral für dieses Modell ist gemäss Petra Retelj, dass die Chemie zwischen allen Beteiligten – in diesem Fall waren es am Ende neun – stimmt. Die Kinder müssen miteinander harmonieren, noch wichtiger ist aber das Verhältnis zwischen den Eltern. «Sie müssen ehrlich miteinander und auch mit mir als Betreuerin diskutierten können», sagt sie. Ähnliche Vorstellungen sind zentral, beispielsweise was die Ernährung anbelangt oder die Zeit, die die Kinder täglich draussen verbringen sollen. Und auch bereit sein, Kompromisse einzugehen. Alle vier Monate ist Petra Retelj mit den Eltern zusammengesessen, um sich auszutauschen und die Ferien zu planen. Nicole Mayr sagt: «Es war ein Glücksfall. Wir haben wirklich gut miteinander funktioniert und sind bis heute Freunde.»

Petra Retelj, die inzwischen wieder bei nur einer Familie als Kinderbetreuerin arbeitet, sagt: «Hätte ich selber Kinder, würde ich mich für das Sharing-Modell entscheiden.» Weil die Kleinen damit alles hätten, was sie selber nach inzwischen zehn Jahren in der Kinderbetreuung als zentral erachtet: Eine enge, gleichbleibende Bezugsperson, das gewohnte Umfeld und andere Kinder zum Lernen und Spielen.